15:56 VERSCHIEDENES

Mit dem Wasserschöpfrad an der Glatt die Biodiversität zum Blühen bringen

Teaserbild-Quelle: Empa

Indem sie Wiesen systematisch bewässerten, sorgten Landwirte einst für reiche Heuernten. Diese Methode wird im Kanton Zürich von Naturfreunden wieder zum Leben erweckt – mit Hilfe der historischen Technologie eines Wasserschöpf-Rades und der Empa.

Wasserschöpfrad kurz nach seiner Fertigstellung am Ufer der Glatt

Quelle: Empa

Sechs Meter Durchmesser, acht Tonnen schwer: Das Wasserschöpfrad kurz nach seiner Fertigstellung am Ufer der Glatt. Für einen robusten Betrieb wurde beim Schöpf- und Schüttmechanismus auf bewegliche Teile verzichtet.

Libellen surren durch die sonnige Glattebene. Bläulinge und andere  bunte Falter flattern von Blüte zu Blüte. Geburtshelferkröten auf der Suche nach einem Weibchen lassen ihren Ruf hören, während eine Ringelnatter im feuchten Gras auf Beute lauert. Ein vielfältiges Biotop für bedrohte Arten. Es soll in der einstigen Aue «Hundig» bei Glattfelden im Zürcher Unterland entstehen. Möglich machen soll es einer alten landwirtschaftlichen Methode: Die Wässerung von Wiesen hat ihren Ursprung wohl im Mittelalter und konnte die Heuernte mehr als verdoppeln. Und um Wasser aus Flüssen und Bächen dorthin zu transportieren, verwendeten Bauern in Franken (Deutschland) um 1800 dazu fast 200 Wasserschöpf-Räder.

Diese Technologie soll in der Region um die Glatt wieder auferstehen. «Ein ökologisches und kulturhistorisches Projekt also», wie Projektleiterin Daniela Eichenberger vom Verein «Wässerwiesen im Hundig» sagt. Doch dazu war auch Hilfe von Fachleuten wie Silvain Michel von der Empa-Abteilung Mechanical Systems Engineering nötig. Er arbeitete an der Umsetzung des Schöpfrades mit – auf der Basis eines 1:5-Modells, das der Metallbau-Unternehmer Bernhard Krismer in Wallisellen entworfen und gebaut hatte. „Die ersten Tests mit diesem Schöpfrad haben gezeigt, dass es prinzipiell funktioniert“, sagt Michel. Doch das war erst der Anfang der Arbeit. Denn Fragen stellten sich noch einige: Wie tief sollte das stählerne Rad mit einem Durchmesser von immerhin sechs Metern in die Glatt hineinragen? Würde die Wasserkraft des flachen Flusses an der geplanten Stelle genügen, um es anzutreiben? Und dabei die nötige Wassermenge zu heben, die dann aus den Schöpfbehältern in eine Rinne hin zu den Wiesen fliesst?

Glatt wurde neu vermessen

Wasscherschöpfrad, Schema

Quelle: Empa

Aus den Schöpfbehältern fällt das gesammelte Wasser über ein schröges Ablaufblech in die Sammelrinne. Von dort wird es schliesslich über einen Kanal in der Nähe vom Bahnhof Glattfelden in zwei Zielgebiete geleitet. Die Bewässerung der Wiesen erfolgt über Umleitungsbauwerke, die sich öffnen und schliessen lassen. Überschüssiges Wasser wird in die Glatt zurückgeführt.

Die ersten Recherchen zeigten, dass die hydraulischen Daten über die Glatt an dieser Stelle teils widersprüchlich waren. Deshalb wurde der Fluss mit seinen Wasserständen am geplanten Standort von Fachleuten neu vermessen. Um Zuge dessen, beschloss man schliesslich, die Schwellen des Flussgrundes zu verändern. Oberhalb des Schöpfrades wurde die Schwelle um 30 Zentimeter angehoben, unterhalb um 30 Zentimeter abgesenkt. Aus zwei «Stufen», über die die Glatt dort in Richtung des Rheins fliesst, wurde somit eine einzige grössere, die ein nutzbares Gefälle von knapp einem Meter bietet und damit die potenzielle Energie des Wassers, die es für den Antrieb des Rades braucht, erhöht.

Dennoch zeigten erste Analysen, dass die Wasserkraft knapp werden könnte. Zumal die Entnahme aus dem Fluss begrenzt ist. Denn die vorgeschriebene Restwassermenge der Glatt von 1070 Litern pro Sekunde muss stets eingehalten werden – und die Entnahme wurde auf die nötigste Menge beschränkt: maximal 120 Liter pro Sekunde. Diesen Bedarf hatten Vorversuche im Jahr 2019 auf den Wiesen ergeben. Bei Temperaturen über 20 Grad wird die Menge jedoch stufenweise reduziert – bis auf ein Viertel - abhängig von der Abflussmenge der Glatt in den Rhein, die rund um die Uhr erfasst wird.

Schliesslich wollen alle Beteiligten den langfristigen Klimaschutz im Blick behalten – und auch die Interessen des ansässigen Fischereivereins, der sich um den Wasserstand und seinen Fang, darunter begehrte Forellen, sorgte und Einsprache gegen das Konzessionsgesuch erhob. «Ich habe dafür volles Verständnis», sagt Metallbaumeister Krismer, Konstrukteur des Schöpfrads, der schliesslich selbst ein Angler ist. Und auch Projektleiterin und Biologin Daniela Eichenberger, die seit 2016 für das Projekt zuständig ist, freut sich, dass durch die gelungenen Verhandlungen eine sinnvolle Lösung gefunden wurde: «Jetzt geht es an die Umsetzung!»

Ein Kropf unter dem Wasserschöpfrad

Unter diesen Bedingungen den zuverlässigen Antrieb des Acht-Tonnen-Schöpfrades zu sichern, erwies sich für Empa-Forscher Silvain Michel freilich als Knacknuss. In ersten Kalkulationen war von einem Wirkungsgrad von 90 Prozent ausgegangen worden - ein extrem günstiges Verhältnis von zugeführter zu genutzter Energie. Doch Literatur-Recherchen zeigten, dass so ein «unterschlächtiges» Wasserrad, das vom Wasser von unten her angetrieben wird, gewöhnlich nur bis zu 40 Prozent erreicht. «Das Maximum sind 50 bis 60 Prozent», sagt Michel, «die ursprüngliche Annahme war also zu optimistisch.»

Was tun? Michel suchte Rat bei einem Experten: Michel Dubas, Hydraulikfachmann und emeritierter Professor von der Fachhochschule des Wallis in Sion, stellte sein Wissen und seine Erfahrung zur Verfügung – unentgeltlich übrigens, wie der Empa-Forscher betont. Und nach gemeinsamen Überlegungen schlug Dubas eine simple und gleichzeitig effiziente Lösung vor: ein «Kropf» in der stählernen Sohle unter dem Schöpfrad – also eine gezielte Ausbeulung nach unten, die dafür sorgt, dass sich das Wasser nochmals deutlich beschleunigt, bevor es in die Schaufeln des Rads drückt.

Glatt

Quelle: Empa

An dieser Stelle nahe Glattfelden wird das Wasser der Glatt ab dem kommenden Jahr das Schöpfrad antreiben – und ein Teil davon wird die Wässerwiesen speisen. Bild: Empa

Mit dieser Idee und anderen Details, so errechneten die Hydraulik-Fachleute, erreicht die Förderleistung des Rades knapp die geforderten Werte. Und sie sind überzeugt, dass die Leistung auch trotz einiger technischer «Bremsen» des Wasserflusses genügt: Ein Rechen vor dem Rad muss schliesslich Schwemmmaterial wie Äste abhalten. Zudem soll ein «Vorhang» aus stählernen Ketten im Wasser mit seinem Lärm dafür sorgen, dass Fische in der Glatt bleiben und sich nicht in den Abzweigkanal zum Schöpfrad verirren.

Videokameas zeigen ob Technologie funktioniert

Mit Hilfe zweier Videokameras im Wasser sollen festgestellt werden, ob diese Strategie tatsächlich aufgeht. Und wenn der Betrieb der Wiesenwässerung im kommenden Jahr erstmals beginnt, werden nicht nur die örtlichen Fischer das Schöpfrad im Auge behalten, sondern auch der Empa-Fachmann und die Konstrukteure – wegen genauer Kontrollen der Wassermengen und auch für einen reibungslosen Betrieb. Schliesslich muss man regelmässig nach dem Rechten schauen, Rechen und Zufluss-Schieber kontrollieren und auch die Drehachse des Stahlrads regelmässig schmieren – der Job für einen «Wasserrad-Wärter», der demnächst zu engagieren ist.

Der Betrieb der Wässerwiesen im Hundig mit dem Schöpfrad und der Zuleitung über Kanäle soll nach langer Planung und Umsetzung nächstes Jahr starten. Das Rad allein kostet rund 300'000 Franken; die Summe für das gesamte Projekt liegt bei 2,4 Millionen. Die Finanzierung stammt einerseits vom Flughafen Zürich – als eine seiner ökologischen Ersatzmassnahmen, zu denen er verpflichtet ist. Und andererseits von zahlreichen Sponsoren, darunter der Lotteriefonds des Kantons Zürich und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich sowie zahlreiche Stiftungen. Träger des Projektes sind der Verein Wässerwiesen im Hundig und die Fachstelle Naturschutz des Amtes für Landschaft und Natur des Kantons Zürich. (mgt/mai)

Kronwicken-Bläuling auf einem Blatt.

Quelle: Hectonichus, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Wikimedia

Unter anderem könnten auch Bläulinge bei der Glatt über die Wiesen flattern, wenn die Biodiversität zum Blühen kommt.

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