09:08 VERSCHIEDENES

Sicherheitsprüfungen von Atommeilern: Kraftprobe für französische AKW-Betreiber

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Frankreichs Atommeiler werden älter. Weil es für sie keine gesetzliche Maximalbetriebsdauer gibt, müssen sie alle zehn Jahre eine aufwendige Sicherheitsüberprüfung bestehen. Dies bedeutet für die Électricité de France SA nicht nur eine gewaltige finanzielle, sondern auch eine logistische Kraftprobe.

Reaktoren von Tricastin in Frankreich

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Die Reaktoren von Tricastin gehören zu den ältesten in Frankreich. Sie stammen aus dem Jahr 1980. Reaktor 1 hat seine vierte Zehnjahresinspektion bereits hinter sich, Reaktor 2 wurde für die Inspektion Anfang Februar heruntergefahren. Die Kosten für Inspektion und Ertüchtigung liegen bei etwa 250 Millionen Euro pro Reaktor.

Frankreich ist die Atomenergienation Europas: Vier Fünftel des Stroms werden hier von Kernkraftwerken erzeugt. In der Schweiz ist es nur ein Drittel. Ein beträchtlicher Teil des französischen Atommeilerparks ist bereits um die vierzig Jahre alt. Statt, wie ursprünglich geplant, die alten Meiler stillzulegen und durch neue zu ersetzen, will die Betreibergesellschaft Électricité de France SA (EDF) einen guten Teil davon auch weiterhin am Netz lassen. Das ist prinzipiell möglich. Denn in Frankreich gibt es keine gesetzlich vorgesehene maximale Betriebsdauer.  

Allerdings muss jedes Kernkraftwerk alle zehn Jahre eine aufwendige mehrmonatige Inspektion bestehen, bevor es für ein weiteres Jahrzehnt am Netz bleiben darf. Weil der französische Atommeilerpark zum überwiegenden Teil in den 1970er-und 1980er-Jahren erbaut worden ist, stehen der EDF nun in wenigen Jahren mehr als dreissig solcher zeit-, personal- und kostenintensiven Inspektionen ins Haus. Die Dichte der Untersuchungen, mit denen die EDF in ihrem überalterten Reaktorpark rechnen muss, bedeuten einen gigantischen Kraftakt für das überschuldete Unternehmen.

Atomaufsichtsbehörde hat Zweifel

Normalerweise erfolgen die aufwendigen Inspektionen im Sommerhalbjahr, weil der Stromverbrauch dann geringer ist. Der betroffene Reaktor bleibt für mindestens ein halbes Jahr abgeschaltet, damit alle nötigen Untersuchungen durchgeführt werden können. Das enorme Pensum wird für die EDF, die ohnehin schon einen Schuldenberg von 42 Milliarden Euro vor sich herschiebt, nur schwer zu stemmen sein. 

Der Aufwand ist eindrücklich, wie man beim Reaktor «Tricastin 1» in der Drôme sehen konnte. Er ist der erste Reaktor, der diese vierte Zehnjahresinspektion durchlaufen hat. «Tricastin 1» war 1980 ans Netz gegangen. Für seine Prüfung und die Nachrüstung auf zeitgemässere Sicherheitsstandards musste die EDF mehrere Monate lang 1400 Personen abstellen. Hinzu kamen noch 5000 Angestellte von insgesamt 120 externen Firmen.

Einem Weiterbetrieb deutlich über vierzig Jahre hinaus steht in Frankreich zwar wie erwähnt grundsätzlich nichts im Wege. Allerdings gingen die Ingenieure bei der Planung wichtiger Teile von einer maximalen Laufzeit von vierzig Jahren aus. Auf dieser Basis wählten sie Materialien und Konstruktionsweisen. Bei gewissen Teilen ist ein Austausch ohnehin unmöglich. Das betrifft etwa den Reaktordruckbehälter oder den Betonmantel, der den Sicherheitsbehälter bildet, sowie zahlreiche Zuleitungen und Kabel.

«Das Wichtigste ist, die Alterungsmechanismen genau zu kennen und die Entwicklung zu verfolgen. Die Herausforderung liegt darin, sicherzustellen, dass uns nichts entgeht», sagt Julien Collet, stellvertretender Generaldirektor der französischen Nuklearsicherheitsbehörde (ASN), im Gespräch mit der Zeitung «Le Monde». Zwischen den Zeilen erwähnt die ASN dort auch, dass sie die Schraube gegenüber der EDF anzuziehen gedenkt. 

Sie verlangt erstmals einen jährlichen Rapport darüber, inwiefern diese den nötigen Nachrüstungen auch tatsächlich nachkommt, die für die heutigen Sicherheitsansprüche erforderlich sind.  Es brauche, so die ASN, von Seiten der EDF grosse Aufmerksamkeit, die umfangreichen Arbeiten zu planen und die Fähigkeit, die nötige Qualität der Arbeiten sicherzustellen. Die ASN ist dem Stromproduzenten bereits insofern entgegen gekommen, als sie den Abschluss weniger kritischer Nachrüstungen bis zu fünf Jahre nach der Inspektion als fristgerecht akzeptieren will.

Rheinwasserkraftwerk in Kembs

Quelle: Alexandra von Ascheraden

In Kembs (Elsass) steht das erste Rheinwasserkraftwerk von 1932. Es ist heute Bestandteil einer Kette von zwölf Kraftwerksanlagen. Seine durchschnittliche Jahresproduktion entspricht dem Stromverbrauch von 200'000 Menschen.

Vervierfachte Baukosten

«Es ist eine Art Test: EDF muss uns zeigen, dass sie in der Lage ist, diese Rezertifizierungen erfolgreich durchzuführen», so ASN-Präsident Bernard Doroszczuk gegenüber «Le Monde». «Erst dann können neue grosse Projekte angegangen werden.» Er bezieht sich darauf, dass die Nuklearenergieindustrie nach wie vor die Regierung für den Bau von Reaktoren der neuesten Generation gewinnen will. Das steht allerdings unter keinem guten Stern. 

Präsident Macron hat seinen Willen kundgetan, keine neuen Atomkraftwerke bauen zu wollen. Vermutlich hat dies auch mit Flamanville zu tun: Hier wollte die EDF den ersten einer Reihe von Meilern der neuesten Generation errichten. Die Inbetriebnahme war für 2012 angesetzt. Wegen zahlreicher Mängel ist er nach wie vor eine Baustelle. Das stärkt nicht gerade das Vertrauen in die Fähigkeiten der EDF, die nötige Qualität sicherzustellen.

Der 1600 MW-Reaktor in Flamanville sollte einen alten 800 MW-Reaktor ersetzen. Der als Prestigeprodukt gepriesene «Evolutionary Power Reactor», kurz EPR, ein Druckwasserreaktor der neuesten Generation, sollte sukzessive auch an anderen Standorten die in die Jahrzehnte gekommenen Reaktoren ablösen. Davon ist unterdessen kaum noch die Rede. Flamanville wird, so die aktuellen Einschätzung der EDF, frühestens 2023 ans Netz gehen. Bei Baubeginn im Jahr 2007 war der Energieproduzent noch von 3,4 Milliarden Euro Baukosten und einer Fertigstellung im 2012 ausgegangen.

Mangel reihte sich an Mangel. Und je genauer die ASN hinschaute, umso mehr fand sie. Aktuell geht die EDF von Baukosten von 12,4 Milliarden Euro aus. EDF (zu 83 Prozent im Besitz des französischen Staates) und der sich ebenfalls fast völlig im Eigentum Frankreichs befindliche Nuklearkonzern Areva streiten sich, wer für die Kosten geradestehen soll. Eine Areva-Tochter hatte mangelhafte Bauteile geliefert. Dies gilt zum Beispiel für den Reaktordruckbehälter, dessen fehlerhafte Schweissnähte erst bemerkt wurden, als er schon eingebaut war. 

Dann stellte die ASN stellte fest, dass der Kohlenstoffgehalt in der Stahldecke zu hoch war. Weil ein Ausbau extrem teuer gewesen wäre verlangte die ASN schliesslich nur, die defekten Schweissnähte zu reparieren. Das knackste dann selbst im traditionell Atomstrom-freundlichen Frankreich das Vertrauen in die Industrie und ihre Kontrolleure an. Zudem wurde Areva 2018, um eine Pleite abzuwenden, vom Staat mit mehreren Milliarden Subventionen unterstützt und dann in mehrere Gesellschaften aufgeteilt.

Zweifel an rentablem Betrieb

Dazu kommt, dass nach Berechnungen des Magistrats die Stromerzeugungskosten pro Megawattstunde im EPR vermutlich zwischen 110 und 120 Euro liegen werden. Das wäre doppelt so hoch wie jene der bereits in Betrieb befindlichen AKW. Auch erneuerbare Energien produzieren Strom längst günstiger. Die EDF selbst weigere sich seit zehn Jahren, ihre eigenen Prognosen für die Stromerzeugungskosten zu veröffentlichen, berichtet Le Monde. Der Grund liegt vermutlich auf der Hand.  Die Verlängerung der Betriebsgenehmigungen für die bestehenden Atomkraftwerke ist also umso bedeutender für die EDF. Nicht nur die französische Presse zweifelt immer wieder vernehmlich, ob es dem Unternehmen überhaupt noch gelingen kann, neue Reaktoren rentabel zu bauen und zu betreiben.

Frankreich hat angekündigt, den Atomstromanteil am Energiemix bis 2035 auf 50 Prozent zu reduzieren. Da es der EDF seit Jahren nicht gelingt, Flamanville funktionstüchtig zu bekommen, ist sie darauf angewiesen, ihre alten Reaktoren durch die vierte Zehnjahresinspektion zu bringen, um die Energieversorgung nicht zu gefährden. Im Vergleich zur europäischen Konkurrenz hinkt die EDF beim Aufbau von Sonnen- und Windenergie gewaltig hinterher, sie wird hier nicht so schnell aufholen können wie es nötig wäre.

Denn wegen der günstigen Atomstrompreise sind in Frankreich noch sehr viele Elektroheizungen in Betrieb. Auch der Ausbau der Gebäudeisolierung kommt kaum vom Fleck:  Der Staat hat zwar Förderprogramme aufgestellt. Aber sie werden ständig wieder umgestaltet und sind so kompliziert aufgebaut, so dass viele Hausbesitzer noch zuwarten. Der Strombedarf wird also vorerst nicht sinken und die EDF muss liefern.

Reaktor 1 in Tricastin

Quelle: falco, Pixabay-Lizenz

Für die Überprüfung und die Nachrüstung auf heutige Sicherheitsstandards des Reaktors 1 in Tricastin musste die EDF mehrere Monate lang 1400 Personen abstellen.

«Hercule» soll es richten

Um wenigstens ihren beachtlichen Schuldenberg elegant zu verschieben und an frisches Geld zu kommen hat die Electricité de France nun das Projekt «Hercule» ersonnen. Dafür soll der Nuklearpark abgespalten und als «EDF Bleu» rein in die öffentliche Hand übergeben werden. Die Kosten für den überalterten Nuklearpark und dessen Abbau darf dann der Steuerzahler finanzieren.  

Die Wasserkraftwerke, die elf Prozent des französischen Stroms produzieren, sollen als «EDF Azur» abgetrennt werden. In «EDF Vert» sollen dagegen die attraktiven verbleibenden Unternehmensteile eingebracht werden, unter anderem die erneuerbaren Energien und das Elektrizitätsunternehmen Enedis, das 95 Prozent des französischen Verteilernetzes betreibt. «EDF Vert» wäre für Investoren attraktiv und soll frisches Geld anziehen.

Derweil streikt die Belegschaft dagegen und die französische Presse zetert, dass die Kosten, etwa für den alternden Nuklearpark, auf die Allgemeinheit abgewälzt werden sollen, während die Gewinne in private Taschen flössen. Hierzu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Unbestritten ist aber, dass EDF dringend Zugang zu frischem Geld braucht. 

So läuft die Zehnjahresinspektion ab

Derzeit inspiziert die ASN einen weiteren Reaktor des Kernkraftwerks Tricastin im Rhonetal, nachdem auch dessen viertes Jahrzehnt auf sein Ende zugeht.

«Tricastin 2» wurde dafür in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar dieses Jahres vom Netz genommen. Nun wird der Reaktorbehälter von einem Roboter überprüft. Dessen Name lautet übrigens schlicht «machine d`inspection en service».  Im Rahmen der Inspektion wird auch der Druck in der Reaktorummantelung erhöht, um ihre Widerstandsfähigkeit und Dichte zu testen. Er wird dafür sechzehn Stunden lang auf 4 bar gehalten. 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kontrolle des hydraulischen Primär- und Sekundärkreislaufs. Er muss im normalen Betrieb 155 bar standhalten. Zur Kontrolle wird der Druck auf knapp 200 bar erhöht, um die Widerstandsfähigkeit von Leitungen und Schweissnähten zu überprüfen. Neben den Tests sind auch Bauarbeiten vorgesehen. Dazu gehören neben anderem bauliche Anpassungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel wie beispielsweise ein Schutz gegen Überschwemmungen oder Tornados.

Auch die Erdbebensicherheit wird erhöht. Im Fall von Tricastin etwa ist die Installation zusätzlicher Wasser- und Stromversorgungen sowie ein Kühlsystem vorgesehen. Bei allen Zehnjahresinspektionen verlangt die ASN, dass die Betreiberin die Reaktoren so weit als «wirtschaftlich vertretbar» an das Sicherheitsniveau der neueren Reaktorgenerationen annähert. 

Umweltschutzgruppen wie Greenpeace kritisieren jedoch, dass diese Wirtschaftlichkeit ein zu weicher Faktor sei. Die ASN verfüge zudem nicht über ausreichende Möglichkeiten, die Angaben der EDF dazu zu überprüfen. Für die detaillierten Untersuchungen, die zugehörigen Wartungsarbeiten und Erneuerungen von Bauteilen muss die EDF nach eigenen Angaben 1400 ihrer Angestellten mobilisieren. Hinzu kommen noch 5000 Angestellte von zwölf von weiteren Dienstleistern. (ava)

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Regelmässige freie Mitarbeiterin für das Baublatt. Ihre Spezialgebiete sind Raumplanung, Grünräume sowie Natur- und Umweltthemen.

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