Passagierflugzeug der Zukunft im Lärmcheck bei der Empa
Künftig könnten statt der heute üblichen, röhrenförmigen Verkehrsflugzeuge auch anders geformte Maschinen unterwegs sein: Jets mit sogenanntem Blended Wing Body wären effizienter und leiser. Wie ihre Geräuschemissionen auf Menschen wirken könnten, untersuchte ein Team der Empa im Akustiklabor .
Quelle: Tim Kuhn, Unsplash
Ein Flugzeug hebt beim Flughafen Zürich ab. Seit Jahren sorgt der Fluglärm in der Umgebung für die Diskussionen.
Rund vier Millionen Menschen waren in Europa laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur im 2017 zu hohen Fluglärmpegeln ausgesetzt. In der Schweiz oder vielmehr im Gebiet um den Fluthafen Zürich sorgt der Ärger über den Fluglärm derweil immer wieder für Diskussionen, etwa wenn es um den Ausbau von Flugpisten geht.
Eine zumindest teilweise Lösung für solche Probleme könnten neuartige Flugzeuge mit einem sogenannten Blended Wing Body (BWB) bieten: Die Flügel scheinen wie die Flossen eines Mantas nahtlos aus dem Rumpf zu wachsen, was den Luftwiderstand und damit den Treibstoffverbrauch mindert. Und weil sich die Triebwerke oben statt unten am Bauch befinden, sind die Lärmemissionen solcher Maschinen zum Boden hin geringer.
Fluglärm simulieren
Die Geräuschemissionen solcher Flieger lassen sich zwar mit Simulationstools abschätzen. Ihre Wirkung auf Menschen kann aber nur real erfasst werden, indem die subjektive Wahrnehmung von Betroffenen berücksichtigt wird. An der Empa verfolgen Akustikfachleute seit rund zwei Jahren den Ansatz der sogenannten Auralisation für Höreindrücke: Wie die Visualisierung eines Architekturprojekts den optischen Eindruck eines noch nicht gebauten Gebäudes sichtbar machen kann, kann die Auralisation hörbar machen, wie etwas in der Realität tönen kann. Auf diese Weise erforschte man an der Empa auch schon wie Bahnlärm entsteht. (Mehr dazu im Artikel Simulationstool der Empa: Was hilft gegen den Lärm der Bahn? vom 25.9.2023)
Quelle: NASA/The Boeing Company, Gemeinfrei
Das Blended-Wing-Body-Konzept gibt es schon länger. Die Visualisierung zeigt eine Boeing X-48. Die Gastriebefan-Triebwerke sind oben, am hinteren Ende des Flugzeugs platziert.
Dieses Wissen nutzten Reto Pieren, Axel Heusser und Beat Schäffer von der Abteilung «Akustik / Lärmminderung» auch im europäischen Projekt ARTEM (Aircraft Noise Reduction Technologies and related Environmental iMpact). Im Rahmen von ARTEM entwickelten zahlreiche Partner Konzepte für lärmarme Langstreckenflugzeuge mit einem eigens entworfenen BWB und unterschiedlichen Triebwerkvarianten. Zusätzlich wurden weitere Technologien zur Lärmminderung berücksichtigt: zum Beispiel eine Flügelhinterkante mit optimierten Krüger-Klappen oder moderne Getriebefan-Triebwerke mit einem grossen Verhältnis des Luftstroms ausserhalb der Brennkammer zum Luftstrom des heissen Abgasstrahls, was den Lärm deutlich reduziert.
Doch schneiden solche neuartigen Langstreckenflugzeuge für rund 400 Passagiere im Vergleich zu herkömmlichen Flugzeugen tatsächlich besser ab? Auf der Basis von physikalischen Gesetzen erzeugte das Empa-Team mittels Software Lärmsimulationen von Überflügen. Danach überprüfte man die Simulationen mit Aufzeichnungen von An- und Abflügen heutiger Flugzeuge rund um den Flughafen Zürich. Dabei zeigte sich, dass die simulierten Geräusche so gut mit den Messdaten gut übereinstimmten, dass sie für den Vergleich mit den simulierten Geräuschen von BWB-Flugzeugen verwendet werden konnten.
Wenn Flugzeuge im Labor starten und landen
Quelle: Empa
Testlabor der Empa: Die Anordnung des Lautsprecher-Arrays erlaubt eine räumliche Klangwiedergabe von künstlichen Überflügen.
Um zu erfassen, wie störend die Lärmimmissionen der unterschiedlichen Verkehrsflugzeuge beim Überflug auf Menschen wirken, nahmen 31 Personen im Alter von 18 bis 61 Jahren an Versuchen im «AuraLab» der Empa teil. Die räumlichen Simulationen aus den präzisen angeordneten Lautsprechern umfassten – nach einem Durchgang zur Gewöhnung – 36 Überflüge: Starts und Landungen herkömmlicher und neuartiger Flugzeugtypen, jeweils in unterschiedlichen Flugphasen. Wie die Empa schreibt, beinhalteten die Lärmszenarien auch Details wie Klappenstellungen, die Position des Fahrwerks sowie atmosphärische Bedingungen, zum Beispiel Turbulenzen oder Schallreflexionen am Boden.
Es zeigte sich, dass die Lärmbelästigung beim neuartigen BWB-Flugzeug im besten Fall um 4,3 Einheiten schwächer bewertet worden ist, als beim herkömmlichen Passagierjet. Ein laut Empa deutlicher Unterschied. Dieser sei auch daran gelegen, dass der virtuelle Flieger in der Simulation mit weiteren Technologien zur Lärmminderung oder besonders emissionsarmen Triebwerken ausgestattet gewesen sei.
Zudem zeigten die Befragungen auch, dass Starts dieses Flugzeugtyps einen Klangeindruck hinterliessen, der den Teilnehmenden weniger vertraut war. Laut den Experten weist dies auf ungewöhnliche akustische Merkmale hin, die wahrscheinlich auch das Belästigungsempfinden positiv beeinflussen dürfte.
Welche Variante
eines BWB-Flugzeugs sich in Zukunft durchsetzen kann, lässt sich
angesichts vieler möglicher Varianten kaum vorhersagen. Eines ist laut
Reto Pieren aber sicher: «Der stärkste Beitrag zur Lärmminderung stammt
zweifellos von der Form des Flugzeugs, die den Triebwerkslärms nach
unten abschirmt.» Weitere Technologien zur Lärmminderung machen laut
Pieren nur etwa 15 Prozent der Reduzierung der Belästigung aus.
(mgt/mai)
ARTEM
«ARTEM» («Aircraft noise Reduction Technologies and related Environmental iMpact») war ein fünfjähriges Forschungsprojekt, das sich ab Ende 2017 mit neuartigen Technologien zur Lärmreduzierung für Flugzeugkonfigurationen ab 2035 und 2050 befasste.
Zum einen wurden innovative Ansätze entwickelt, um den Fluglärm an der Quelle zu mindern. Zum zweiten befasste sich das Projekt mit Konzepten, um Triebwerkslärm und andere Lärmquellen durch neue Materialien effektiv zu dämpfen.
Die neuen Technologien mündeten in das Design eines künftigen Jets mit «Blended Wing Body». Beteiligt an dem Grossprojekt waren 24 Partner aus zehn europäischen Ländern, darunter das französische «Office national d’études et de recherches aérospatiales» (ONERA) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das das Projekt koordinierte, die Universität Rom III und die EPFL. Finanziert wurde «ARTEM» im Rahmen des EU-Förderprogramms Horizon 2020. (mgt)
Konkretes Konzept: Dieses Design des Flugzeugs wurde im Rahmen des «ARTEM»-Projektes entwickelt. Bild: Umberto Iemma, Universita' Roma Tre