15:27 MANAGEMENT

Werner Günthör: Wenn der Sanitärinstallateur Kugeln stösst

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: KEYSTONE /Str

Als Werner Günthör als Kugelstösser 1984 erstmals an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilnahm, belegte er den fünften Rang. Das war der Start eines zehn Jahre dauernden Höhenflugs. Der gelernte Sanitärinstallateur erzählt von der besonderen Kameradschaft zwischen Sportlern und seinem unbedingten Willen, sich stets zu verbessern.

Werner Günthör an den Olympischen Spielen in Seoul.

Quelle: KEYSTONE /Str

Werner Guenthör an den Olympischen Sommerspielen in Seoul, im September 1988, wo er die Bronze-Medaille gewann.

Die Schweizer Kugelstosslegende empfängt uns an der Bergstation des «Funi». «Funi» ist das Kurzwort für Funiculaire, französisch für Standseilbahn. Sie fährt von Biel zum nationalen Sportzentrum Magglingen. Mit seinem weissen Kastenwagen bringt uns Werner Günthör von der Bergstation wortwörtlich ans «Ende der Welt». So heisst das Restaurant etwas weiter oben, gleich über der Nebelgrenze. Als «Kugel-Werni» wurde der Zwei-Meter-Mann schweizweit bekannt. Auch international erntete der Thurgauer grosse Anerkennung. Nach wie vor belegt er den achten Platz auf der weltweiten Bestenliste: Die Rekord-Marke von 22,75 Meter hatte er 1988 in Bern gestossen. Danach holte er bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul die Bronzemedaille. Und gewann drei Weltmeisterschaften in Serie: Rom 1987, Tokio 1991, Stuttgart 1993 – dieser Hattrick gelang nur einem einzigen anderen Kugelstösser. «Ich habe meinen Eltern schon als Kind gesagt, dass ich einmal an den Olympischen Spielen teilnehme», erinnert er sich.

Der Erfolg ist dem 63-Jährigen nicht zu Kopf gestiegen. Er ist bodenständig wie sein Auto: Kein teurer «Chlapf», sondern eines, dem man ansieht, dass es schon viel erlebt hat und hauptsächlich seinen Zweck erfüllen soll. «Alle wollen immer Geschichte schreiben», sagt Günthör kopfschüttelnd. «Doch die Leute vergessen einen schnell, wenn der Erfolg weg ist.» Im Gegensatz zu den 1960er- und 1980er-Jahren sei man heute viel schneller vergessen. «Das musst du aushalten können, wenn du kein Star mehr bist und die Leute sich weniger für dich interessieren», weiss er. Traurig wird er, wenn Journalisten sagen «jetzt hat es nicht fürs Podest gereicht». «Dabei bist du auch als viertbester der Welt ein absoluter Spitzenathlet! Dahin musst du erst mal kommen.» Leid tut ihm Ski-Ass Marco Odermatt: «Aufs Podest zu fahren, ist für ihn schon fast eine Verpflichtung. Der Druck auf ihn ist enorm. Nach seiner Dominanz in den letzten zwei Saisons gilt bereits ein dritter Platz als Niederlage.»

Von Hochsprung bis Fussball

Es würde Günthör allerdings schon freuen, wenn sein Rekordwurf noch eine Weile in der ewigen Bestenliste stehen bleibt – obwohl sich wahrscheinlich nur noch wenige an diesen Coup erinnern. So habe er, Günthör, denn auch immer für sich geschuftet und trainiert, nicht um des Ruhmes willen. «Ich versuche stets, aus allem das Maximum herauszuholen. Wenn ich sehe, dass ich etwas kann, möchte ich mich persönlich verbessern.» Besonders im Sport habe er immer gewinnen wollen. «Wenn ich verlor, war ich enttäuscht.»

Als 11-Jähriger begann Günthör mit der Leichtathletik. Viel Auswahl gab es in Uttwil TG, wo er aufwuchs, nicht: «Wir hatten lediglich einen Turn- und einen Hockeyverein.» Günthör versuchte viele Sportarten aus: diverse Leichtathletik-Disziplinen wie Hochsprung, aber auch Handball, Hockey, Fussball. Gern wäre er Sportlehrer geworden. Doch es kam – zumindest vorerst – anders: «Nach der obligatorischen Schulzeit bestand mein Vater darauf, dass ich eine Ausbildung absolvieren soll. Danach könne ich tun, was ich wolle.» Werner Günthör entschied sich für eine Lehre als Sanitärinstallateur. Er hatte grosses Glück: Sein Chef und dessen Frau waren selbst Profisportler, fuhren Kanu. «Die beiden verstanden, was es heisst, Ausbildung und Sport unter einen Hut bringen zu müssen und sorgten dafür, dass ich abends rechtzeitig ins Training konnte.» Günthörs Laufbahn als Leichtathlet hatte in der Schweiz gerade Fahrt aufgenommen. Trotzdem schloss er die Lehre ab, ebenso anschliessend die Rekrutenschule. Als 20-Jähriger begann Günthörs Zeit in Magglingen. Nach der Ausbildung verabschiedete er sich vom Beruf des Sanitärinstallateurs und setzte voll auf Sport: «In Magglingen erhielt ich Kost und Logis. Ich lebte sehr bescheiden, bekam etwas Geld vom Leichtathletikverein und meinen Eltern.» Zudem arbeitete er halbtags in Biel.

Werner und Nadja Günthör beim Motorradfahren

Quelle: zvg

Werner und Nadja Günthör haben ein gemeinsames Hobby: Motorradfahren.

Meisterprüfung statt Kugelstossen?

Zunächst konzentrierte er sich auf das Speerwerfen, bis er Jean-Pierre Egger begegnete, der Günthör später als dessen Trainer zu seinen weltweiten Erfolgen verhelfen sollte. Egger überzeugte den Athleten, dass Kugelstossen besser zu ihm passe – er sollte recht behalten. Günthör zweifelte allerdings noch: «Ich gab mir fünf Jahre. Dann wollte ich ehrlich abwägen, ob es für eine Sportkarriere reicht, oder nicht.» Hätte es nicht geklappt, wäre er Sanitärinstallateur geblieben und hätte die Meisterprüfung angehängt. Das sollte niemals passieren: Günthör lieferte von 1986 bis 1989 als Kugelstösser Topresultate. Nie zuvor hatte ein Leichtathlet die Schweiz in solche Höhen geführt – und auch nachher nicht. Gleichzeitig begann er 1987 in Magglingen seine Ausbildung zum Sportlehrer. «Neben der Sportkarriere diese Ausbildung zu machen, ging nur, weil ich sie in einer verlängerten Variante durchführen durfte.»

1989, auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Sportler, stellten die Ärzte bei Günthör Probleme mit dem Rücken fest. Ein Jahr später liess er sich operieren und gab ein weiteres Jahr später sein Comeback. Zwei der drei gewonnen Weltmeisterschaften in Folge fanden nach der Operation statt. Zudem holte er 1991 auch noch Gold bei den Leichtathletik-Hallenweltmeisterschaften. Nach der WM 1993 in Stuttgart gab Günthör dennoch seinen Rücktritt bekannt. «Ich wollte immer auf dem Höhepunkt aufhören», sagt er. Zudem rief Magglingen: Wenn er nach wie vor die Sportlehrer-Ausbildung abschliessen wolle, müsse er das jetzt in Angriff nehmen.

Seit 40 Jahren ist Günthör nun im Nationalen Sportzentrum tätig, in verschiedenen Funktionen. Einerseits als Sportlehrer, zudem hält er Vorträge, macht Führungen in Magglingen und betreut einzelne Nachwuchstalente. «Wer nach Magglingen kommt, hat eine Affinität zum Sport, das hält uns zusammen, das Miteinander kommt mehr zum Tragen. Man ist sich einfach näher, als in einem Büro-Job.» Gemeinsam mit seinen Kollegen trifft er sich nicht nur zum Mittagessen, sondern auch mehrmals wöchentlich zum Sport. «Wichtig ist, dass man etwas teilt, etwas zusammen leistet. Man gewinnt und verliert gemeinsam. Das gibt ein gutes Gefühl, da sind viele Emotionen im Spiel. Ich finde, wir machen das Beste aus unserer Zeit. Das Leben ist so spannend.»

Den Anspruch, sich immer zu verbessern, ist ein Lebensmotto des  63-Jährigen. Eine Episode aus seiner Sanitärinstallateur-Ausbildung hat er sich zu Herzen genommen: «Nachdem ich eine Installation gemacht hatte, fragte mich der Chef: ‹Bist du zufrieden mit deiner Arbeit?› Als ich mit einem zögerlichen Ja antwortete, sagte er: ‹Wenn du wirklich zufrieden bist, dann hast du es gut gemacht.» Es sei ja auch eine Freude, wenn das, was man gemacht habe, funktioniere, und man eine Bestätigung erhalte. «Es wird nicht jeder ein Weltmeister, aber jeder kann auf seinem Niveau stets besser werden. Im Spitzensport brauchst du diese Einstellung.» Wichtig sei dennoch, nahestehende Menschen um sich zu haben, die einem den Spiegel vorhalten: «Bei mir sind das meine Frau, meine zwei Brüder und mein ehemaliger Trainer.»

«Ich war meines Glückes Schmied»

Nach wie vor verfolgt Günthör das Geschehen in der Leichtathletik, besucht mit seiner Frau Nadja (59) Leichtathletik-Meetings. «Es ist spannend, wie sich die Leichtathletik entwickelt hat. Zu meiner Zeit durfte man keine Sponsoren haben, die Athleten wurden mit Sachpreisen belohnt.» Trotzdem findet er, er sei in der schönsten Ära der Leichtathletik gross geworden: «Da warst du noch in aller Munde. Man ging anders miteinander um, konnte sich vertrauen. Das ist wichtig.» Heute sei alles viel oberflächlicher geworden, so dünkt es ihn, zu viel drehe sich ums Geld. «Gier verändert den Charakter, ebenso wie der stete Gedanke, andere hätten es besser.» Es sei schön, wenn man sich etwas leisten kann von seiner Tätigkeit, aber: «Reich sein ist eine Einstellung.» Er ist denn auch stolz auf seinen Lebensweg: «Ich bin mit Plumpsklo, Bettflaschen und Kachelofen aufgewachsen. Ich erhielt nichts geschenkt, sondern erarbeitete mir alles eigenständig. Ich war meines Glückes Schmied.»

In zwei Jahren möchte Günthör, der seit 30 Jahren in Erlach am Bielersee mit seiner Frau Nadja wohnt, in Pension gehen. «Es ist wie im Sport: Irgendwann ist ein Abschnitt fertig.» Er hat noch viele Pläne: Sein Hobby Motorradfahren – er gibt auch Sicherheits-Fahrtraining – teilt er mit seiner Gattin. Wenn die Berner Grossrätin ebenfalls in Rente geht, möchten die beiden nach Australien. «Wir waren schon 1993 dort, sechs Wochen in den Flitterwochen. Doch diesmal möchte ich länger bleiben.» Mit seinem ehemaligen Lehrlingschef von der Sanitärinstallateur-Ausbildung verbindet ihn immer noch eine tiefe Freundschaft. So haben die beiden vor ein paar Jahren Günthörs alten Willys-Jeep auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. «Wir hatten die ganzen Jahre über Kontakt. Ich bin ein treuer Typ.»

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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