06:26 MANAGEMENT

Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz: Wann merkt man, dass man erschöpft ist?

Teaserbild-Quelle: Alexander Andrews, Unsplash

Wie merkt man rechtzeitig, dass man überarbeitet ist und ein Burnout droht? Arbeitspsychologe Oliver Weigelt erforscht die Ursachen von Burnouts und hat in einer Studie untersucht, wie man mit das persönliche Energieniveau erfasst und damit einer Überarbeitung vorbeugt.

Handy mit leerer Batterie

Quelle: Alexander Andrews, Unsplash

Wenn die Batterie leer ist, sollte man sie wieder aufladen. Doch am Besten beugt man vor, damit es nicht so weit kommt.

Der Wissenschaftler arbeitet am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig und beschäftigt sich damit täglich mit einem der Themen, um das es am heutigen „Welttag Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz“ geht.

Erschöpfungszustände wie Burnout sind immer häufiger Grund für Krankschreibungen. Was sind die Gründe dafür?

Die Zunahme an Krankschreibungen im Zusammenhang mit Burnout hat vielfältige Gründe. Ein ganz wesentlicher Faktor dürfte aber die Verdichtung, Beschleunigung und Intensivierung der Arbeit sein. Gross angelegte repräsentative Studien zeigen, dass zum Beispiel geleistete Überstunden mit geringerer mentaler Gesundheit einhergehen. Das schliesst unter anderem Symptome wie Erschöpfung, Anspannung, depressive Verstimmung oder auch psychosomatische Beschwerden ein. Auch die gedankliche Weiterbeschäftigung mit der Arbeit ausserhalb der regulären Arbeitszeiten kann den Prozess der Erholung stören. Ein Zuviel an Arbeit und gleichzeitig eine Vernachlässigung der Selbstfürsorge machen einen Anstieg in Erschöpfung, dem Kernaspekt von Burnout, wahrscheinlicher.

Neben hohen Arbeitsanforderungen und fehlenden Erholungsphasen trägt aber auch ein Fehlen von Wertschätzung der geleisteten Arbeit durch die Organisation zu Erschöpfung, Zynismus und vermindertem Kompetenzerleben bei. Es gibt strukturelle Ursachen wie einen ungünstigen Personalschlüssel, etwa durch Einsparungen, Fachkräftemangel, bei dem Arbeit auf weniger Schultern verteilt wird. Diese Ursachen lassen sich oft nicht über Nacht beheben. Insofern ist es wichtig, dass Beschäftigte selbst aktiv einen Ausgleich schaffen oder die Arbeit so anpassen, dass sie zu ihnen passt und auch mittelfristig ihrer Gesundheit zuträglich ist.

Welche Warnsignale sollte man ernst nehmen, wenn man sich im Job überfordert und erschöpft fühlt?

Sich am Ende eines (Arbeits)Tages erschöpft und müde zu fühlen, ist normal und teils auch chronobiologisch bestimmt. Kritischer wird es, wenn dieser Zustand auch über etwas längere Phasen der Erholung hinweg wie dem Wochenende anhält. Ich möchte hier nochmal eine Lanze dafür brechen, nicht erst zu warten, bis ein bestimmter Kipppunkt überschritten ist und man gravierende Beschwerden hat, sondern die eigene Gesundheit als Priorität neben Arbeit und Familie zu setzen und proaktiv in die Hand zu nehmen. Prävention ist immer viel leichter als Therapie.

Was sollte man aus Ihrer Sicht präventiv tun?

Angebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements haben meist einen Schwerpunkt auf körperlicher Gesundheit im engeren Sinne und unterstützen dabei, sich mehr zu bewegen oder sich gesünder zu ernähren. Viele Trainings, die breiter auf die mentale Gesundheit abzielen, machen Angebote zum Thema Achtsamkeit und vermitteln zum Beispiel Entspannungstechniken wie Meditation.

Jenseits dieser bewährten Ansätze kann „job crafting“ – im Deutschen etwa Arbeitsgestaltung durch die Beschäftigten – eine gute Ergänzung sein. Bei „job crafting“ geht es darum, mit kleinen Anpassungen an den Inhalten oder Schwerpunkten eine bessere Passung herzustellen zwischen dem, was den eigenen Neigungen und Talenten entspricht und dem, womit man den Grossteil seines Arbeitstages verbringt. Das kann bedeuten, bestimmte Aufgaben abzugeben und dafür andere zu übernehmen, die besser zu einem passen. Ich finde es faszinierend, dass der Wandel der Arbeitswelt im Zuge der digitalen Transformation gleichzeitig Freiräume, aber auch die Notwendigkeit schafft, die Arbeit selbst zu gestalten. Aus meiner Sicht tun Organisationen gut daran, Freiräume zur Anpassung zuzulassen, zum Beispiel über massgeschneiderte individuelle oder auch betriebliche Vereinbarungen.

Sie haben im vergangenen Jahr eine Studie zu einer neuen Methode zur Erfassung des individuellen Energieniveaus veröffentlicht. Was hat es mit der Batterieskala menschlicher Energie auf sich?

Menschliche Energie ist ein wichtiger Aspekt des Wohlbefindens, der sich im Erleben von Vitalität und Tatendrang, aber auch geringen Ausprägungen von Ermüdung und Erschöpfung widerspiegelt. Das regelmässige Erfassen des individuellen Energieniveaus kann zur Prävention und zur Früherkennung von Erschöpfungszuständen wie Burnout beitragen. Zur Messung von Aspekten der Energie gibt es viele Skalen. Die meisten von ihnen sind aber zu lang und zu umfangreich, um sie zum Beispiel für ein kontinuierliches Aufzeichnen im Laufe eines Arbeitstags zu nutzen. Die Batterie-Skala besteht nur aus einer Frage. Sie nutzt Bilder vom Ladezustand einer Batterie, um Personen ihr momentanes Befinden auf einem Kontinuum von "verbraucht" bis "voller Energie" einschätzen zu lassen.

Die Metapher der Batterien, die man nach der Arbeit wiederaufladen muss, ist im Alltag sehr geläufig. Auch mit Symbolbildern des Batterie-Ladezustands sind die meisten Menschen bestens vertraut, weil technische Geräte wie Mobiltelefone oder Tablets den Ladezustand prominent anzeigen. Wir konnten über mehrere Studien hinweg zeigen: Mit Hilfe einer kurzen Instruktion und den Batterie-Piktogrammen lässt sich die momentane Vitalität oder auch Erschöpfung valide, besonders zeitsparend und nutzerfreundlich messen. In unseren Studien benötigten die Personen in der Regel unter zehn Sekunden für die Bearbeitung. Anders gesagt, man kann das auch über die Smartwatch auf dem Weg von einer Besprechung in die nächste ausfüllen.

Wo und wann könnte Ihre Batterieskala Anwendung finden?

Die Batterie-Skala menschlicher Energie bringt den eigenen Ressourcenstatus auch durch die Farben von grün bis rot sehr prägnant und anschaulich auf den Punkt. Sie führt einem vor Augen, ob man heute im roten Bereich ist. Die Batterie-Skala erleichtert deswegen wie vielleicht kein anderes Messinstrument in dem Bereich auch eine bewusste Reflexion über die eigene Vitalität im Alltag, zum Beispiel im Rahmen eines persönlichen Energie-Audits: Man zeichnet den Verlauf der eigenen Vitalität im Laufe eines Tages oder einer Woche auf und reflektiert dann anschliessend, warum man sich an einem bestimmten Tag besser oder schlechter gefühlt hat. Dadurch kann man nicht nur achtsamer mit den eigenen Ressourcen umgehen, man kann auch mögliche Hebel erkennen, um die eigene Energie zu beeinflussen.

Ich bin Teil einer interdisziplinären Forschungsgruppe unter Beteiligung von Wirtschaftsinformatik und Psychologie, in der wir eine Plattform namens „ze:st“ (zappy energy and self-tracking) entwickelt haben. Im Rahmen von „ze:st“ bieten wir ein Energie-Audit an und geben Teilnehmenden auf Grundlage ihrer Daten ein Feedback darüber, welche ganz konkreten Verhaltensweisen im Arbeitsalltag für sie persönlich zu mehr Schwung beitragen können. Das aus meiner Sicht Spannende an diesem Ansatz: Wir geben ähnlich wie in der Präzisionsmedizin auf die Person zugeschnittene Empfehlungen, statt Verhaltensweisen zu empfehlen, die zwar im Allgemeinen günstig wirken, bei der spezifischen Person aber möglicherweise eine ganz untergeordnete Rolle spielen.

Aber auch jenseits von „ze:st“ ergeben sich sehr viele praktische Einsatzmöglichkeiten, überall da, wo man gern die Vitalität oder Erschöpfung als Indikator mentaler Gesundheit im Zeitverlauf im Auge behalten möchte. Aus meiner Sicht ergeben sich aber auch Anwendungen aus Sicht von Organisationen, etwa im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung.

Abgesehen davon eignet sich die Batterie-Skala natürlich als valides wissenschaftliches Instrument bei Tagebuch-Studien, also Befragungsstudien mit täglichen Fragebögen über ein oder zwei Wochen, im Rahmen der Forschung. (mgt/mai)

Hier geht es zur Originalpublikation: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1359432X.2022.2050218

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