Chefsache mit Jacqueline de Quattro: «Handeln statt hinnehmen»
«Delegieren und im Dialog bleiben»: So lautet ein wichtiger Führungsgrundsatz der Waadtländer Baudirektorin Jacqueline de Quattro. In der Interview-Serie «Chefsache» nimmt sie Stellung zu Fragen rund um das Thema Führung.
Quelle: zvg, Céline Michel
Jacqueline de Quattro ist Vorsteherin des Departements für Bau und Umwelt des Kantons Waadt und Präsidentin der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz.
Wie lautet Ihr allerwichtigster Führungsgrundsatz?
Jacqueline de Quattro: Handeln statt hinnehmen. Handeln, tun, etwas bewerkstelligen, das ist es, was mich antreibt. Während meiner 12-jährigen Tätigkeit im Waadtländer Staatsrat habe ich auf politischer Ebenepragmatische und effiziente Massnahmen und Strategien umgesetzt, zum Beispiel zur Bekämpfung häuslicher Gewalt, zur Stärkung der Sicherheit und zur Entwicklung erneuerbarer Energien. Ich suche nach über sämtliche Fraktionsgrenzen hinausgehenden Lösungen.
Was macht Sie zu einer guten Chefin?
Delegieren und im Dialog bleiben. In Bereichen, in denen kein Vorwärtskommen mehr möglich schien, beispielsweise die Polizeireform oder die Raumordnung, habe ich alle betroffenen Akteure und Partner an einen Tisch gebracht, um den Dialog aufzunehmen und einen Konsens zu finden. Dieser Ansatz führte zur Akzeptanz der seit 20 Jahren blockierten Polizeireform, zum Inkrafttreten eines wegweisenden Energiegesetzes und zum schnellen Ausstieg aus dem Moratorium, das durch das Raumplanungsgesetz (RPG) ausgelöst wurde.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
Ich kann schon einiges aushalten, aber ich erwarte auch, dass die Grenzen des Anstands eingehalten werden. Ich bin offen für Kritik, solange sie konstruktiv ist. Beim Judo lernt man, sich nicht alles gefallen zu lassen, wenn man angegriffen wird. Die Philosophie besteht darin, den Angriff gegen den Angreifer zu wenden.
Wie fördern Sie Ihre Mitarbeiter?
Durch Förderung der Qualität und durch Kompetenzentwicklung. Auch die Förderung der Gleichstellung ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Es gibt nach wie vor noch nicht genügend Frauen in leitenden Positionen. Ich befürworte Teilzeit- und Telearbeit, auch für Männer, die mehr Zeit für ihre Familie aufwenden wollen.
Bei welchen wichtigen Entscheiden haben Sie sich schon einsam gefühlt?
Ich muss oft hart kämpfen, um Reformen durchzusetzen, sei es im Bereich der Umwelt oder der Raumplanung. Alle reden über Klima- und Naturschutz. Aber wenn es darum geht, wirklich etwas zu tun und zu handeln, gibt es viel Widerwillen und Widerstand. Auch der jüngste Beschluss des Staatsrats, die kantonale Stromsteuer angemessen zu erhöhen, hat viele Reaktionen hervorgerufen, insbesondere in meiner Partei und in der Wirtschaft. Eine Steuer zu verteidigen, ist nicht einfach für eine Frau im rechten Flügel der FDP. Um eine bescheidene Erhöhung kommen wir jedoch nicht herum, wenn wir sämtliche von der Öffentlichkeit und dem Parlament geforderten Massnahmen finanzieren wollen, damit wir umweltfreundlicher werden und den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger schaffen. Diese Massnahmen müssen jedoch den Bedürfnissen unserer Wirtschaft Rechnung tragen, da sie sonst nicht anwendbar sind.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage der Bauwirtschaft ein?
Die Unternehmen in der Branche haben es heute sehr schwer: zu viel Bürokratie, zu viele Vorschriften, zu viele Verbote. Diese Unternehmen sind oft einem hohen Preisdruck ausgesetzt. Wir müssen liberalere und wettbewerbsfähigere Rahmenbedingungen schaffen. Denn nur ein wirtschaftlich starkes Land kann Vollbeschäftigung und Perspektiven der sozialen Sicherheit bieten.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Image der Baubranche zu verbessern?
Der Energiewandel ist eine echte Chance für den Sektor, insbesondere durch die Innovation und Programme zur Förderung der Energieeffizienz. Die energetische Sanierung ist ein sehr vielversprechender Bereich, in dem das Baugewerbe unbedingt investieren sollte. Nehmen Sie zum Beispiel das Bauprogramm 2019, das für Immobilienbesitzer entwickelt wurde, um ihre Immobilien zu sanieren. Es generiert Investitionen von mindestens 260 Millionen Franken, was einen direkten Nutzen für die Waadtländer Wirtschaft bedeutet.
Welche Probleme sollte die Politik sofort angehen?
Der Kampf gegen die globale Erwärmung hat eine hohe Priorität für die Bevölkerung. Aber die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, die Nachhaltigkeit der Renten, die Gleichstellung, die Aufwertung der Mittelschicht und die Entwicklung der Forschung sind ebenso wichtig.
Was wünschen Sie der Schweiz?
Ich hoffe, dass wir eine starke, wohlhabende, moderne, nachhaltige, weltoffene und vereinte Schweiz für zukünftige Generationen aufbauen werden. Eine souveräne und stolze Schweiz, der man mit Respekt begegnet.
Wer war der Held oder die Heldin Ihrer Kindheit?
Ich war neun Jahre alt, als die ersten Männer den Mond betraten. Schon immer galt meine Bewunderung den Pionieren und den Mutigen. Leute, die sich im Café nebenan ständig beschweren, aber nichts unternehmen und sich weigern mitzumachen, mag ich nicht. Und ich mag es auch nicht, wenn andere für mich entscheiden. Schon in jungen Jahren wollte ich mich aktiv an den Überlegungen und am Treffen von Entscheidungen beteiligen, daher auch mein Engagement in der Politik. Natürlich erfordert dies Mut und Ausdauer. Aber es ist immer besonders erfüllend und befriedigend, wenn man für andere, für die Gesellschaft von Nutzen sein kann.
Wie bringen Sie Beruf und Privatleben unter einen Hut?
Das ist nicht immer einfach. Als Mutter von zwei Kindern, Anwältin und Politikerin habe ich immer versucht, Familienleben, Berufstätigkeit und politische Ambitionen zu verbinden. Ich habe gewartet, bis meine Kinder das Haus verliessen, bevor ich für den Staatsrat kandidierte, weil ich wusste, dass ich nicht mehr viel Zeit haben würde, mich meiner Familie zu widmen.
Wo können Sie wirklich abschalten?
Dabei helfen mir der Sport – ich trainiere oft Kampfsport – und die Natur. Wandern in den Bergen, spazieren gehen im Wald oder ein Ausflug auf dem See sind Aktivitäten, bei denen ich ein wenig Abstand bekomme und Kraft tanken kann. (stg)
Chefsache
In der Interview-Serie «Chefsache»nehmen bekannte Exponenten der Bauwirtschaft in loser Folge Stellung zu Fragen rund um das Thema Führung. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten die gleichen 20 Fragen, von denen sie zwölf auswählen und schriftlich beantworten können.