Adrian Wildenauer: «Standardisierung als Treiber der digitalen Transformation»
In der Kolumne berichten Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Adrian Wildenauer, Vorstandsmitglied von Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland, beschäftigt sich mit der digitalen Transformation der Bau- und Immobilienindustrie.
Quelle: zvg
Adrian Wildenauer ist Vorstandsmitglied von Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland sowie Leiter BIM Standardisierung und Branche, SBB AG.
Standardisierung als Treiber der digitalen Transformation
Die Schweiz belegt regelmässig in internationalen Rankings von Innovationsmessungen die vorderen Ränge und wird als Vorbild und anzustrebendes Idealbild für viele in der Welt gesehen. Nicht die Innovation an sich, sondern die praktische Umsetzung von Innovationen ist gelebter und notwendiger Fortschritt. Trifft dies auf alle Branchen zu?
Nehmen wir einmal die digitalen Strategien des Bundesrates aus den letzten Jahren und suchen nach der Bau- und Immobilienindustrie. Es ist augenfällig, dass diese beiden Industrien nur am Rande, wenn überhaupt, vorkommen: Sie werden nicht explizit im Kontext der digitalen Transformation erwähnt. Befragen wir Aussenstehende, was sie über die Branchen denken, werden meist negative Assoziationen und gescheiterte Grossprojekte genannt. Dabei ist die Bauindustrie samt angeschlossenen Industriezweigen einer der Motoren der Schweizer Wirtschaft. Ein «Hidden Champion», wenn nicht gar ein «Forgotten Champion».
Dies führt zu mehreren Fragen. Warum tun wir uns in der Bauindustrie seit einigen Jahrzehnten so schwer mit Innovationen? Waren wir doch jahrelang führend in der Entwicklung von Technologien, Tools und Methoden bis in die 1960er-Jahre hinein. Wo ist unsere Innovationsfähigkeit geblieben? Können wir als Industrie in Zukunft attraktiv für die kommenden Generationen werden und, noch wichtiger, bleiben? Diese wachsen mit digitalen Methoden und Techniken auf und können den Bruch von analogem und digitalem Tun und Handeln nicht nachvollziehen. Genügt es wie in vielen Videos von Firmen zu sehen, den Mitarbeitenden auf der Baustelle und im Büro Tablets zur Verfügung zu stellen? Können wir so die kommende Generation überzeugen, in der Bauwirtschaft tätig zu sein? Was braucht es, damit die Industrie nicht nur in der Wertschöpfung eine wichtige Rolle spielt, sondern auch in der digitalen Transformation des Landes?
Bedauerlicherweise existiert nicht das «eine» Patentrezept, das angewendet werden muss, damit eine Branche «digital(er)» wird. Es gibt auch keinen Königsweg. Vielmehr braucht es eine übergreifende Strategie der Verbände und Vereine, die seit geraumer Zeit im Rahmen der «BIM Industry Days» in Erarbeitung ist. Diese zeigt den groben Rahmen auf und gibt bedingt eine Leitlinie. Wissen wir als Industrie aber überhaupt, wo wir in zehn Jahren stehen möchten? Technik und Technologie alleine sind wenig hilfreich. Es genügt nicht, kurzfristig Technologien einzusetzen, ohne das grosse Ganze im Blick zu haben und zu wissen, wohin man denn überhaupt möchte. Genauso wenig nützt es, wenn man allein auf Prozessoptimierungen schielt.
Eine leider komplett unterschätzte Rolle spielt hierbei die Standardisierung und Normierung; setzt sie doch wichtige Leitplanken und definiert grundlegende «Spielregeln» für das gemeinsame Vorgehen. Standardisierung harmonisiert, schafft Sicherheit im Umgang und ermöglicht gerade deswegen Kreativität. Man stelle sich vor, wir müssten auf jeder Baustelle den Beton individuell erproben, Fenstermasse spezifisch vereinbaren oder Parkettmasse raumspezifisch eruieren. Zeit würde verschwendet für «Standardaufgaben», die im kreativen Prozess und weiteren wertschöpfenden Arbeiten fehlen.
Auch hier werden wir neue Konzepte benötigen, da bisher im «klassischen System» retrospektiv, also rückblickend, normiert wurde. Man trug in Projekte umgesetzte Grundlagen zusammen und goss diese in Regelwerke. Das ist in der digitalen Transformation der Bauindustrie schwierig. In der Normierung und Standardisierung des Informationsmanagements müssen wir zukünftig viele kleine Schritte gehen und dabei analysieren, was gut lief. Wir benötigen den Mut, Dinge zu optimieren, wenn wir merken, dass die bisherigen Mittel nicht funktionieren oder eine andere Methode besser geeignet wäre. Muss ein Sachverhalt immer in epischer Breite definiert sein, um Einzug in eine Norm zu finden? Bestehende Normen müssen kritisch beleuchtet werden, ob sie uns in der digitalen Transformation nicht eher einschränken als unterstützen. Dazu braucht es eine Änderung im Mindset: Konsent statt Konsens sollte uns leiten – nicht der kleinste gemeinsame Nenner darf zählen, sondern das grösste gemeinsame Ganze. Das muss unser Anspruch sein, nicht, ob unser tägliches Tun in einer Norm abgebildet ist.
Dazu zählt auch die freiwillige Erarbeitung im Milizsystem. Der Bundesrat stellt in einer seiner letzten Strategien fest, dass dieses bisherige, erprobte System in der digitalen Welt an seine Leistungsgrenzen stösst. Der Bundesrat fordert hier ein langfristiges Umdenken und tragfähige Strukturen, die «den Herausforderungen der Internationalisierung im Normierungs- und Standardisierungsbereich gewachsen sind»: Schon lange werden nicht mehr Normen in der Schweiz erstellt, sondern grossteils aus CEN und ISO übernommen. Hier gilt es, professionell und auf Augenhöhe in diesen Gremien die Interessen der Schweiz zu vertreten und die oben genannten «Spielregeln» zukunftsfähig auszurichten – nicht im Interesse einzelner, sondern im Interesse der Schweiz. Der «Forgotten Champion» muss aus dem Schatten treten.