Kolumne zum Donnerstag: Seltsames öffentliches Wissensmanagement
In der Kolumne zum Donnerstag schreiben Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Heute ist es Benno Singer, dipl. Bauingenieur ETH, Präsident der usic-Regionalgruppe Zürich und CEO von ewp planen - projektieren - beraten.
Der Ideenaustausch mit Leuten aus anderen Branchen ist sehr bereichernd, erst recht wenn sie in Märkten tätig sind, die nicht dem öffentlichen Beschaffungswesen unterworfen sind. Einzelne Aspekte daraus zu erläutern, wird dann aber zur Herausforderung. Ein äusserst illustratives Beispiel ist die Vorbefassung. Und dabei geht es mir nicht um den unbestrittenen Fall, dass jemand nicht am Verfahren teilnehmen darf, weil er bei Vorbereitung der Ausschreibung sehr intensiv mitgewirkt hat.
Stellen wir uns vor, wir wollen ein Haus bauen. Wir beauftragen ein Architekturbüro mit dem Vorprojekt und sind mit seinen Leistungen sehr zufrieden. Niemand käme in dieser Situation auf die Idee, in den künftigen Projektphasen auf seine Unterstützung zu verzichten. Wie sieht es nun bei Projekten der öffentlichen Hand aus? Falls in der Ausschreibung des Vorprojekts die Option auf die Weiterbearbeitung nicht enthalten war, wird neu ausgeschrieben. Die für den Bauherrn äusserst wertvollen Vorkenntnisse können dabei zum Problem werden. Um dem Gebot der Gleichbehandlung und der Wettbewerbsneutralität nachzukommen, werden diverse Hürden für die «vorbefassten» Bearbeiter der Vorphase eingebaut (zum Beispiel Abgabe der Offerte zwei Wochen vor den Konkurrenten).
Erschwerend kommt hinzu, dass die Aufgabenstellung und die Kundenbedürfnisse sehr genau bekannt sind. Werden diese bei der Preisermittlung berücksichtigt, ist die Gefahr gross, dass der Preis höher ist als bei der Konkurrenz. Letztere wiederum wird später vermutlich versuchen, die Wissenslücken in Zusatzleistungen und Nachträge umzuwandeln. So weit, so gut – meine Gesprächspartner wissen nun, wie das Meccano funktioniert, auch wenn sie etwas von Wissensgesellschaft und (un)bewusster Wissensvernichtung murmeln.
Nach dem «Wie» kommt die Anschlussfrage nach dem «Warum». Welche Ziele verfolgt das öffentliche Beschaffungswesen? Neben dem wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel ist das wichtigste Ziel des Beschaffungsrechts, den wirksamen Wettbewerb zwischen den Anbietern zu gewährleisten. Diese Ziele werden offenbar einer effizienten Wissenserhaltung vorgezogen. Zwar ordnungspolitisch verständlich, jedoch in praktischer Hinsicht oft nicht befriedigend – und oftmals teurer.
Doch zum Abschluss des Gesprächs kann ich auch ein paar positive Entwicklungen aufzeigen. Verschiedene Bauherren haben als zusätzliches Zuschlagskriterium «Erfahrungen mit dem Beauftragten» eingeführt, welches die Möglichkeit gibt, Aspekte des Vertrauens und der langfristigen Partnerschaft in die Vergabe einfliessen zu lassen. Und ebenfalls erfreulich ist, dass das Bundesgericht entschieden hat, dass das Kriterium «Plausibilität» des Angebots zulässig ist, sofern sich das Kriterium nicht direkt auf den Preis als solchen bezieht und das Gewicht des Zuschlagskriteriums «Preis» auch bei komplexen Beschaffungen mindestens 20 Prozent beträgt (BGer 2C_1021/2016 und 2D_39/2016). Ich werde gespannt verfolgen, welche Auswirkungen diese Entscheide haben werden.