15:11 MANAGEMENT

Unfallversicherer Suva: Sorgenfalten trotz Höhenflug

Teaserbild-Quelle: PPR, Dominik Baur

32,2 Millionen Gewinn trotz einem Reserveabbau von 44,9 Millionen Franken, eine Anlageperformance von 4,1 Prozent und ein Deckungsgrad von 135,9 Prozent: Die Suva glänzt mit Topzahlen. Die Unwägbarkeiten auf den Finanzmärkten und die schwierige Lage vieler versicherter Betriebe dämpfen aber die Freude.

Die Suva-Spitzen (von links): Finanzchef Ernst Mäder, Ratspräsident Markus Dürr und Felix Weber, Vorsitzender der Geschäftsleitung (PPR, Dominik Baur)

Quelle: PPR, Dominik Baur

Die Suva-Spitzen (von links): Finanzchef Ernst Mäder, Ratspräsident Markus Dürr und Felix Weber, Vorsitzender der Geschäftsleitung

Wir befinden uns in einer Höchstform», freut sich Markus Dürr, Präsident des Suva-Rats. Der grösste Schweizer Unfallversicherer erzielte im vergangenen Jahr einen Ertragsüberschuss von 32,2 Millionen Franken nach einem Minus von 20,7 Millionen Franken im Geschäftsjahr 2015. Dabei baute die Suva erneut Ausgleichreserven ab: 44,9 Millionen Franken seien an die Kunden zurückerstattet worden, erklärt Felix Weber, Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Das den Reserven entnommene Geld wurde als einmaliger Prämienrabatt an rund 30 Prozent der versicherten Firmen und Beschäftigten weitergereicht. Das Ergebnis vor dem Reserveabbau betrug 77,1 Millionen Franken – verglichen mit 27 Millionen Franken im Jahr 2015. Die Suva konnte sich sogar einen Kapitalzuschuss von 150 Millionen für die eigene Pensionskasse leisten, die vom Leistungs- auf das Beitragsprimat umstellte.

875 Millionen Kapitalerträge
Den Hauptgrund für das Rechnungsergebnis sieht Suva-Finanzchef Ernst Mäder in der Anlageperformance, die viel besser ausgefallen sei als erwartet. Mit 4,1 Prozent habe sie über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre von 3,3 Prozent gelegen – dies trotz Negativzinsen und hohen Unsicherheiten auf den Finanzmärkten. Besonders das Immobiliengeschäft, Obligationen, Aktien, Private-Market-Anlagen, Gold und Rohstoffe haben dazu beigetragen. Brutto beliefen sich die Kapitalerträge auf 875 Millionen Franken. Davon steckte die Suva 715 Millionen Franken in Rückstellungen für Risiken aus Kapitalanlagen. «Wegen den tiefen Zinsen übertreiben die Aktienmärkte zurzeit», sagt Mäder. Da müsse man vorsichtig sein.

Dank der überdurchschnittlichen Performance stieg das Anlagevermögen von 46,4 auf 48 Milliarden Franken. Dieses ist zweckgebunden. Es deckt die gesetzlichen Verpflichtungen der Suva gegenüber ihren Versicherten, vor allem die 88 038 Renten. Der Deckungsgrad, das heisst das Verhältnis des Vermögens zu den Verpflichtungen, stieg bis Ende 2016 auf 135,9 Prozent. Ende 2015 hatte der Deckungsgrad noch 133,6 Prozent betragen. Bis Ende Mai 2017 kletterte er auf geschätzte 139,5 Prozent. Die Performance erreichte bis Ende Mai 3,5 Prozent.

«Wir haben diese grossen Reserven, weil wir sie brauchen», erklärt Mäder. National wie international bestehen nach seiner Einschätzung weiterhin grosse wirtschaftliche, finanzielle und politische Unwägbarkeiten. Eine entscheidende Frage ist für den Finanzchef, ob ein geordneter Exit aus der Tiefzinsphase gefunden werden kann. Er sieht deshalb den Unfallversicherer weiterhin in einem schwierigen Umfeld. Damit liegen auch die Erwartungen für die zukünftigen Anlageerträge weiterhin deutlich unter den historisch beobachteten Werten.

Auch die wirtschaftliche Lage der bei der Suva versicherten Branchen bleibt laut Mäder schwierig. Als Stichworte nannte er den starken Franken, das Verhältnis zur EU, den drohenden Protektionismus und den möglichen Einbruch der Baukonjunktur. Zudem lässt der technologische Wandel halbe Wirtschaftszweige wegbrechen, die traditionell bei der Suva versichert sind. Gleichzeitig entstehen neue Berufszweige wie zum Beispiel der Taxidienst Uber, dessen Versicherungsstatus unklar ist. Rückläufig ist die Zahl der Versicherten in erster Linie in der Landwirtschaft, der Papier-, Druckerei- und Medienbranche sowie in der Maschinen- und Metallindustrie.

Präventionsarbeit wird verstärkt
Für die kommenden Jahre rechnet Felix Weber mit einer stabilen Entwicklung und einem insgesamt unveränderten Prämienniveau. Verstärken will die Suva ihre Präventionsarbeit. Die Berufs- und die Nichtberufsunfälle sollen dabei ganzheitlich angegangen werden. Ein Unfall bringe nicht nur Leid und Kosten, sondern auch Umtriebe, sagt Dürr. Betriebe mit weniger Unfällen seien effizienter als jene mit vielen Vorfällen. Bei der Prävention will die Suva vor allem die Lehrlinge ansprechen. Jährlich verunfalle jeder achte Lehrling während der Arbeitszeit, jeder vierte während der Freizeit, erklärt Weber.

Bei den Unfällen und Berufskrankheiten verzeichnete die Suva 2016 einen Rückgang von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr: Insgesamt sank die Zahl von 463 034 auf 461 010 Fälle. Dabei verringerte sich die Zahl der Berufsunfälle von 178 478 auf 175 589. Auch die Nichtberufsunfälle gingen zurück: von 265 209 auf 263 987. Das sogenannte Fallrisiko – die Anzahl neu registrierter, anerkannter Fälle pro 1000 Vollbeschäftigte – sank denn auch in der Berufsunfallversicherung von 87,3 auf 85,1. Auch in der Nichtberufsunfallversicherung lag das Fallrisiko mit 128,4 unter jenem von 130,5 aus dem Vorjahr.

Die Anzahl neuer Invalidenrenten bewegt sich im Rahmen der Vorjahre. Nach zwei Jahren mit sinkenden Zahlen stieg sie 2016 auf 1670 – im Vorjahr waren es noch 1605. Um 1,9 Prozent höher als im Vorjahr fielen die Heilkosten aus. Sie betrugen 1,21 Milliarden Franken. Diese Entwicklung dürfte sich im laufenden Jahr fortsetzen.

Unfallrisiko auf dem Bau gesunken
Im Bauhauptgewerbe sank die Zahl der neu registrierten, anerkannten Fälle im Vergleich zum Vorjahr von 28 689 auf 28 071. Das Fallrisiko nahm weiter von 187 auf 183 ab. 2007 hatte es im Bauhauptgewerbe noch bei 219 gelegen. Gleichzeitig ging die Zahl der Vollbeschäftigten gegenüber 2015 von 153 705 auf 153 008 zurück. Bis 2014 war sie auf 155 490 geklettert.

Um die Kosten im Griff zu behalten, nutzt die Suva Big-Data-Technologien. Diese Datenanalysen verhinderten 2016 ungerechtfertigte Leistungsbezüge in der Höhe von 18 Millionen Franken – 38 Prozent mehr als im Vorjahr. «Wir kennen null Toleranz bei Versicherungsmissbrauch», betont Weber. «Uns geht es darum, die Prämiengelder unserer Kunden korrekt und fair zu verwenden.»

959 Verdachtsfälle hat die Suva im vergangenen Jahr untersucht. Das sind 65 Prozent mehr als 2015. Bei 40 Prozent dieser Fälle wurde ein Missbrauch nachgewiesen, bei 60 Prozent davon wurde der Verdacht ausgeräumt. «Seit der Einführung der Missbrauchsbekämpfung 2007 wurden insgesamt 135 Millionen Franken eingespart», sagt Weber. Hinzu kommen systematische Rechnungskontrollen. 2,4 Millionen Rechnungen hat die Suva 2016 überprüft. 280 000 Rechnungen in der Gesamthöhe von 210 Millionen Franken hat sie zurückgewiesen.

Der 1918 gegründete Unfallversicherer beschäftigt am Hauptsitz im Luzern, den schweizweit 18 Agenturen und in den zwei Rehabilitationskliniken Bellikon und Sion rund 4200 Mitarbeitende. Die Suva ist Teilmonopolistin und bietet die obligatorische Unfallversicherung in der Industrie und in der Landwirtschaft an. Als selbstständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts mit 4,1 Milliarden Franken Prämienvolumen versichert die Suva rund 128 000 Unternehmen beziehungsweise 2 Millionen Berufstätige gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten. Arbeitslose sind automatisch bei der Suva versichert. Damit versichert die Suva rund die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmer.

«Einzigartiges Modell»
«Das gekonnte Zusammenspiel von Prävention, Versicherung und Rehabilitation ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor», erklärt Präsident Markus Dürr. Das «Modell Suva» bleibe in der Schweiz einzigartig, sagt Felix Weber. Die Suva werde sozialpartnerschaftlich geführt, arbeite selbsttragend und damit ohne öffentliche Gelder und gebe Gewinne in Form von tieferen Prämien an die Versicherten zurück. «Wir können so im Interesse des Werkplatzes Schweiz wirtschaften.»
Der Suva-Rat wird auf 2018 einen neuen Präsidenten erhalten. Dürr muss sein Amt nach vier Jahren abgeben, weil er 70 geworden ist und der Altersguillotine zum Opfer fällt. Den Nachfolger bestimmt der Suva-Rat am 17. November. (pd)

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