Laserscanning in der Archäologie: Unter das Schweizer Blätterdach geblickt
Dichtes Unterholz, Moosteppiche, umgestürzte Bäume – Wälder sind für die Archäologie ein schwieriges Terrain. Eine neue Technologie ermöglicht es nun, mit Laserscannings von oben unter das Schweizer Blätterdach zu blicken. Hunderte Stätten warten auf ihre Entdeckung.
Quelle: Gemeinfrei
Kupferstich vom Schloss Laufen von D. Herrliberger, 1750.
Knochen, Werkzeuge, Waffen, Rüstung, Kunstwerke, Keramik, Schmuck oder bauliche Überreste – all dies erzählt von der Geschichte früherer Generationen. Schon seit jeher interessiert sich der Mensch für diejenigen, die vor ihm gelebt haben. Mit dem Entdecken solcher Funde ist es aber längst nicht getan. Erst mit der Archäologie als interdisziplinäre Wissenschaft kann konkretes Wissen über die Vergangenheit aufgearbeitet und vermittelt werden.
Dies durch Ausgrabungen und Felderkundungen, in denen die Reste vergangener Epochen fachgerecht untersucht, aber auch geborgen, konserviert und in Archiven und Funddepots der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In der Schweiz sind Spuren aus nahezu der gesamten Menschheitsgeschichte bekannt – von ersten Steinwerkzeugen bis hin zu Zeugnissen aus dem Zweiten Weltkrieg.
Hohe Dichte an Pfahlbauten
Für die Schweizer Archäologie kennzeichnend – und wohl auch der Allgemeinheit am meisten bekannt – dürften die prähistorischen Pfahlbauten an See- und Flussufern sein. Insgesamt 111 solcher Siedlungsreste wurden von der Unesco vor über zehn Jahren zum Welterbe erklärt, 56 davon befinden sich in der Schweiz, die damit eine entsprechend hohe Dichte aufweist. Doch Pfahlbauten sind nur einige von vielen Funden hierzulande.
Im Thurgauischen Schaarenwald am Hochrein erbrachte etwa kürzlich eine Sondiergrabung den Beweis, dass dort einmal eine Befestigungsanlage stand, die zum Schutz des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert nach Christus erbaut worden war. Ans Licht gelangten ein Turmfundament sowie ein Spitzgraben. Im heute fast vollständig bewaldeten Gebiet liessen bereits vor rund 20 Jahren Funde, unter anderem auffällig viele römische Münzen, auf einen Wachturm schliessen.
Quelle: swisstopo
Die Visualisierung der archäologischen Stätte vom Schloss Laufen zeigt beispielhaft die Verwendung von LiDAR-Daten.
Doch wurde an einer solchen Entdeckung gezweifelt, weil diese Befestigungsanlagen in der Zeit um 1900 in der Schweiz bereits systematisch untersucht und erfasst worden waren. Nachdem bei Waldarbeiten im vergangenen Winter dort aber weitere Objekte zum Vorschein kamen, zum Beispiel römische Ziegel, Bausteine aus Tuff und typische Ausrüstungen römischer Soldaten, wurde im Januar mit Erlaubnis der Forstorgane Thurgau und Schaffhausen dann doch eine Sondiergrabung durchgeführt.
Schwierige Arbeit
An der Oberfläche der bei den Waldarbeiten weitgehend geräumten Fläche war praktisch nichts vom einstigen Wachturm zu sehen. Denn wie üblich, hatte man das verwendete Baumaterial in späteren Zeiten abgetragen und für andere Bauwerke wieder verwertet. Vom Fundament des rund sieben Mal sieben Meter messenden Gebäudes verblieben deshalb lediglich Mörtelreste, einige Steine sowie der Fundamentgraben.
Das Beispiel des Wachturms im «Schaaren» verdeutlicht, dass das Entdecken solcher Strukturen nicht selbstverständlich ist – und die Arbeit von Archäologen schwierig sein kann. Eigentümer sind zwar grundsätzlich verpflichtet, archäologische und bauhistorische Untersuchungen auf ihren Liegenschaften zuzulassen. Und in der Regel gibt der kantonale Richtplan vor, wo sich bekannte archäologische Fundstellen im Boden befinden. Steht ein Bauprojekt in einer solchen Zone an, stellen die Behörden eine Verfügung für eine Untersuchung aus.
Quelle: zvg
Bewaldete Flächen in der Schweiz, basierend auf einem Vegetationshöhenmodell aus dem Jahr 2019 von Ginzler & Hobi (2019), angepasst und verwendet mit Erlaubnis der Autoren.
Doch das Wissen um Standorte, in deren Grund sich Reste früherer Zivilisationen verbergen könnten, will auch erst einmal gesammelt werden. Dass dies nicht so einfach ist, war unlängst in einer Mitteilung des Instituts für Archäologische Wissenschaften (IAW) der Universität Bern nachzulesen. Vor allem Wälder sind für archäologische Begehungen etwa ein schwieriges Terrain, da dichtes Unterholz, umgestürzte Bäume und Bodenbewuchs die Sicht auf archäologische Fundplätze erschweren. Viele solcher Gebiete wurden deshalb noch nie systematisch archäologisch untersucht.
Punktwolke zeigt Topografie
Das dürfte sich nun ändern: Dank hochauflösenden und frei zugänglichen «LiDAR»-Daten vom Bundesamt für Landestopografie Swisstopo wird es möglich, unter das Blätterdach der Schweizer Wälder zu blicken. Die Abkürzung LiDAR steht für «Light Detection and Ranging». Dabei werden mithilfe dreidimensionaler Laserscannings von einem Flugzeug aus Daten zum Untergrund gewonnen, aus denen sich hochpräzise digitale Höhenmodelle einer Landschaft ableiten lassen.
Laut dem Institut hat die Technologie dahinter die archäologische Forschung in bewaldeten Gebieten weltweit vorangebracht. «Bevor wir LiDAR-Befliegungen machen konnten, waren grosse bewaldete Gebiete nur sehr schwer grossflächig zu untersuchen», erklärt Gino Caspari, Assoziierter Forscher am IAW, auf Anfrage. Die Technologie erlaube es, direkt Bodenmerkmale unter dem Blätterdach zu finden. Mit anderen Sensoren sei dies nur sehr bedingt möglich.
«Einfach erklärt macht ein LiDAR-Sensor Tausende von Distanzmessungen, die dann als Punktwolke ausgewertet werden können.» Über einem Wald würden die meisten Distanzmessungen beim Überfliegen zwar auf die Blätter der Bäume fallen. Allerdings komme immer mal wieder eine Messung bis zum Boden durch – dort, wo per Zufall keine Äste oder Blätter im Weg sind. «Diese einzelnen Punkte erlauben es uns dann, zu verstehen, wie die Topografie am Waldboden aussieht.»
Für die Erforschung alter Stätten nutzen Archäologen eine Vielzahl von Sensoren. LiDAR ist insbesondere für Höhenmodelle ideal. «Geht es zum Beispiel um Vegetationsverfärbungen, die auch Hinweise auf verborgene archäologische Stätten liefern können, ist es sinnvoll andere Technologien einzusetzen.» Oftmals kommen kombinierte Methoden zur Anwendung.
Quelle: swisstopo
Die frei verfügbaren LiDAR-Datensätze von swisstopo für das römische Amphitheater in Vindonissa in Windisch AG: (A) «swissSURFACE3D»-Punktwolke; (B) Höhenschatten des LiDAR-abgeleiteten «swissSURFACE3D»-Rasters; (C) Höhenschatten des LiDAR-abgeleiteten «swissALTI3D».
Stätten in Schweizer Wäldern
Mit den neuen Daten eröffnet sich nun angesichts der begrenzten Anzahl bislang erfasster archäologischer Stätten in Schweizer Wäldern ein riesiges Potenzial für die Nutzung der LiDAR-Daten. Denn keine andere Fernerkundungsmethode erlaubt laut dem IAW eine so detaillierte Darstellung der Höhenunterschiede und damit das Erkennen von Grabhügeln, Ruinen, Wällen und Gräben.
Caspari hat im Rahmen einer Studie in der Wissenschaftszeitschrift «Remote Sensing» seine Erkenntnisse zu den Daten veröffentlicht. Darin zeigt der Forscher die Lücken in den heutigen kantonalen archäologischen Inventaren auf und erläutert, wie die Daten für Dokumentation und Schutz von Kulturerbe sowie für die Vermittlung archäologischer Informationen an die breite Öffentlichkeit genutzt werden können.
«Es gibt noch viel zu entdecken.» Den kantonalen Archäologien mangle es aber teilweise an Ressourcen um grossräumige Erhebungen durchzuführen, da sie häufig mit aufwendigen Notgrabungen für Bauprojekte beschäftigt seien. «LiDAR-Daten könnten helfen, die Inventare zu vervollständigen», so der Forscher.
Quelle: zvg
Inventar archäologischer Stätten des Kantons Bern in Kombination mit den bestehenden Waldflächen. Inventare weisen häufig mehr archäologische Stätten in unbewaldeten Gebieten auf, weil diese einfacher zu finden und zu untersuchen sind.
Archäologie mit Machine Learning
Genau dieser Aufgabe widmen sich aktuell auch Archäologinnen und Archäologen der Universität Bern und nutzen dabei auch Machine Learning. «Einerseits werden die Daten über visuelle Interpretation ausgewertet, in dem wir schattierte Höhenmodelle anschauen», erläutert Caspari. «Andererseits haben wir die Möglichkeit, Algorithmen zu trainieren, um automatisch erste potenziell interessante Gebiete zu identifizieren.»
Mit neuen Methoden der sogenannten «Computer Vision», welche Objekte in digitalem Bild- und Filmmaterial erkennen, kann Rechnern gewissermassen das Sehen beigebracht werden. Diese Methoden eignen sich gemäss IAW somit für Anwendungen in der archäologischen Fernerkundung, bei denen subtile Bodenmerkmale aufgespürt werden müssen. Vielversprechend ist dies insbesondere bei den hochauflösenden LiDAR-Daten, um grosse Gebiete effizient auf Fundplätze hin zu untersuchen.
Dabei werden Daten von bekannten Stätten genutzt, um Algorithmen auf LiDAR-Daten zu trainieren, die dann ähnliche, aber bisher unbekannte Strukturen an anderen Orten identifizieren. Caspari: «Die letzten Jahre haben gezeigt, wie Maschinelles Lernen auch die Archäologie verändert. Mit genügend Trainingsdaten können wir zum Beispiel problemlos die gesamte Schweiz nach Grabhügeln absuchen.»
”Die letzten Jahre haben gezeigt, wie Maschinelles Lernen auch die Archäologie verändert.
Gino Caspari, Assoziierter Forscher am IAW
Gino Caspari, Assoziierter Forscher am IAW
Stätten im Boden lassen
Insbesondere in schwerer zugänglichen, bewaldeten Gebieten erwarten die Fachleute einige neue Entdeckungen. Mögliche Funde könnten beispielsweise Grabhügel, Ruinen, Wälle, Gräben oder Siedlungsüberreste sein. Dabei kann es sich mitunter auch lohnen, bereits bekannte archäologische Fundstellen noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Denn: «Neudokumentationen führen häufig zu zusätzlichen Erkenntnissen und vervollständigen unser Wissen über eine archäologische Stätte.»
Entdeckt man bei der Auswertung der Daten auch tatsächlich komplett neue Fundstellen, werden diese zunächst in die Inventare eingetragen. «Die Ressourcen für eine weitere archäologische Auswertung sind erst einmal begrenzt.» Da sich die Stätten aber teilweise bereits über Jahrtausende im Boden erhalten haben, sind diese laut dem Forscher dort eigentlich auch am besten geschützt.
Sofern eine Stätte nicht direkt bedroht ist, gebe es wenig Grund für eine Ausgrabung. «Die archäologischen Methoden verbessern sich ständig und es soll auch für künftige Generationen Kulturerbe im Boden erhalten bleiben.» Zu wissen, wo die Stätten liegen, habe aber den Vorteil, dass man beispielsweise beim Bau einer Strasse oder bei grösseren Waldarbeiten wisse, wo man aufpassen und allenfalls eine Rettungsgrabung anstreben müsse.
Quelle: Gino Caspari
A) Menschgemachte Hügelstrukturen in LiDAR-abgeleitetem Höhenmodell. (B) Viele Grabhügel sind zurzeit nicht in den öffentlichen Inventaren der Kantone verzeichnet. (C) Archäologische Stätten werden oftmals unwissentlich durch Waldarbeiten beschädigt.
Jeder kann mitforschen
Auch Laien könnten sich im Rahmen der LiDAR-Daten dereinst auf Spurensuche nach den vergangenen Generationen begeben: Ziel eines nächsten Projektes ist es laut Caspari, die Daten im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts aufzubereiten und diese über eine App oder eine Webseite interessierten Laiinnen und Laien vorzulegen.
Diese würden dann auffällige Strukturen auf den Daten markieren. «Die Markierungen würden dann nochmals von Archäologen überprüft und danach in die Datenbanken aufgenommen.» Auf diese Weise wird es auch interessierten Nichtfachleuten möglich, mit archäologischen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten und somit einen Beitrag zur Erforschung der Schweizerischen Vergangenheit zu leisten.