Mehr Alpenpflanzen-Schutzgebiete wegen Klimawandel
Viele Alpenpflanzen zieht es wegen des Klimawandels in höhere Lagen. Dies sollte die Planung neuer Pflanzenschutzgebiete laut einer Studie unter Co-Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und der ETH Zürich berücksichtigen. Zudem zeigt sie, wo es neue Schutzgebiete braucht und dass eine grenzübergreifende Planung mötig ist.
Quelle: Petr Filippov, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Die Alpenaurikel gedeiht auf einer Höhe von bis zu 2900 Metern; in der Schweiz zählt die kleine Blume, die zur Familie der Primeln gehört, zu den geschützten Arten.
Als eine der grössten naturbelassenen Regionen in Europa sind allein in den Alpen rund 4500 Pflanzenarten – nicht mit eingerechnet die Moose – zuhause. Das ist etwa ein Drittel der gesamten Flora Westeuropas. 400 dieser Gewächse gedeihen ausschliesslich in den Alpen. «Das zeigt, wie wichtig dieses Gebirge für die Biodiversität Europas ist», sagt Yohann Chauvier-Mendes. Der Ökologe hat an der WSL zusammen mit einem internationalen Forschungsteam untersucht, wie das Mosaik aus geschützten Alpengebieten über alle sieben Alpenländer hinweg aussieht und wo es Ergänzungen braucht, damit die biologische Vielfalt jetzt und für die Zukunft bewahrt werden kann.
Pflanzenwelt zügelt in höhere Lagen
Wegen des Klimawandels müssen viele Pflanzen neue Standorte mit optimalen Überlebensbedingungen suchen. In den meisten Fällen bedeutet dies, dass sie in höhere Lagen umziehen. Solches wiederum bedeutet, dass viele von ihnen ihr Verbreitungsgebiet ändern werden und sich dabei möglicherweise aus geschützten Gebieten entfernen oder sich je nachdem in solche hinein bewegen. Überdies beeinflusst der Klimawandel auch die Landwirtschaft, was sich ebenfalls auf die Verbreitung der Alpenpflanzen auswirkenn kann: Zum Beispiel wenn der Wald aufgegebene Weiden überwächst. Durch solche Klimawandelfolgen könnten laut WSL zurzeit geschützte Gebiete an Bedeutung verlieren oder es könnten ausserhalb von ihnen neue Biodiversitäts-Hotspots entstehen. - Die Landesgrenzen spielen dabei keine Rolle.
Biodiversität in den Alpen heute, 2050 und 2080
Um herauszufinden, wie sich die Biodiversität der Alpenregion verändert, und um eine optimale Verteilung von Schutzgebieten planen zu können, damit sie bereits heute eine grössere Artenvielfalt umfassen, erstellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler digitale Verbreitungskarten einzelner Pflanzenarten. Sowohl zu heutigen Klima- und Landnutzungsbedingungen als auch zu den für die Jahre 2050 und 2080 erwarteten. «Wir haben dabei erstmals in einer solchen Untersuchung nicht nur die Anzahl von Arten betrachtet, sondern auch, wie einzigartig jede einzelne in Bezug auf ihre genetische Geschichte und ökologische Rolle ist», sagt WSL-Ökologe Niklaus Zimmermann, einer der leitenden Autoren der Studie.
In diese Karten trugen sie bereits existierende Schutzgebiete ein, deren Schutzstatus demjenigen des Smaragd-Natura 2000 Netzwerks und den Kategorien I und II der Weltnaturschutzunion (IUCN) entspricht – zum Beispiel den Schweizer Nationalpark. Hiervon ausgehend ermittelten sie dann mit Hilfe von Naturschutzplanungs-Simulationen Gebiete, die den Schutz der Pflanzen-Biodiversität im Alpenraum am besten erweitern und ergänzen – jetzt, 2050 und 2080.
Schweizer Alpen und die Meeralpen besonders betroffen
Dazu
ergänzten und erweiterten die Forschenden das Mosaik der Schutzgebiete
von 18 auf etwa 35 Prozent der Alpenfläche. Die Grundlage lieferte dazu
das am 15. Biodiversitätskongress der Vereinten Nationen vereinbarte «30
by 30»-Ziel (mehr dazu in untenstehender Box). Wie Chauvier-Mendes
erklärt waren in allen Simulationen die See- oder Meeralpen – oder der
Mittelmeerraum – sowie die Schweizer Alpen diejenigen Gebiete, die am
meisten zusätzlichen Schutz benötigten.
Das «30 by 30»-Ziel
Das Schlagwort «30 by 30» steht für das dritte der insgesamt 23 Ziele des «Kunming-Montreal Global Biodiversity» Framework: Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Land-, Küsten- und Wasserflächen der Erde durch Schutzgebietssysteme und andere «wirksame gebietsbezogene Erhaltungsmassnahmen» geschützt werden.
Der «Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal» wurde von den Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt auf der 15. Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen in Montreal angenommen.
Das «30 by 30»-Ziel betont unter anderem auch die Vernetzung von Schutzgebieten und deren Einbindung in grössere Landschaften. Die in den Kantonen angelaufende Planung der «ökologischen Infrastruktur» dient diesem Ziel. (mgt/mai)
«Gemäss unseren Simulationen müsste die Schweiz über den gesamten Höhegradienten die meisten neuen Flächen einrichten, da wir im Vergleich zu unseren Nachbarn insgesamt am wenigsten davon haben», so der Forscher. «Nur zwei Prozent des bestehenden Schutzgebiete-Mosaiks von streng geschützten Gebieten befinden sich in der Schweiz.» Allerdings gibt es hierzulande eine Reihe von Flächen, die zwar geschützt sind, aber nicht in die strikten IUCN-Kategorien I und II fallen. «Dazu gehören zum Beispiel grosse Jagdbanngebiete, Waldreservatsflächen oder die oft kleineren kantonalen Schutzgebiete, die für den Biodiversitätsschutz sehr wertvoll sind», erklärt Zimmermann.
Schutzegebiete über Landesgrenzen hinweg koordinieren
In den anderen Ländern sind es demnach vor allem bestimmte Höhenlagen, die mehr Schutzgebiete benötigen, wie die mittleren Höhenlagen in Österreich und die Tallagen in Frankreich und Deutschland. In diesem Zusammenhang zeigt die Analyse einen weiteren, wichtigen Punkt auf: «In den Alpen müsste der Schutz länderübergreifend koordiniert werden, damit er optimal wirkt», erklärt Chauvier-Mendes. Das trifft laut Chauvier-Mendes aktuell nicht für alle Alpenländer zu – dies sollte sich nach Ansicht des Forschungsteams ändern.
Nun soll das Thema noch vertiefter untersucht werden: «Wir haben nur analysiert, wo es zusätzlich zu den bestehenden Schutzgebieten neue braucht, um die Biodiversität in der Region auch 2050 und 2080 zu schützen», so Zimmermann. «Wie man die wichtigsten Knotenpunkte entlang geeigneter Migrationsrouten von Pflanzen am besten schützt, um deren Wanderung unter veränderten Klimabedingungen zu sichern, haben wir in den bisherigen Analysen nicht untersucht. Das wollen wir nun in einem weiteren Projekt angehen.» (mgt/mai)
Den Originalartikel lesen Sie hier: www.wsl.ch