Forschung: Äusserst schädlichem Klimagas auf der Spur
Gelangt Trifluormethan in die Atmosphäre, ist dessen Klimawirkung um ein Vielfaches höher als jene von Kohlendioxid. Die Länder machen zu den Reduktionszielen des Klimagases irreführende Angaben. Mit einer neu entwickelten Messmethode lassen sich Emissionsquellen nun gezielt orten und der Ausstoss eruieren. Die Empa war an der Forschung beteiligt.
Quelle: ICOS RI / Tom Oudijk, Sander Karsen, Dennis Manda
Die Messungen wurden am 213 Meter hohen Mast der Station Cabauw durchgeführt. Diese niederländische Messstation wird vom Königlich Niederländischen Meteorologischen Institut (KNMI) betrieben.
Fluorkohlenwasserstoffe (FKH) haben aufgrund der thermodynamischen Eigenschaften vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Und weil sie nicht oder nur schwach brennbar sind sowie praktisch keine Explosionsgefahr besteht, gelten sie im Einsatz als relativ sich. Zudem lassen sie sich grosse Mengen kostengünstig herstellen. Sie schädigen zwar die Ozonschicht nicht wie die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, doch sind sie in extremem Mass klimaschädlich. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, fachen die FKH die Erderwärmung auf beispiellose Weise an. Den stärksten Effekt auf die Erwärmung der Erdatmosphäre hat Trifluormethan, auch bekannt unter dem Kürzel HFC-23. Ein Kilogramm HFC-23 in der Atmosphäre hat die Klimawirkung von 12000 Kilogramm Kohlendioxid, wie die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt Empa in einem Beitrag schreibt. Und es stellt sich ein weiteres Problem: die Dauerhaftigkeit. Bis sich das Gas in der Atmosphäre zersetzt, dauert es rund 200 Jahre.
Ausserordentliche Diskrepanz trotz Abkommen
Die Treibhausgase sind zwar gut verträglich mit den allermeisten Materialien, die für Kältemaschinen und Wärmepumpen verwendet werden. Hauptquelle von HFC-23 ist die industrielle Produktion gewisser Kühlmittel sowie von Polytetrafluorethen (PTFE), besser bekannt unter dem Namen Teflon. Dabei entsteht HFC-23 als Nebenprodukt bei einer Vorstufe des Herstellungsprozesses. Bereits vor Jahren haben sich über 150 Länder im Rahmen der Kigali-Änderung des Montreal-Protokolls verpflichtet, ihre Emissionen von HFC-23 stark einzudämmen. Seit 2020 gilt: Wer Teflon produziert, muss das klimaschädliche HFC-23 zerstören.
Laut Rapporten der einzelnen Länder betrugen die globalen Emissionen von HFC-23 im Jahr 2020 noch 2000 Tonnen. Dabei waren Zweifel angebracht. Denn die Reduktion war lediglich auf dem Papier ausgewiesen, wie es im Bericht der Empa heisst. In zahlreichen Studien wurde ermittelt, dass 2020 effektiv rund 16000 Tonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre gelangten.
Genaue Messungen dank Tracer-Gas
Aufgrund der ausserordentlichen Differenz zwischen Ausstoss und deklarierter Reduktion haben Forscherinnen und Forscher der Empa, der Universität Bristol und der niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) die HFC-23-Emissionen einer Teflon-Fabrik in den Niederlanden genauer unter die Lupe genommen. Um die Emissionen der Fabrik ganzheitlich und möglichst genau erfassen zu können, gingen die Forscher nach einer neuartigen Methode vor. Zuerst setzten sie unmittelbar neben der Fabrik einen sogenannten Tracer frei. Dabei handelt es sich um ein ungiftiges Gas, das nicht in der Atmosphäre vorkommt und sich innert weniger Wochen zersetzt. Danach wurde in einer Entfernung von rund 25 Kilometern zur Teflon-Fabrik die Konzentrationen von HFC-23 und anderen Nebenprodukten sowie des Tracers gemessen. Die freigesetzte und die am Messpunkt nachgewiesene Menge des Tracers stand in einem bestimmten Volumenverhältnis, aus dem sich die Emissionen von HFC-23 und anderen Gasen ableiten liess. Empa-Forscher Martin Vollmer sagt dazu: «Unsere gemessenen Emissionen liegen höher, als die von der Fabrik rapportierten.» Es ist laut Vollmer deshalb davon auszugehen, dass die von den Ländern rapportierten Massnahmen nicht überall der Realität entsprechen.
HFC verbrennen als rasche Massnahme
Um den Ausstoss von HFC-23 zu minimieren, wird das Gas direkt in der Fabrik verbrannt, noch bevor es austreten kann. Die dadurch emittierte Menge an HFC-23 ist immer noch gering. «Die Massnahmen zur Eindämmung der Emissionen funktionieren also gut», sagt Vollmer. Und Co-Autor Kieran Stanley von der Universität Bristol fasst die Konklusionen des Forscherteams zusammen: «Diese Ergebnisse sind sehr ermutigend. Sie zeigen, dass die Emissionen dieses hochwirksamen Treibhausgases aus Anlagen, die Fluorpolymere wie Teflon herstellen, mit den richtigen Massnahmen erheblich reduziert werden können.»
Quelle: Wikimedia Commons - Gralo - Empa
Liesse sich vermeiden, dass Trifluormethan in die Atmosphäre gelangt, wäre die positive Hebelwirkung für das Weltklima massiv, wie der Vergleich mit den Emissionen des Flugverkehrs zeigt.
Eine andere Möglichkeit besteht in der Wahl von Ersatzstoffen. Doch diese gestaltet sich allerdings schwierig. Denn andere Substanzen haben laut dem Energielexikon wegen der erwünschten technischen Funktionalitäten häufig schwere Nachteile. Manche sind sehr giftig oder stark ätzend wie Ammoniak. Andere wiederum sind brennbar, verbunden mit erheblicher Explosionsgefahr wie Propan. Oder wenn die thermodynamischen Eigenschaften für die geforderten Betriebsparameter ungünstig sind, steigt etwa bei Kältemaschinen der Energieverbrauch. Beim Umstieg auf Ersatzstoffe müssen Anlagen zudem für sehr viel höhere Drucke ausgelegt werden, als dies bei Verwendung von FKW nötig wäre.
Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Hersteller
Im Oktober will das Forscherteam der Empa bei einer Studie in Südkorea wieder auf die Methode zurückgreifen. Dabei geht es um die Analyse der Emissionen von halogenierten Substanzen in der Hauptstadt Seoul. Vorgesehen ist auch, dass die TNO die Messungen bei der Station in Cabauw fortsetzen wird. Dadurch sollen im Rahmen der europäischen ICOS-Infrastruktur die Treibhausgase kontinuierlich überwacht und die Anwendung der Methode auf halogenierte Substanzen ausgeweitet werden. Als Schlüssel zum Erfolg der Studie erachtet das Forscherteam die Zusammenarbeit mit dem Teflonhersteller in Holland und den niederländischen Behörden. Die neu entwickelte Tracer-Methode eignet sich für unabhängige Überprüfungen von Fabriken, Industriegebieten und die Auswirkungen diverser Substanzen auf die Umwelt.
Überprüfen und durchsetzen
«Unabhängige Überprüfungen der Treibhausgasemissionen aus der Produktion von Fluorpolymeren und Kühlmitteln sind notwendig, um die Lücken in unserem Verständnis der Emissionsquellen zu schliessen und zu prüfen, ob die Länder die internationalen Klima- und Umweltabkommen vollständig einhalten», ergänzt Stanley. Die Autorinnen und Autoren der Studie rufen die Länder dazu auf, ihre Teflon-Fabriken von unabhängigen Fachstellen überprüfen zu lassen. Falls es gelingt, Trifluormethan unschädlich zu machen oder von Anfang an gar vollständig aus Produktionsprozessen zu eliminieren, wäre die Hebelwirkung gegen den Treibhauseffekt massiv. «Wenn alle diese Fabriken ähnliche Emissionen hätten, dann könnten global HFC-23-Emissionen verhindert werden, die fast 20 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen des weltweiten Flugverkehrs entsprechen», betont Empa-Forscher Stefan Reimann. (mgt/sts)
Die Ergebnisse der Studie wurden bereits im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht.