Permafrost und Schnee: Von Erfahrungen Bhutans lernen
Das Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF erforscht in Bhutan auf über 5000 Metern Höhe Permafrost und Schneeverhältnisse. Zugleich entwickeln die Forscherinnen zusammen mit der lokalen Bevölkerung Massnahmen zur Reduktion von klimabedingten Risiken in der Bergwelt.
Quelle: Pema Eden / CNR-RUB
Nach sechs Tagen Fussmarsch mit rund 80 Kilometern Wegstrecke und mehr als 3000 Höhenmetern werden die Forscherinnen ihr Ziel auf dem Thana-Gletscher auf über 5000 Metern über Meer erreichen.
Nach intensiven Vorbereitungen von fast zwei Jahren, können Forscherinnen des Instituts für Schnee und Lawinenforschung (SLF) demnächst endlich ihre Reise in Richtung Himalaya antreten. Das eigentliche Ziel des Forschungsteams ist Bhutan. In Zeiten des Klimawandels sieht sich das Königreich am östlichen Rand des Gebirgszugs vor ähnliche Herausforderungen gestellt wie die Schweiz.
Geplant sind zahlreiche Experimente zu Permafrost und Schneeverhältnissen sowie die Sammlung von Daten zur Kryosphäre. «Dabei verwenden wir Methoden, die wir zuvor in der Schweiz getestet haben und die nun für die extremen Bedingungen dort bereit sind», sagt Nadine Salzmann, Leiterin der Forschungseinheit Alpine Umwelt und Naturgefahren am SLF. Die Kryosphäre umfasst unter anderem Gletscher, Meereis und Schneedecken, aber auch Schnee- und Eiskristalle in Wolken. Sie spielt im Klimasystem eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Wetters, des Meeresspiegels und der globalen Temperatur.
Bäuerinnen für Warnsystem einbeziehen
Und weil in Bhutan oft Frauen in der Landwirtschaft die Arbeit verrichten, sollen sie mit einem genderspezifischen Ansatz in die Risikoanalyse einbezogen werden. Die Bäuerinnen kennen die Verhältnisse vor Ort am besten, beobachten kleinste Veränderungen und können dadurch frühzeitig auf Gefahren wie Hangrutschungen, einem veränderten Wasserangebot oder ausbrechende Gletscherseen aufmerksam machen. Aufgrund des Wissens und der Sichtweise über die Lage vor Ort lassen sich durch den systematischen Einbezug der Einheimischen Frühwarnsysteme verbessern. «Es gibt nicht viele Studien dazu, wir wollen das Thema voranbringen», erklärt Salzmann.
Die Zusammenarbeit ermöglicht es zudem, die Sensoren aus der Schweiz weiterzuentwickeln und auf diese Weise die Datenmenge aus einer global weit abgelegenen Hochgebirgsregionen zu steigern, wie das SLF mitteilt. Auf dieser Basis sollen Strategien abgeleitet werden, wie sich die Menschen in Bergregionen an den rasch voranschreitenden Klimawandel anpassen können. Ein wichtiges Ziel ist auch, Ausbildung und Forschung vor Ort zu verbessern und insbesondere junge Frauen in der Wissenschaft zu fördern.
Zwischenstopp für Unterricht von Masterstudierenden
Vor der Feldarbeit ist noch ein Aufenthalt in Lobesa vorgesehen. Dort befindet sich das College of Natural Resources als Teil der Fakultät für natürliche Rohstoffe der Königlichen Universität von Bhutan. In Seminaren sollen Masterstudierende in Vorlesungen über die neuesten Erkenntnisse der Forschung zu den Themen Permafrost, Schnee und Gletscher im hochalpinen Raum informiert werden und welche Folgen Klimaänderungen und -extreme im Hochgebirge und tieferliegenden Regionen haben können.
Quelle: Pema Eden / CNR-RUB
Historische Bauten des College of Natural Ressources, der Fakultät für natürliche Rohstoffe der Königlichen Universität von Bhutan in Lobesa.
Zum Team gehören zwei Doktorandinnen aus Bhutan, was ungewöhnlich ist, denn der Anteil von Frauen, die an der Königlichen Universität eine Doktorandenstelle besetzen, ist niedrig. Komplettiert wird die Forschungsgruppe mit zwei Forscherinnen der Universität Freiburg (Schweizer Kooperationspartner) sowie einer Kollegin von Meteoschweiz. Die Forschungsarbeit ist Teil des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts Cryo-Spirit.
Auf dem Weg beginnt die Suche nach Risiken
Nach der Vermittlungstätigkeit an der Universität liegt ein Fussmarsch von 80 Kilometern vor den Forscherinnen, wobei mehr als 3000 Höhenmeter zu bewältigen sind. In sechs Tagen will die Gruppe ihre Forschungsfläche beim Thana-Gletscher auf über 5000 Metern erreichen. Bereits der Weg gehört zum Ziel der Forschungsreise. Auf dem Hinweg werden divers Daten gemessen und unter anderem rund 30 Sensoren installiert, um die Temperatur des Permafrosts jeweils im Abstand von hundert Höhenmetern zu messen. Um künftig selbständig Daten erheben sowie die Messgeräte installieren und warten zu können, werden die einheimischen Wissenschafterinnen mit den Funktionsweisen der Geräte vertraut gemacht.
Quelle: Pema Eden / CNR-RUB
Und hier die neuen Gebäude des College of Natural Ressources.
Zudem kartieren die Forscherinnen Landformen, die auf Permafrost hindeuten. Dazu zählen etwa Schutthänge, Gletschervorfelder und eisgefüllte Moränen von Blockgletschern. Das Team konzentriert sich dabei auf Stellen mit möglichen Risiken durch auftauenden Permafrost. Dabei besteht die Gefahr, dass beispielsweise Seen hinter Moränenenwällen plötzlich ausbrechen und das darunter liegende Land überfluten können. Ziel ist es laut Salzmann, die erste regionale Karte des potenziellen Permafrostvorkommens in Bhutan zu erstellen.
Dialog auch mit Politik und Königshaus
Auf dem Thana-Gletscher selbst wird das Team unter anderem ein Messinstrument installieren, um das Schneewasseräquivalent (SWE) kontinuierlich und auf den Tag genau zu bestimmen. Ausserdem ersetzt und ergänzt es mehrere bereits vor Ort vorhandene Instrumente, um die wichtigste Forschungsfläche Bhutans für Kryosphären-Messungen zu optimieren, wie es in der Mitteilung des SLF heisst. Vor der Rückkehr in die Schweiz will Salzmann die lokale Bevölkerung sowie Personen aus Politik und Königshaus für die Risiken in der Region sensibilisieren und gemeinsam Massnahmen erörtern. Für den Umgang mit Risiken sei es das Ziel, die Regierung bei diesem Projekt frühzeitig an Bord zu holen, sagte die Forscherin.
Schneewasseräquivalent messen
Eine Schneedecke besteht aus zahlreichen Schichten mit mehr oder weniger stark zusammengepresstem, verdichtetem Schnee. Das Schneewasseräquivalent (SWE) gibt an, wie hoch eine Wasserschicht nach dem Schmelzen der Schneedecke wäre, angegeben in Millimeter. Jeder Millimeter entspricht einem Liter Wasser pro Quadratmeter Schneedecke. Ein Zentimeter Neuschnee mit einer typischen Dichte von hundert Kilogramm pro Kubikmeter ergibt einen Millimeter Wasser. Ein Beispiel: Auf dem Versuchsfeld Weissfluhjoch betrug Mitte April 2024 die mittlere Dichte der Schneedecke 416 Kilogramm pro Kubikmeter, was bei einer Schneehöhe von 2,7 Metern einem Wasserwert von rund 1100 Millimetern beziehungsweise 1100 Litern Wasser pro Quadratmeter entspricht. Das SWE wird in traditioneller Weise gemessen, indem man eine Schneesäule mit bekanntem Volumen wiegt. Das Messinstrument, das in Bhutan zum Einsatz kommt, basiert auf der Methode der kosmischen Strahlung. Dabei werden unter der Schneedecke Neutronen aus der natürlich vorkommenden kosmischen Strahlung detektiert. Deren Intensität hängt von der Schneemenge ab. So lässt sich das Schneewasseräquivalent kontinuierlich messen. (mgt/sts)