Wenn der Orkan für grössere Insektenvielfalt sorgt
Fegt ein Orkan durch den Wald, ist dies zumindest für Insekten und Wirbellose ein Segen: Umgestürzte Bäume und die nachfolgende Vegetation bieten den kleinen Tieren viel Nahrung und Lebensraum. Darum nimmt ihre Vielfalt in den ersten Jahren nach einem Sturm jeweils erheblich zu. Dies belegt eine gross angelegte, 20 Jahre dauernde Studie der Eidgenössichen Forschungssanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Quelle: Roger Huber, Hans Kobi, ETH-Bibliothek, E-Pics, CC BY 4.0
Die Folgen von Lothar: Zerstörter Wald auf dem Galgenhügel bei Hausen AG, im Jahr 2000.
Bevor die Winterstürme Vivian (1990) und Lothar (1999) in den Wäldern gewütet haben, räumte man das Sturmholz meist aus dem Wald. Dies, um zum Beispiel das Risiko für Borkenkäferschäden einzudämmen, um Holz zu ernten oder einfach um die Ordnung wieder herzustellen. Das Forschungsteam der WSL wollte nun herausfinden, ob es für Insekten einen Unterschied macht, wenn das Sturmholz nach einem Orkan liegen bleibt oder wenn es entfernt wird. Dazu stellte das Team auf insgesamt 16 durch Vivian und Lothar entstandenen Sturmflächen sowie in intakten Vergleichswäldern unterschiedliche Insektenfallen auf. Auf einem Teil der Sturmflächen waren die umgestürzten Bäume weggeräumt worden, auf einem anderen blieben sie liegen. Auf dieses Weise konnten mehr als 500'000 Tiere von über 1600 Arthropoden-Arten – respektive Insekten, Spinnen und andere Gliederfüsser – gesammelt werden.
«Die Datenbeschaffung war ein riesiger Aufwand und führte zu einem weltweit einzigartigen Datensatz», sagt Beat Wermelinger, Hauptautor der im Fachjournal Journal of Applied Ecology veröffentlichten Studie. «Noch nie zuvor wurden nach einer ökologischen Störung 20 Jahre lang in regelmässigen Abständen Daten über Gliederfüsser erhoben.» Bei jedem Wetter – ob Hitze, Schneefall oder Regen – sei wöchentlich ein Feldteam auf den Versuchsflächen unterwegs gewesen, um die Insektenfallen zu leeren. Im Anschluss wurden die Fänge im Labor sortiert und darauf von Insektenfachleuten bestimmt.
Grosser Zangenbock und Mauerbien
Dabei zeigte sich Unerwartetes: Die Anzahl Arten war auf geräumten und auf belassenen Sturmflächen miteinander vergleichbar. «Das hat uns erstaunt», sagt Wermelinger. Dennoch wies die Artenzusammensetzung auf den jeweiligen Versuchsflächen Unterschiede auf. Gewisse totholzbewohnenden Spezialisten, kamen beinahe nur auf belassenen Flächen vor. Jede zehnte aller gesammelten Arten hat man nur auf geräumten Sturmflächen vorgefunden und ein Fünftel wurde ausschliesslich auf belassenen Sturmflächen festgestellt. Darunter waren auch der gefährdete Grossen Zangenbock (Rhagium sycophanta) oder die seltene Mauerbiene (Hoplitis villosa).
Auch 20 Jahre nach den
Stürmen fand das Forschungsteam deutlich mehr gefährdete Insekten auf
nicht geräumten Sturmflächen als auf geräumten. Nach Stürmen liegen
gelassenes Totholz ist - so ein Fazit der Studie - eine unverzichtbare
Ressource für viele Insektenarten, besonders für Holzbewohner.
Allerdings bedeutet dies nicht nicht, dass man Sturmflächen gar nicht
mehr räumen sollte: In Fichtenwäldern, die zum Beispiel im Gebirge vor
Naturgefahren schützen sollen, ist immer die Gefahr von
Borkenkäfer-Massenvermehrungen zu berücksichtigen. In Laub- oder
Mischwäldern allerdings, empfiehlt das Forschungsteam, ein Mosaik aus
geräumten und belassenen Sturmholzflächen sowie intakten Waldflächen,
weil dies die Artenvielfalt am besten unterstützt. (mgt/mai)
Den Originaltext lesen auf www.wsl.ch