Brasiliens Kampf um sichere Strassen
In Brasilien sterben im StundentaktMenschen in Verkehrsunfällen. Dafür verantwortlich sind rasendes Bevölkerungswachstum und städteplanerisches Versagen. Eine Initiative des World Resources Institute (WRI) will nun etwas dagegen tun.
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Brasiliens Strassen sind dem rapide zunehmenden Verkehrsaufkommen in Ballungszentren nicht gewachsen.
Brasilien führt, nach China und Indien, eine unrühmliche Rangliste an: Jene der weltweit meisten Verkehrstoten. Mit der explosionsartigen Urbanisierung in den letzten Jahrzehnten kamen nämlich Wohlstand und Zukunftsperspektiven, aber auch immer gefährlichere Strassen, denn: Mehr Menschen in den Städten bedeuten mehr Fahrzeuge, und mehr Fahrzeuge bedeuten mehr Unfälle. Die rapide anschwellende Bevölkerung in den Ballungszentren Brasiliens führte zu schlampiger Raumplanung – die Planungsbüros konnten kaum mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen Schritt halten. Dieses unkoordinierte Wachstum wird dem südamerikanischen Land nun mehr und mehr zum Verhängnis, und damit ist es nicht allein.
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Es sind vor allem die schwächeren Verkehrsteilnehmer, die Opfer schlechter Infrastruktur werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr rund 1,3 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen. 90 Prozent ereignen sich in Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen die Verstädterung boomt und die Planung hinterherhinkt. Die meisten Opfer sind überdies keine Autofahrer, sondern Menschen, die mit Motor- oder Fahrrad unterwegs sind. Um diesen Trend umzukehren, reicht eine blosse Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer nicht aus, eine grundlegende Neustrukturierung der befahrenen Zonen ist notwendig. Dieses Vorhaben will das World Resources Institute (WRI) in Brasilien nun angehen und legt sechs planerische Massnahmen vor, die die Strassen sicherer machen sollen. Ganz zeitgemäss in einem Video:
1. Verkürzung von Stadtblöcken
Stadtblöcke, die bis zu 600 Meter messen, sind überhöhter Geschwindigkeit und schlechter Sicht zuträglich. Kürzere Blöcke verbessern die Fussgängersicherheit, indem sie mehr Kreuzungen schaffen und somit mehr Möglichkeiten bieten, die Strasse sicher zu überqueren. Mehr Kreuzungen heisst auch mehr Stellen, an denen die Geschwindigkeit verringert werden muss. Wo lange Blöcke bereits existieren, schaffen etwa Fussgängerinseln Abhilfe.
2. Schmale Bahnen
Eine schmale Bahn bedeutet erstens eine kürzere Distanz, die Fussgänger überqueren müssen, und zweitens Raum für Bürgersteige, die in vielen urbanen Zentren schlicht fehlen. Drittens wirken sich schmalspurige Strassen automatisch drosselnd auf die Geschwindigkeit der Fahrzeuge aus.
3. Mehr Kreisel
Kreisel verbessern im Vergleich zu unübersichtlichen, grossen Kreuzungen die Verkehrssicherheit massiv. Kreisverkehrsknotenpunkte reduzieren die Schwere von Kollisionen, da der gesamte Verkehr in dieselbe Richtung verläuft, die Fahrzeuge langsamer werden müssen und die Gefahr von Frontalzusammenstössen geringer ist. Studien haben gezeigt, dass tödliche und schwere Verletzungen an Stellen, an denen Kreisverkehre gebaut wurden, um unglaubliche 70 bis 90 Prozent gesunken sind.
4. Schikanen
Diese künstlichen Kurven, die durch das Hinzufügen alternierender Verlängerungen des Bürgersteigs oder der Barrieren entstehen, zwingen die Fahrer, langsamer zu fahren. Sie bieten ausserdem mehr Platz für fussgängerfreundliche Infrastruktur wie etwa breitere Bürgersteige.
5. Geschwindigkeitsschwellen
Geschwindigkeitsschwellen sind eine denkbar simple, aber ungemein effektive Methode zur Geschwindigkeitsreduktion. Sie haben laut Untersuchungen von allen Verkehrsberuhigungsmitteln den besten Einfluss auf die Einhaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen.
6. Erhöhte Fussgängerstreifen
Durch die Erhöhung der Fussgängerüberwege wird nicht nur eine Geschwindigkeitsschwelle geschaffen, die Fussgänger werden auch höher ins Sichtfeld der Autofahrer gerückt, was ihre Chancen erhöht, nachts oder in belebten Bereichen gesehen zu werden. Wenn die Fussgängerstreifen auf die Ebene des Bürgersteigs angehoben werden, können sie ausserdem auch vonRollstuhlfahrern problemlos benutzt werden.
Kompakte, koordinierte und vernetzte Planung
Die obige Liste dient der Symptombekämpfung. Der wahren Krise kann nur mit durchdachter Stadtplanung entgegengewirkt werden, und dort muss der Hebel schon viel früher angesetzt werden. Kompakte, gemischt genutzte Stadtteile, die das Autofahren überflüssig machen, sindrichtungsweisend für einen sichereren urbanen Raum. Wird diese Devise bei der Planung neuer Stadtteile umgesetzt, so resultiert daraus auch ein Mehrwert für die Umwelt: In einem Bericht der New Climate Economy wurde ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den CO2-Emissionen pro Kopf und Einsparungen bei Infrastrukturinvestitionen durch kompaktes Stadtwachstum festgestellt. In vieler Hinsicht ist eine sicherere Stadt nämlich auch eine nachhaltigere Stadt. (lfr)
Weitere Informationen zum Mensch im Mittelpunkt der Verkehrssicherheit