Forschung: Mit Chemie und Sonnenlicht gegen Treibhausgas
Ein chemisches Verfahren ermöglicht die Abscheidung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Dabei funktionieren mit Sonnenlicht aktivierte Photosäure-Moleküle wie ein Schalter. Laborversuche sind vielversprechend. In grösserem Massstab liessen sich Ausgangsstoffe für die Industrie produzieren.
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Liesse sich vermeiden, dass Trifluormethan in die Atmosphäre gelangt, wäre die positive Hebelwirkung für das Weltklima massiv, wie der Vergleich mit den Emissionen des Flugverkehrs zeigt.
Die Erderwärmung erfordert Massnahmen mit unterschiedlicher Stossrichtung. Zum einen gilt es, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren durch den Ersatz fossiler Energieträger. Zum anderen geht es um die Abscheidung grosser Mengen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. An Abscheideanlagen und der Hochskalierung auf industrielle Massstäbe wird seit Jahren geforscht.
Doch die bisher präsentierten technischen Lösungen verursachen wegen des Energiebedarfs hohe Kosten, was den grossflächigen Einsatz bremsen könnte. Mit einer Methode, die mit Licht arbeitet, liessen sich womöglich die Kosten drastisch senken. Das chemische Verfahren entwickelt haben Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich.
Mit Licht gesteuerter Säure-Schalter
Bei der Methode wird Kohlendioxid abgetrennt, indem die Luft in einem abgedunkelten Bereich durch eine photosäurenhaltige Flüssigkeit geleitet. Weil diese alkalisch ist, reagiert das Kohlendioxid und es bilden sich Salze der Kohlensäure. Nach einer starken Anreicherung dieser Salze bestrahlen die Forscherinnen die Flüssigkeit mit Licht.
Diese wird dadurch sauer, und die Kohlensäuresalze wandeln sich zu Kohlendioxid um, wie die ETH in einer Medienmitteilung schreibt. Wie bei einer Cola-Flasche sprudelt das Kohlendioxid aus der Flüssigkeit. Es kann in Gastanks aufgefangen werden. Ist kaum noch Kohlendioxid in der Flüssigkeit vorhanden, schalten die Forschenden das Licht aus, und der Kreislauf beginnt von neuem.
Säuregrad entscheidend
Die Wissenschaftler unter der Leitung von Maria Lukatskaya, Professorin für elektrochemische Energiesysteme, nutzen die Tatsache, dass das Treibhausgas in sauren, wässrigen Flüssigkeiten als Kohlendoxid vorliegt, in alkalischen wässrigen Flüssigkeiten jedoch zu Salzen der Kohlensäure reagiert. Diese chemische Reaktion ist reversibel.
Der Säuregrad einer Flüssigkeit bestimmt, ob sie Kohlendioxid oder ein Kohlesäuresalz enthält. Um den Säuregrad zu beeinflussen, fügten die Forscherinnen und Forscher der Flüssigkeit sogenannte Photosäuren bei. Dabei handelt es sich um Moleküle, die auf Licht reagieren. Wird eine solche Flüssigkeit mit Licht bestrahlt, machen die Moleküle sie sauer. In einer dunklen Umgebung kehren die Moleküle in ihren ursprünglichen Zustand zurück, wodurch die Flüssigkeit alkalischer wird.
Auf die Mischung kommt es an
Allerdings stellte sich bei den ersten Experimenten das praktische Problem, dass die verwendeten Photosäuren im Wasser instabil waren. Schon nach einem Tag seien die Moleküle zersetzt gewesen, sagt Anna de Vries, Doktorandin in Lukatskayas Guppe und Erstautorin der Studie. In der Folge liess man die Reaktion nicht in Wasser, sondern in einem Gemisch aus Wasser und einem organischen Lösungsmittel ablaufen. In Laborexperimenten wurde schliesslich das optimale Verhältnis der beiden Flüssigkeiten ermittelt. An den Modellrechnungen waren auch Forscher der Universität Sorbonne in Paris beteiligt, sodass die Ergebnisse auch wissenschaftlich erklärt werden können.
Quelle: ETH Zürich
Photosäuren und Unterschiede von Dunkel und Licht ermöglichen einen Kreislaufprozess zum Abscheiden und Freisetzen von Kohlendioxid.
Schliesslich gelang es, die Photosäure-Moleküle in der Lösung fast einen Monat lang stabil zu halten. Hinzu kam der Effekt, dass man mit Licht beliebig zwischen einer sauren und einer alkalischen Lösung hin- und herschalten kann. Die Reaktion wäre nämlich nicht umkehrbar, würden die Forschenden das organische Lösungsmittel ohne Wasser verwenden.
Ohne Heiz- und Abkühlzyklen
Auch andere Verfahren zur Abtrennung von Kohlendioxid sind Kreislaufprozesse. Eine etablierte Methode zum Beispiel arbeitet mit Filtern, an denen sich die Kohlendioxid-Moleküle bei Umgebungstemperatur anlagern. Bei solchen Filtermethoden machen laut der Mitteilung Heizen und Abkühlen den grössten Teil des Energiebedarfs aus. Um das Gas nachher von den Filtern zu lösen, müssen diese auf etwa 100 Grad Celsius erhitzt werden.
Weil die neue Methode laut den ETH-Forscherinnen mit Sonnenlicht betrieben werden kann, sind Heiz- und Abkühlzyklen entbehrlich, sodass das Verfahren viel weniger Energie benötigt. Ein weiterer Vorteil des neuen wissenschaftlichen Ansatzes ist, dass die Umschaltung von alkalisch auf sauer innerhalb von Sekunden und wieder auf alkalisch innerhalb von Minuten erfolgen kann, wie de Vries ausführt. Somit lasse sich viel schneller zwischen Kohlendioxid-Abscheidung und -Freisetzung wechseln als in einem temperaturgesteuerten System.
Noch ist das von den Forscherinnen und Forschern der ETH Zürich entwickelte Verfahren nicht einsatzbereit. Mit einer im Fachblatt «Chemistry of Materials» der American Chemical Society publizierten Studie wurde jedoch der Beweis erbracht, dass ihre Methode zumindest unter Laborbedingungen funktioniert und dass Photosäuren zur Abtrennung von Kohlendioxid eingesetzt werden können.
Auf dem Weg zur Marktreife warten noch einige Meilensteine. Zunächst wollen die Forscherinnen die Stabilität des Photosäuren-Moleküls weiter erhöhen und für Anwendungen im Massstab den gesamten Prozess weiter optimieren. Das Verfahren ermöglicht zudem die Herstellung von klimaneutralen chemischen Ausgangsstoffen für die Industrie als Ergänzung zur unterirdischen Speicherung. (mgt/sts)