Levittown: Die Mutter aller Vorstädte wird 70
Tür, zwei Fenster, Schrägdach – fertig ist ein Haus in Levittown. Fast 17'500 davon setzte William Levitt vor die Tore New Yorks und schuf den ersten auf dem Reissbrett entworfenen Vorort. Zum 70. Geburtstag lebt der Mythos – und die amerikanische Suburbia gedeiht.
Quelle: Stephen Harris, flickr, CC
23 Plumbridge Rd. in Levittown, New York.
Levittown, New York, an einem Sonntagnachmittag. Durch die kahlen Bäume dringt fahles Winterlicht, über den Vorgärten liegen dünne Schneedecken, die Gehwege und Strassen sind zentimetergenau geräumt, die Basketballkörbe in den Einfahrten unbenutzt. Kein Mensch ist zu sehen, ausser im fast vollbesetzten Restaurant einer Pfannkuchen-Kette. Die gleichmässig an die Strassen gebauten Häuser sehen aus, wie von Kindern gemalt – Rechteck, Tür, zwei Fenster, Schrägdach.
Wenn das rund eine Fahrstunde östlich der Millionenmetropole New York gelegene Levittown wie das übererfüllte Klischee der amerikanischen Vorstadt wirkt, dann weil es genau das ist – und mehr: Levittown ist der Beginn der auf dem Reissbrett geplanten amerikanischen Suburbia, die Mutter aller Vorstädte. 1947 zogen die ersten Familien in die Häuschen ein und am Montag vor genau 70 Jahren wurde die Vorstadt offiziell Levittown getauft. "Alles Gute zum 70. Geburtstag, wahre amerikanische Suburbia", schrieb das "Wall Street Journal".
Bauzeit pro Haus: 16 Minuten
Der Name stammt von der Firma Levitt & Sons, die das Vorstädtchen entwarf und baute. Die Kartoffelfelder auf Long Island waren damals günstig zu haben und Millionen Amerikaner auf der Suche nach ihrem eigenen Heim, darunter viele aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrte Soldaten, die Familien gründen wollten. Massenproduziert entstand zeitweise alle 16 Minuten ein neues weisses Häuschen in Levittown, am Ende 1951 waren es fast 17'500.
Vier Zimmer und ein Badezimmer gab damals für rund 7000 Dollar. Die Mütter konnten mit den kleinen Kindern zu Hause bleiben, die Väter zur Arbeit nach Manhattan pendeln. "Wir sind keine Bauarbeiter, wir sind Fabrikanten", sagte der 1994 gestorbene William Levitt einmal. Seine Firma bezeichnete der "Vater der amerikanischen Suburbia" als "General Motors des Hausbaus".
Strikte Rassentrennung
Inzwischen haben viele Häuser in Levittown mehrfach den Besitzer gewechselt, sind um- und ausgebaut worden und sehen nicht mehr alle gleich aus. "Es gibt vielleicht noch fünf oder sechs Häuser in der Gegend, die ungefähr so aussehen wie 1947", sagt Paul Manton von der Levittown Historical Society. Das Vorstädtchen gehört heute zu Hempstead, hat rund 52'000 Einwohner, und die Häuser verkaufen sich durchschnittlich für rund 380'000 Dollar.
Für viele war Levittown der amerikanische Traum, andere gruselten sich davor. Die Vorstadt sei eine "gleichförmige Umgebung, aus der man nicht fliehen kann", schrieb der Historiker Lewis Mumford. Louise Cassano, die als Kind mit ihren Eltern nach Levittown zog, bemängelt die "fehlende Kultur".
Zudem waren in den ersten Jahrzehnten nicht nur die Häuser der Vorstadt vollkommen weiss, auch die Menschen, andere Käufer waren nicht zugelassen. "Das Erbe von Levittown ist die symbolische Rassentrennung in Amerika", sagte Eugene Burnett, der einst ein Haus in Levittown kaufen wollte, als Afro-Amerikaner aber abgewiesen wurde. Immer noch sind rund 89 Prozent der Einwohner weiss.
Billy Joel besingt seine Vorstadt-Heimat
Lokalheld von Levittown ist der Sänger Billy Joel, der dort aufwuchs, und das Vorstädtchen mehrfach in seinen Songs erwähnt hat. Erbauer Levitt baute noch mehrere andere Levittowns, inzwischen ist die danach von seinen Söhnen geleitete Firma jedoch bankrott gegangen. Levittown, New York, aber lebt weiter, als Mythos aller US-Vorstädte – und der Mythos gedeiht. "Amerika bleibt ein weitgehend vorstädtisches Land", heisst es in einem Bericht der Forschungseinrichtung Urban Land Institute aus dem Jahr 2016.
In den 50 grössten Metropolregionen des Landes leben fast 80 Prozent der Menschen in Vorstädten. "Das vorstädtische Hausangebot in den USA entwickelt sich schnell und ist gut positioniert, um in den kommenden Jahren der Ort zu bleiben, wo die meisten Amerikaner leben und arbeiten." (sda/dpa)