Karin Bührer: «Wohnraum schaffen statt verhindern»
Karin Bührer, Geschäftsführer von Entwicklung Schweiz, beschäftigt sich in ihrer Kolumne mit der akut vorherrschenden Wohnungsknappheit. Sie fordert ein Umdenken der Politik und nennt die wichtigsten Lösungsansätze, um dem Problem der angespannten Wohnungssituation pragmatisch und effektiv entgegenzuwirken.

Quelle: zvg
Karin Bührer von Entwicklung Schweiz hat viele schlagkräftige Lösungsansätze gegen die Wohnungsnot.
Die Bauwirtschaft ist bereit – jetzt braucht es mutige Politik
Die Wohnungsnot in der Schweiz ist längst zu einer akuten
Herausforderung geworden nicht nur für die betroffenen Mieterinnen und Mieter,
sondern für die gesamte Gesellschaft. Dies gilt wohl gemerkt nicht für alle
Regionen und Orte, sondern primär in den Zentren und zentrumsnahmen
Agglomeration. Da wo die Arbeitsplätze sind und die Menschen eben leben –
deshalb ist die Situation ernst zu nehmen. Explodierende Mietpreise, erstickte Märkte
und eine anhaltende Knappheit an verfügbarem Wohnraum gefährden den sozialen
Zusammenhalt ebenso wie die wirtschaftliche Stabilität. Während die Schweiz
stetig wächst und sich auf eine Bevölkerung von über zehn Millionen Menschen
zubewegt, hinkt die Bautätigkeit dramatisch hinterher. Nicht weil wir nicht
wollen, sondern weil aktuell mehr verhindert als ermöglicht wird.
Die Gründe dafür sind nicht technischer oder finanzieller
Natur – sie sind primär politisch und strukturell. Denn obwohl alle vom Bauen
im Bestand und von Innenverdichtung sprechen, wird genau das durch veraltete
Regulierungen, langwierige Bewilligungsverfahren und starre Zonenordnungen
ausgebremst. Und oftmals auch durch fehlendes Leadership, Wachstumsangst und
Entscheidungsverweigerung. Es ist paradox: Während die Verdichtung nach innen
auf dem Papier als Leitprinzip gilt, ist sie in der Praxis oft schwieriger
umzusetzen als Neubauten auf der grünen Wiese. Und da haben wir das Dilemma,
das mittlerweile alle kennen: Grüne Wiese ist mehr oder weniger Passé aber die
Entwicklung nach innen geht nicht voran
Die Bauwirtschaft ist bereit, ihren Beitrag zu leisten
Wir verfügen über das nötige Know-how, um nachhaltig,
effizient und qualitativ hochwertig zu bauen – auch im dicht bebauten Raum.
Doch wir werden daran gehindert, dieses Potenzial zu entfalten.
Innenentwicklung scheitert zu oft an kleinteiligen Regeln und politischer
Zaghaftigkeit. Aufzonungen im Bestand sind langwierig, Nutzungsreserven bleiben
ungenutzt. Gleichzeitig verhindern rigide Trennungen zwischen Wohn- und
Gewerbezonen moderne, durchmischte Quartiere mit kurzen Wegen und hoher
Lebensqualität.
Gerade gut erschlossene Bahnhofareale – zentrale Filetstücke
der Raumplanung – bleiben chronisch untergenutzt. Dabei wären sie prädestiniert
für eine urbane, dichte Bauweise mit gemischten Nutzungen und einem starken
Fokus auf den öffentlichen Verkehr. Stattdessen dominiert vielerorts ein
Beharren auf überholte Planungsprinzipien. Die Konsequenz: Bauprojekte stocken,
Einsprachen blockieren Investitionen, der Markt trocknet aus.
Was es jetzt braucht, ist eine tiefgreifende strukturelle
Erneuerung aber auch eine Veränderung der Einstellung bei allen Beteiligten:
- Innenverdichtung muss zum Normalfall werden. Das heisst: automatische Aufzonungen bei Sanierungen, eine konsequente Erhöhung der Ausnützungsziffern, flexible und durchlässige Zonenpläne.
- Mehrfamilienhäuser auch in Einfamilienhauszonen zulassen. Es braucht eine offensive Politik der Nutzungserweiterung – dort, wo die Infrastruktur längst vorhanden ist.
- Mischzonen fördern statt verhindern. Wohnen, Arbeiten, Freizeit – das urbane Leben der Zukunft verlangt nach funktional gemischten Räumen statt starrer Nutzungstrennung.
- Bewilligungsverfahren beschleunigen und digitalisieren. Projekte dürfen nicht jahrelang durch missbräuchliche Einsprachen blockiert werden. Es braucht klare Kriterien, straffere Verfahren und eine digitale Transformation der Baubehörden.
- Leadership und Vertrauen fördern. Wir brauchen eine «Allianz der Willigen» mit einer klaren Vision für unser Land. Menschen, die Verantwortung übernehmen, mutige Entscheide fällen, moderne und gesellschaftsfähige Lösungen erarbeiten und diese in der Bevölkerung mit Herzblut und Überzeugung vertreten.
Das Raumkonzept Schweiz liefert hierfür durchaus wertvolle
Impulse – etwa die Stärkung polyzentrischer Netze, die Innenentwicklung an gut
erschlossenen Lagen oder die Entwicklung eines «Städtenetzes Schweiz 2.0». Doch
was fehlt, sind verbindliche Ziele, konkrete Umsetzungsschritte und ein klarer
politischer Wille. Der Bund muss nochmals über die Bücher und sich auch entscheiden,
was die Funktion des Raumkonzept sein soll. Die ansprechende Publikation mit
kreativen Karten ist attraktiv zum Anschauen aber bringt weder Verbindlichkeit
noch Klarheit. Eine inhaltliche Überarbeitung ist wichtig, aber auch die
Klärung, welche Rolle das Papier auf Bundesebene hat – Raumplanung ist in der
Hoheit der Kantone und Kommunen und das ist richtig, es braucht aber regionale
und nationale Ziele und eine Vision, die auch für die Bevölkerung
nachvollziehbar und ansprechend ist.
Die Bauwirtschaft steht in den Startlöchern
Wir sind
bereit, Verantwortung zu übernehmen und die Wohnraumschaffung aktiv voranzutreiben.
Aber wir brauchen endlich Rahmenbedingungen, die das Bauen erleichtern statt
verhindern. Es ist höchste Zeit für einen politischen Schulterschluss –
zwischen Bauwirtschaft, Verwaltung und Politik.
Denn wenn wir jetzt nicht handeln, wird die
Wohnungsknappheit zur sozialen Zerreissprobe. Die Schweiz braucht Wohnraum –
bezahlbar, nachhaltig, vielfältig. Und wir haben das Wissen und die Kraft, ihn
zu bauen.
Packen wir es an. Jetzt. Gemeinsam. Für eine zukunftsfähige
Schweiz, in der alle Platz finden.