Römisches Zürich: Turicum besass städtische Infrastruktur
Eine neue Publikation der Kantonsarchäologie Zürich gibt Einblicke, wie das römische «Turicum» früher ausgesehen haben könnte. Diese zeichnet das Bild einer prosperierenden Kleinstadt, die sogar ein innerstädtisches Strassennetz besass.
Quelle: Archäologie Stadt Zürich / archaeolab.ch
Um die Mitte des 4. Jahrhunderts lebte die Bevölkerung von «Turicum» im Kastell auf dem Lindenhofhügel.
Heute erinnert auf dem Weg zum Lindenhof in Zürich eine Kopie eines 1747 gefundenen Grabsteins an die römische Vergangenheit der Stadt. Das Objekt wurde in der Frühzeit der wissenschaftlichen archäologischen Erforschung der Limmatstadt gefunden.
Errichtet hatte ihn der Vorsteher des Zollpostens für seinen verstorbenen Sohn. «Hier liegt Lucius Aelius Urbicus,
der ein Jahr, fünf Monate und fünf Tage lebte. Unio, ein Freigelassener des
Kaisers, Vorsteher des Zürcher Zollpostens des gallischen Zolls, und Aelia
Secundina, die Eltern, ihrem süssesten Sohn.»
Veränderungen der Siedlungsstruktur
In den 30er Jahren folgten moderne Untersuchungen, die bis heute über 200 Fundstellen mit römischen Gebäuderesten und Fundobjekten enthüllt haben. Diese Daten setzte Annina Wyss Schildknecht in ihrer Dissertation zusammen, wertete sie aus und stellte sie in Beziehung zueinander, wie die Zürcher Baudirektion in einem Communiqué schreibt. Der Autorin sei es dabei gelungen, die Entwicklung «Turicums» vom 1. Jahrhundert v.Chr. bis ins 4. und 5. Jahrhundert n.Chr. nachzuzeichnen.
Dabei konnte die Autorin auch Veränderungen hinsichtlich der Siedlungsstruktur sowie bei der Funktion einzelner Quartiere aufzuzeigen. Dank ihrer Arbeit könne nun die Stadtgeschichte von Zürich um wichtige Kapitel ergänzt werden. Das Forschungsprojekt wurde von der Zürcher Stadt- und Kantonsarchäologie sowie der Universität Bern getragen. Die finanzielle Grundlage wurde vom Schweizerischen Nationalfonds bereitgestellt.
Quelle: Archäologie Stadt Zürich
Römische Gebäudereste in der Storchengasse: ein kultischer Rundbau aus der Frühzeit der Siedlung und die Mauer eines viereckigen Gebäudes.
Vom Lindenhof zur Limmat und zurück
Der Lindenhofhügel stellte seinerzeit den Kern der keltischen Vorgängersiedlung dar, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Davon ausgehend dehnte sich die römische Siedlung ab Mitte des ersten Jahrhunderts n.Chr rasch gegen die Limmat aus. Nur wenige Jahrzehnte später existierten auch auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses erste Gebäude sowie eine Brücke. Möglich wurde die Bebauung dieser Bereiche erst aufgrund des sinkenden Wasserstandes der Limmat.
200 Jahre lang blühte die später zur Zollstation erhobene Kleinstadt daraufhin auf und profitierte von ihrer Lage am Handelsweg von den Bündner Alpenpässen in die nördlichen Provinzen. Danach folgten unruhige Zeiten, in denen viele Bauten aufgegeben wurden und die Bevölkerung sich in das Kastell auf dem Lindenhof zurückzog, welches im 4. Jahrhunderts n.Chr. neu errichtet worden war. Schildknechts Arbeit liefert gemäss der Mitteilung einen wertvollen Beitrag zur Datierung dieses Umbruchs, indem sie wichtige Fundensembles vorlegt.
Turicum besass städtische Infrastruktur
«Turicum» wuchs nach und nach zu einer Kleinstadt heran, die ihren Bewohnern gar eine funktionierende Infrastruktur bieten konnte. Über die Hafenanlage am Fluss des St. Peter-Hügels und die Strassenverbindung nach Norden war die Stadt ins Fernhandelsnetz eingebunden. Weitreichende Beziehungen hätten bauliche Details geprägt und Gebrauchsgüter sowie Kunsthandwerk aus fernen Gebieten hierhin gebracht.
Schildknecht konnte dabei ein innerstädtisches Strassennetz rekonstruieren, das verschiedene Quartiere erschloss. Das Zentrum der Siedlung befand sich demnach auf dem Lindenhof und auf dessen nach Norden auslaufendem Sporn. Dort bezeuge ein Laufbrunnen das Privileg von fliessendem Wasser und lasse auf eine vermögende Bewohnerschaft schliessen.
Ein öffentliches Zentrum befand sich am linken Limmatufer, wo eine grosse Thermenanlage und Kultbauten standen. Eine Deponie in Brückennähe könnte ausserdem als Beleg einer geregelten Abfallentsorgung gedeutet werden. Weiter verdeutlichen Schiffsanlegestellen an den beiden Limmatufern die zentrale Rolle der Flussschiffsfahrt für das einstige «Turicum».
Quelle: Schweizerisches Nationalmuseum
Eine Werkstatt nördlich der Alpen schuf den kunstvollen Goldschmuck, der in der Oetenbachgasse Jahrhunderte im Boden überdauerte.
Spektakulärer Fund: Schmuckensemble aus Gold
Nicht selten schmückten römische Bauherren ihre Häuser mit reich bemalten Wänden. Darauf befanden sich zahlreiche Graffiti mit Botschaften an Gäste oder Bewohner. Wie aus der Mitteilung hervorgeht, taucht hierbei der Name «Lucianus» mehrfach auf. Zudem zeigt eine Skizze einen Hahnenkampf, was damals eine beliebte Freizeitbeschäftigung war.
Zu den spektakulärsten Funden gehöre aber ein Schmuckensemble aus Gold, das in römischer Zeit als Hort deponiert wurde und im 19. Jahrhundert an der Oetenbachgasse zum Vorschein kam, wie die Baudirektion schreibt. Zu den fein gearbeiteten Stücken zählen Armreifen in Schlangenform und Fingerringe mit gravierten Gemmen.
Letztere könnten Ehrengaben für verdiente Soldaten gewesen sein, die sich in «Turicum» niederliessen. Der Goldschmuckhort bezeuge damit Beziehungen bis in die römische Machtzentrale. Zudem würden modernste metallurgische Analysen die archäologische Auswertung des wertvollen Schmucks ergänzen. (mgt/pb)
Buchtipp
Die mittel- und spätkaiserzeitliche Kleinstadt Zürich/Turicum
Eine Hafenstadt und Zollstation zwischen Alpen und Rheinprovinzen
Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 54 (Zürich/Egg 2020) Autorin: Annina Wyss Schildknecht, 388 Seiten, 327 Abbildungen, 58 Tafeln, 5 Beilagen
Preis: 90 Franken, bei Bestellung bis 31.8.2021 nur 65 Franken
Bezug: Verlagsshop auf www.fo-shop.ch