Gleitzeit und Homeoffice als Voraussetzung, ob ein Job infrage kommt
Homeoffice, Gleitzeit und andere flexible Modelle sind aus vielen Bereichen der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Welchen Stellenwert haben sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Spielen sie bei der Jobwahl gar eine grössere Rolle als der Lohn? Und beeinflussen solche Modelle die Attraktivität von Arbeitgebern? Diesen Fragen ist Versicherungsfachmann Michel Mädler, Absolvent des MAS Business Administration an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, in seiner Masterarbeit auf den Grund gegangen.
Quelle: Ralf Gervink, Pixabay-Lizenz
Die richtige Balance ist gefragt, wenn es darum geht, wo der Job erledigt werden soll: Muss man konzentriert arbeiten, eignet sich Homeoffice, muss im Team gearbeitet werden, ist das Büro zweckmässiger.
So zeigte die Umfrage, die er für seine Masterarbeit durchführte, dass für die Mehrheit der 35- bis 65-Jährigen die Möglichkeit, von zu Hause arbeiten zu können, beim Entscheid für eine Stelle mehr zählt als der Lohn, während für jüngere Generationen der Zahltag Priorität hat. Weshalb dies so ist, und warum es sich für Unternehmen lohnt, bereits im Bewerbungsprozess auf flexible Arbeitszeitmodelle hinzuweisen erklärt er im Interview.
Mittlerweile ist es alltäglich, von zuhause oder unterwegs aus zu arbeiten. Hat das Büro überhaupt noch Zukunft?
Die
Zukunft liegt in einem guten Mix. Für Aufgaben, die eine hohe
Konzentration erfordern, ist beispielsweise das Homeoffice gut geeignet.
Teambildung und Vernetzung sind aber auf Distanz schwierig, wenn die
Mitarbeitenden keinen zwischenmenschlichen Austausch mehr vor Ort
pflegen. Nicht umsonst wollten viele Unternehmen, die nach der Pandemie
Modelle mit 100 Prozent Homeoffice angeboten haben, ihre Mitarbeitenden
wieder vermehrt am Arbeitsplatz sehen. Prominentes Beispiel ist
Novartis.
Haben flexible Modelle wie Homeoffice vielleicht doch noch einen schweren Stand in der heutigen Arbeitswelt?
Sie
haben es sicher einfacher als vor der Pandemie und werden in Zukunft
auch immer mehr an Bedeutung gewinnen. Denn in einer Welt, in der sich
Arbeitnehmende immer mehr nach Flexibilität sehnen und sich der
Fachkräftemangel weiter zuspitzen wird, sind flexible Arbeitszeitmodelle
für Unternehmen ein wichtiges Instrument, um ihre Attraktivität zu
steigern. Hinzu kommt, dass nun immer mehr Personen der Generation Y und
Z eine Führungsrolle übernehmen. Für diese Generationen sind Homeoffice und Co. selbstverständlicher als für frühere Generationen. Es ist
deshalb anzunehmen, dass diese neuen Führungskräfte offener gegenüber
flexiblen Modellen sind.
Sie haben im Rahmen Ihrer Masterarbeit
an der Ostschweizer Fachhochschule das Bedürfnis der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer untersucht. Unter anderem mit einer Online-Befragung
unter 287 Dienstleistungsangestellten. Welchen gemeinsamen Tenor gab es?
Die flexible Einteilung der Arbeitszeit und die Möglichkeit,
von zuhause aus zu arbeiten, ist für alle Generationen von grosser
Bedeutung. 83 Prozent der Umfrageteilnehmenden haben angegeben, dass das
Angebot an flexiblen Arbeitszeitmodellen für sie bei der Stellenwahl
ausschlaggebend ist. Fast ebenso viele bewerten ein Unternehmen
attraktiver, je mehr solcher Modelle es anbietet. Und 94 Prozent stimmen
der Aussage zu, dass die Attraktivität des Unternehmens am Arbeitsmarkt
sinkt, wenn es flexible Arbeitszeitmodelle nicht oder nur bedingt
kennt.
Welche Modelle müssen Unternehmen heute anbieten, um bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überhaupt eine Chance zu haben?
Über
90 Prozent der befragten Dienstleistungsangestellten sehen Gleitzeit
und Homeoffice als zwingende Voraussetzung, damit ein Job für sie
überhaupt infrage kommt. Fast 90 Prozent erachten die Möglichkeit,
Teilzeit zu arbeiten, als notwendig. Hohen Zuspruch erhält auch die
Vertrauensarbeitszeit. Bei diesem Modell wird auf die Protokollierung
der Arbeitszeit verzichtet. Die Mitarbeitenden besitzen dadurch die
Freiheit, selbst zu entscheiden, wann sie ihre Aufgaben erledigen und
wie viel Zeit sie dafür investieren. Ebenfalls hoch im Kurs ist das
mobile Arbeiten, auch Blended Working genannt. Durch den immer besseren
Zugriff auf Systeme von ausserhalb des Büros gewinnt diese orts- und
zeitunabhängige Arbeitsform zunehmend an Bedeutung.
Vertrauensarbeitszeit und Blended Working sind bisher noch wenig
etabliert. Unternehmen können sich von der Konkurrenz abheben, wenn sie
diese Modelle anbieten.
”Unternehmen, die heute solche flexiblen Modelle noch gar nicht oder nur bedingt anbieten, werden in naher Zukunft Schwierigkeiten bekommen, geeignete und qualifizierte Fachkräfte anzusprechen und offene Stellen zu besetzen.
Michel Mädler
Michel Mädler
Welches Vorgehen raten Sie Unternehmen im Umgang mit flexiblen Arbeitszeitmodellen?
Klar
ist: Unternehmen, die heute solche flexiblen Modelle noch gar nicht
oder nur bedingt anbieten, werden in naher Zukunft Schwierigkeiten
bekommen, geeignete und qualifizierte Fachkräfte anzusprechen und offene
Stellen zu besetzen. Sie sollten sich deshalb überlegen, welche
flexiblen Arbeitszeitmodelle für sie am besten geeignet sind und
entsprechende Rahmenbedingungen festlegen. Diese wiederum sollten
Mitarbeitenden auf allen Stufen zur Verfügung gestellt werden, wenn es
deren Tätigkeit zulässt. Dabei gilt es bei der Einführung neuer
flexibler Arbeitszeitmodelle immer darauf zu achten, ob sich die Modelle
innerhalb der eigenen Organisation überhaupt umsetzen lassen und wie
aufgeschlossen der Schweizer Arbeitsmarkt gegenüber den neuen Systemen
und Modellen bereits ist.
In einigen Stelleninseraten heisst es unter anderem «Homeoffice nach Absprache». Was halten Sie von dieser Formulierung?
Diese
Formulierung halte ich nicht für empfehlenswert. Sie ist für mich
Ausdruck einer konservativen Haltung und klingt ein wenig so, als werde
das mit dem Homeoffice eher willkürlich gehandhabt. Es ist aber wichtig,
dass ein Reglement zu flexiblen Arbeitszeitmodellen besteht und
Unternehmen die entsprechenden Möglichkeiten bereits im
Bewerbungsprozess offen und transparent kommunizieren. Das ist auch eine
gute Werbemassnahme. Ausserdem beugt man durch diese klare
Kommunikation falschen Erwartungen vor. Neue Mitarbeitende wissen bei
Stellenantritt, welche Angebote ihnen zustehen und welche nicht. Das
verhindert, dass jemand wieder kündigt, weil die eigenen Erwartungen
hinsichtlich der Arbeitsgestaltung nicht erfüllt werden.
Variieren die Erwartungen je nach Generation?
Meine
Befragung hat klar aufgezeigt, dass alle Generationen flexible Modelle –
ob Homeoffice oder Gleitzeit – schätzen. Nach dem Arbeitsinhalt und dem
Lohn gehört das Angebot an flexiblen Arbeitsmodellen zu den wichtigsten
Faktoren bei der Stellenwahl. Betrachtet man die Generationen getrennt,
bietet sich ein überraschendes Bild. Für die Generationen der 35- bis
65-Jährigen ist das Angebot an flexiblen Arbeitszeitmodellen das
wichtigere Kriterium als der Lohn. Bei den unter 35-Jährigen landet
jedoch der Lohn auf Platz 1 – entgegen der bisherigen Annahme, dass das
Gehalt für die Generationen Y und Z eine untergeordnete Rolle spielt.
Eine Erklärung für dieses Resultat wäre, dass man sich im jüngeren Alter
noch nicht in der Lohnklasse befindet, die man sich wünscht und dem
Lohn deshalb einen höheren Stellenwert einräumt. Mit 35+ hat man
hingegen oft den Lohn, mit dem man seinen Lebensunterhalt bestreiten
kann, deshalb rücken Arbeitsinhalt und Flexibilität mehr in den Fokus.
Konnten die Erkenntnisse aus Ihrer Masterarbeit für die Praxis genutzt werden?
Als
ich mit meiner Masterarbeit begonnen habe, stand bei uns im Unternehmen
der HDI Global SE ein Umzug in ein Open Space Office im Prime Tower
bevor. Das Management hatte Bedenken, dass die Mitarbeitenden
möglicherweise skeptisch sein könnten gegenüber dem offenen Büro und
deshalb vermehrt von zuhause aus arbeiten wollen. Deshalb kam die
Überlegung auf, nur noch zwei Tage Homeoffice pro Woche zu erlauben
statt wie bisher drei Tage. Aufgrund meiner Erkenntnisse aus der
Masterarbeit und meiner Argumentation, dass das Büro so attraktiv
gemacht werden müsse, dass die Mitarbeitenden gerne dort arbeiten, hat
sich das Management dazu entschieden, die bestehende 3-Tage-Regelung
beizubehalten. Gut ein Jahr nach dem Umzug gilt dies nun als beste
Entscheidung. Denn die Mitarbeitenden kommen teilweise freiwillig mehr
als zwei Tage ins Büro, ohne dass sie dazu gezwungen werden mussten. (mgt/mai)
Mehr zum MAS Business Administration
Das
Studienprogramm (MAS) Business Administration vermittelt ein breites, generalistisches betriebswirtschaftliches
Wissen; Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigen sich mit Methoden, die ihnen in verschiedenen
Bereichen ihres Berufsalltags nützlich sind. Zudem setzen sie sich mit
dem eigenen Handeln als Fach- und Führungsperson auseinander und lernen,
ihre Rolle kritisch zu reflektieren und sich darin weiterzuentwickeln.
Der Transfer des erworbenen Wissens in die Unternehmenspraxis bildet
dabei einen wichtigen Aspekt.
Weitere Informationen auf www.ost.ch