Weltweit älteste befestigte Siedlung in Sibirien freigelegt
In der Taiga von Westsibirien hat ein internationales Archäologenteam die wohl bisher älteste befestigte Siedlung der Welt freigelegt: Die komplexe, von jungsteinzeitlichen Jägern und Sammlern erbaute Anlage ist rund 8000 Jahre alt.
Quelle: N. Golovanov, S. Krubeck & S. Juncker
Oben im Bild: Luftbild des Flusses Amnya und des Vorgebirges. Darunter: Übersichtsplan von Amnya I und II, er zeigt die Lage der Grabungsgräben und die im Oberflächenrelief sichtbaren Merkmale zeigt.
Zwar ist schon länger bekannt, dass bereits die Urbevölkerung Sibiriens in Siedlungen lebte und diese mit Wällen, Palisaden und Gräben gegen Eindringlinge schützte. Allerdings nahm man bislang an, dass solche Bauten erst in der frühen Eisenzeit respektive vor rund 3000 Jahren aufgekommen sind. Dass die Siedlung von Amynia – sie gilt als nördlichste steinzeitliche Wallanlage – rund fünf Jahrtausende älter und damit das älteste bekannt Fort der Welt ist, bestätigten detaillierte archäologische Untersuchungen sowie Radiokohlenstoffdatierungen. Und es verändert den Blick auf frühe menschliche Gesellschaften: Laut Henny Piezonka vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin, unter deren Leitung das Projekt steht, stellt diese Erkenntnis die bisherige Auffassung infrage, dass die Menschen erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft begannen, dauerhafte Siedlungen mit monumentaler Architektur zu bauen. Und anfingen, komplexe soziale Strukturen zu entwickeln.
Wie Tanja Schreiber, ebenfalls vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität und Mitautorin der Studie, erklärt geht aus den archäologischen Analysen auch hervor, dass die damalige westsibirische Bevölkerung «einen hoch entwickelten Lebensstil» führte, der auf den reichhaltigen Ressourcen der Taiga basierte. So fingen sie offenbar Fische im Fluss Amnya, jagten Elche und Rentiere mit Knochen- und Steinspeeren und ihre Fischöl- und Fleischvorräte konservierten sie in kunstvoll verzierten Töpferwaren.
Dauerhafte Siedlungen von Jäger-Sammler-Gemeinschaften in unterschiedlichsten
Teilen der Welt
Bisher konnte das Forschungsteam zehn steinzeitliche Festungsanlagen mit Grubenhäusern, die von Erdwällen und Holzpalisaden umgeben gewesen sind, nachweisen. Die Bauten belegten fortschrittliche architektonische und defensive Fähigkeiten der Taiga-Gesellschaften, heisst es dazu in der Medienmitteilung der Freien Universität Berlin. Und sie widerlegen laut dem Forschungsteam die Vorstellung, dass Ackerbau und Viehzucht Voraussetzungen für diversifizierte Gesellschaftsstrukturen gewesen sind.
Quelle: Teomancimit, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Der "Rund Hügel" respektive Göbekli Tepe in der Südosttürkei erzählt von rund 11'000 Jahren Siedlungsgeschichte. (Gesamtansicht des Grabungsfelds A)
«Die sibirischen Funde tragen zusammen mit anderen weltweiten Beispielen wie etwa Göbekli Tepein Anatolien zu einer umfassenderen Neujustierung bisheriger evolutionistischer Vorstellungen bei, die eine allmähliche Entwicklung von einfachen zu komplexen Gesellschaften nahelegen», sagt Piezonka. Jäger-Sammler-Gemeinschaften entwickelten in den unterschiedlichsten Teilen der Welt - von der koreanischen Halbinsel bis nach Skandinavien - grosse und oftmals dauerhafte Siedlungen. Dies, indem sie vor allem Gewässer als Nahrungsquellen nutzten.
In der westsibirischen Taiga spielte wahrscheinlich der natürliche Ressourcenreichtum – etwa jährliche Fischzüge und wandernde Herden – eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Jäger-Sammler-Forts. So dienten die befestigten Siedlungen mit Blick auf die Flüsse laut Piezonka möglicherweise als strategische Standorte zur Kontrolle und Ausbeutung der ergiebigen Fischgründe. «Der Wettbewerbscharakter, der sich aus der Lagerung von Ressourcen und der Zunahme der Bevölkerung ergibt, ist in diesen prähistorischen Bauten offensichtlich und widerlegt frühere Annahmen, dass es in Jäger- und Sammlergesellschaften keine grösseren Konflikte gab», so die Expertin. (mai/mgt)
Die Forschungsergebnisse sind im Fachmagazin Science vorgestellt worden.
Quelle: Nikita Golovanov
Die befestigte Anlage thront auf einem Geländesporn über dem fischreichen Amnya-Fluss.