Neues Wohnen: Raus aus der Stadt ins Grüne
Wohnen im Grünen ist der Traum vieler Menschen. Und ist das Grundstück noch so klein, bringt ein Garten ein besonderes Flair in die private Wohnwelt. Der Freiraum um das Haus wird als Gegenpol zum Berufsalltag genutzt. Ein Buch widmet sich dem Thema.
Quelle: Richard John Seymore
Für eine Familie aus Lissabon entwarf das Architekturbüro Atelier Data ein Ferienhaus in der Küstenlandschaft von Cercal. Das langgestreckte Volumen mit Satteldach erinnert an die schlichten Bauernhäuser von Alentejo.
Ein Haus mit einem Garten, den man hegen und pflegen oder wo man sich am Feierabend und an den Wochenenden entspannt zurückziehe kann, ist der Traum vieler Schweizer. Vielleicht noch eingebettet in eine schöne Landschaft mit Aussicht in die Berge oder auf den See, sind solche Häuser wahre Sehnsuchtsorte. Vor allem in den letzten zwei Corona-Jahren hat sich der Run auf diese Immobilien verstärkt.
Jeder, der es sich irgendwie leisten konnte,
sucht nach eigenen vier Wänden oder wenigstens einer temporären Bleibe ausserhalb
der Städte. Die zuvor so oft beklagte Landflucht hat sich ins Gegenteil
gewendet. Denn ein eigenes Haus mit Garten, viel Platz und Natur waren in den
vielen Wochen des Eingesperrtseins und Distanzhaltens der absolute Luxus.
Eine Umfrage von Swiss Life ergab, dass der Aspekt des Wohnens im Grünen und eines eigenen Gartens oder einer Terrasse bei den Schweizerinnen und Schweizern im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bei rund 30 Befragten höher gewichtet wird als zuvor. Aber bereits zuvor war das Wohnen in Einfamilienhäusern sehr beliebt. Seit 1970er-Jahren boomt diese Wohnform, rund sechs von zehn Gebäuden in der Schweiz sind inzwischen Einfamilienhäuser. Dabei ist auch eine zunehmende Wohnfläche pro Kopf zu registrieren.
Im Jahr 2020
lebte durchschnittlich jeder Schweizer auf 46,3 Quadratmetern Wohnfläche. In
ländlichen Gebieten wie Appenzell, Schaffhausen, Thurgau oder Solothurn lag
diese Zahl sogar bei über 50 Quadratmetern. In Genf hingegen lebte man auf
durchschnittlich 36,9 Quadratmetern am beengtesten.
Natürlich sind auch bei den Häusern enorme Unterschiede zu
erkennen. Diese liegt bei einem Neubau vor allem am Kontostand, aber auch an
der Verfügbarkeit von Grundstücken. Bauland steht immer weniger zur Verfügung,
ist also rar und deshalb teuer. Die Siedlungsflächen nehmen heute schon fast
acht Prozent der Flächen ein. Zudem wächst die Bevölkerung kontinuierlich und
der Wohnraum wird knapp. Um die Landschaft und die landwirtschaftlichen
Nutzflächen zu schonen, wird immer mehr auf Verdichtung gesetzt. Dann werden
die bisher unbebauten Nachbargrundstücke überbaut. Glück hat, wer ein grosses
Grundstück sein eigen nennt.
Quelle: Jury Troy
Der alte, grosselterliche Steckhof im Weingraben im Burgenland (Österreich) wurde zum Domizil für eine Familie und dafür mit einem Ergänzungsbau erweitert.
Leben im Grünen, nicht auf dem Dorf
Wohnen im Grünen und/oder mit Aussicht wird immer schwieriger. Doch es gibt sie, die Traumhäuser im Grünen. Manche haben schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel, andere wurden aus alten Gebäuden neu erfunden, weitere wurden nagelneu nach den Wünschen des Bauherrn konzipiert. Bereits Architektur-Legenden wie Ludwig Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wright schufen für ihre Kunden solche Refugien, die sie ideal in ihre Standorte einpassten wie das „Farnsworth House“ in Illinois oder „Fallingwater“ in den Allegheny Mountains in den USA.
Herausgeberin Sandra Hofmeister hat im von Edition Detail veröffentlichten
Buch „Zu Hause, Architektur zum Wohnen im Grünen“ 26 Beispiele
zusammengetragen, die eine Balance zwischen individuellen Träumen und
ökologisch sinnvoller Architektur suchen. Sie spiegeln das breite Spektrum
wider, wie sich das Leben auf dem Land inzwischen verändert hat. Es ist mehr
ein Domizil im Grünen, denn die wenigsten Bewohner werden auch vor Ort einer
Tätigkeit nachgehen, sondern pendeln bevorzugt in die nahegelegenen Städte und Ballungszentren.
Architekten und Bauherrschaften müssen sich inzwischen immer
mehr auf Kompromisse einlassen, denn oft steht nicht allein das Budget an
erster Stelle. Es stellt sich immer mehr die Frage: Ist es verantwortungsvoll,
angesichts der zunehmenden Flächenversiegelung, schwindender Landressourcen und
des Klimawechsels ein Eigenheim zu bauen? Wer heute plant und baut, muss
Konzepte für den verantwortungsbewussten Umgang mit den Landreserven,
Ressourcen und Materialien, energetische Fragen und Emissionen und nicht
zuletzt das Recyclings und die Kreislaufwirtschaft mit einbeziehen.
Quelle: Leth & Gori,
Idylle pur inmitten der Natur in Fredensborg, Dänemark: Dieser Bungalow aus den 60er-Jahren wurde zu einem zeitgemässen Feriendomizil umgebaut. Neue Dachaufbauten schaffen jetzt zusätzliche Wohnfläche, grosse Glasfronten an der Fassade und im Dach bringen viel Licht ins Gebäude.
Individuelle Modelle des Lebens in der Natur
Die Auswahl der Projekte für dieses Buch fiel sicher nicht
leicht. Doch es zeigt, dass der Trend der sterbenden Dörfer, wie er über lange
Zeiten in Bayern, Graubünden oder im Piemont und der Lombardei zu verzeichnen
war, vielleicht doch aufgehalten werden kann. Eine Revitalisierung mit
Konzepten, die den Bewohnern die gewünschte Lebensqualität ermöglichen, kombiniert
mit alternativen Arbeitsformen wie Homeoffice, sollte es ermöglichen, die Leute im Ort zu halten oder gar neue anzulocken.
Die vorgestellten Häuser dienen dem Wohnen und für die Ferien. Sie befinden sich zum grössten Teil in ganz Europa, unter anderem in Schweden, Deutschland, Slowenien, Finnland oder Belgien, aber auch in Übersee wie in Chile und Australien. Ihre Standorte in den verschiedensten Klimazonen erfordern sehr differenzierte Konstruktionslösungen. Vier der Gebäude wurden in der Schweiz errichtet. Sie stehen in Lancy GE, Elsau ZH, Tamis GR und im Valle di Muggio TI.
Haus mit minimalen ökologischen Fussabdruck
Auf 24 schmalen Holzstützen steht ein Leichtgewicht nahe des
Bahnhofsgeländes im Genfer Vororts Lancy. Ein Teil des erhöhten Wohnhauses dient
als überdachter Autoabstellplatz. Vom komplett verglasten Entree führt eine
Wendeltreppe in den Wohnbereich. Der grosse, offene Raum wird durch die breiten
Lichtbänder der Sheddächer sowie einen verglasten Patio und eine raumhohe
Verglasung zum Balkon mit Tageslicht erhellt. Der Dachtyp wurde von Architekt
Leopold Banchini bewusst gewählt. Er stellt einen Bezug des Gebäudes zu den
benachbarten Gewerbehallen entlang der Bahngleise her.
Die Holzskelettkonstruktion ermöglicht Materialminimierung
und dadurch ein geringes Gewicht. Die Bauteile wurden grösstenteils
vorgefertigt, wodurch die Bauzeit minimiert werden konnte. Verkleidet ist das
Gebäude mit dunklem Tannenholz, an den Innenwänden verblieben die werkseitig
gelieferten, weiss lasierten OSB-Platten. Eine Wärmepumpe anstelle einer Heizung
mit fossilen Energien setzt das Haus insgesamt auf einen kleinen ökologischen
Fussabdruck.
Quelle: Laura Stamer
Die "Skylights" mit Oberlichtverglasung bringen viel Licht ins Innere des Ferienhauses in Fredensborg. Durch mehr Höhe und eine veränderte Lichtstimmung entsteht ein neues Wohngefühl.
Neue Dachaufbauten und viel Glas
Einen Bungalow aus den 60er-Jahren haben die Architekten Leth & Gori in Fredensborg, 40 Kilometer nördlich von Kopenhagen, zum Familiendomizil umgebaut. Die Kubatur des U-förmig angelegten Bestandsgebäudes mit Flachdach durfte weder durch eine zusätzliche Etage noch flächenmässig erweitert werden. Eine originelle Lösung brachte Abhilfe: Fünf verschiedene Dachaufbauten schaffen 35 Quadratmeter zusätzlichen Wohnraum zur zweigeschossigen Nutzung der Kinder- und Schlafzimmer. Zusätzlich bringen sie viel Licht ins Gebäude, denn die mit schwarzen Bitumenbahnen eingedeckten Aufbauten wurden mit grossen Glasfronten versehen.
Das Gebäude wurde energetisch saniert und optisch durch eine neue
graue Klinkerfassade aufgepeppt. Eine vollständig verglaste Hoffassade verbindet die Wohnräume mit dem Aussenbereich. Das Erscheinungsbild des Gebäudes hat
sich entscheidend verändert. Trotz der starken Eingriffe in den räumlichen Aufbau
und gestalterischen Charakter des Originalbestands konnten das begrenzte Budget
der Bauherren durch einen grossen Anteil an Eigenleistungen eingehalten werden.
Dem Original täuschend ähnlich, nur zeitgemäss
Inmitten der dänischen Küstenlandschaft wurde die genaue Rekonstruktion eines typischen Holzhauses anstelle des baufälligen Originals wiedererrichtet. Das nach den Plänen von Ivar Bentsen 1905erbaute Landhaus im Cottage-Stil gehörte zu einem Ensemble historischer Ferienhäuser. Der Neubau musste laut behördlichen Vorgaben in Aussehen und Kubatur dem Original gleichen.
Innen war den Johansen Skovsted Arkitekter aber Freiraum zur Gestaltung gelassen. Dennoch wollten die Architekten bewusst Bezüge zur Vergangenheit setzen. Das Haus mit der dunkelroten Holzfassade mit Fenstern mit geschnitzten Pfosten und dem kleinen Eingangsportal schein detailgetreu wiederaufgebaut. Allerdings sind die Wände nicht mehr massiv in Blockbauweise, sondern zeitgemäss als Holzrahmenbau mit Kiefernbretter-Schalung errichtet.
Die
Innenwände sind hell gehalten und geben den Räumen mehr Volumen. Dem
zeitgemässen Leben entsprechend wurde die Raumaufteilung verändert und ein
zusätzliches Bad eingebaut. Trotz alledem ist im neuen Haus das Flair des Alten erhalten geblieben.
Farben und massgefertigte Schreinerarbeiten fügen sich zu einem stimmigen
Gesamteindruck, in dem sich historische Bezüge und modernes Wohnen kombinieren.
Quelle: Frank Kaltenbach
Die schimmernde Fassade aus transluzenten Polycarbonatplatten lässt das Einfamilienhaus aus dem biederen Umfeld der schwäbischen Gemeinde Esslingen herausstechen.
Der Polycarbonat-Kubus im Schwäbischen
Ein komplett diverses Wohnen wünschten sich die Besitzer des
ungewöhnlichen Einfamilienhauses in Esslingen, Deutschland. Die schimmernde
Fassade aus transluzenten Polycarbonatplatten hebt sich komplett von der
ortüblichen Bebauung in der Hangsiedlung ab. Das kleine Grundstück auf
abfallendem ermöglichte nur eine maximale Hausgrösse mit 4,70 Metern Breite und 14
Metern Länge. Um so wenig wie möglich an Fläche zu verlieren, entschied sich
Architekt und Besitzer Thomas Sixt Finckh für den Einsatz weisser
Polycarbonatstegplatten als Fassadenmaterial an den Längsseiten.
Die nur 60 Millimeter starken Platten sind lichtdurchlässig, aber verhindern den Einblick von aussen und besitzen zudem gute Dämmeigenschaften. Eine zweite, 40 Millimeter starke Polycarbonatschale dämpft die Aussengeräusche. An den Stirnseiten wird der Lichteinfall mittels schaufenstergrosser Verglasungen gewährleistet. Sie ermöglichen den Blick aufs Neckartal bis zur Schwäbischen Alb.
Trotz kostengünstiger Materialien und reduzierter Details
überrascht das Haus mit seiner Atmosphäre. Die lichtdurchlässigen Platten
tauchen die Räume in ein ständig wechselndes Lichtspiel und zeichnen zugleich die
Silhouetten der nahestehenden Bäume ab.
Egal wo sie stehen, alle vorgestellten Objekte haben
dieselbe Basis: Ihnen liegt ein sorgfältiges architektonisches Konzept
zugrunde. Jede Lösung wurde individuell durchdacht und auf die Bedürfnisse und
Wünsche des Nutzers aushgelegt. Ausgewählte Materialien und Details, flexible Grundrisse
und moderne technische Lösungen sind auf einen langen Lebenszyklus
ausgerichtet. Damit der Traum von einem Haus im Grünen auch lange gelebt werden
kann.
Buchtipp
Quelle: zvg
Cover Zu Hause. Architektur zum Wohnen im Grünen,
Zu Hause. Architektur zum Wohnen im Grünen
Sandra Hofmeister (Herausgeberin) Mit Beiträgen von Wolfgang Bachmann, Sandra Hofmeister und Heide Wessely, Edition DETAIL, München, September 2021, 304 Seiten, zahlreiche Fotos und Zeichnungen, Flexcover, Deutsch / Englisch ISBN: 978-3-95553-554-4, 92,25 Franken