09:51 KOMMUNAL

Waldarbeit mit dem Pferd: Kraftprotz mit Gefühl

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Während Jahrhunderten waren Pferde zum Holzrücken in Wäldern unverzichtbar, bis sie von Maschinen abgelöst wurden. Doch ganz aus der Forstwirtschaft verschwunden sind sie nie. Denn gerade auf empfindlichen Böden, in Jungwäldern oder in schwierigem Gelände können sie ihre Stärken ausspielen und viel zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung beitragen.

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Quelle: Ben Kron

Marcel Jäggi führt Hamira im Winterthurer Stadtwald zu ihrer nächsten Aufgabe: Gelegentliche Spaziergänger haben an dem Anblick grosse Freude.

Normalerweise arbeitet Hamira im Stillen und von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. An diesem Donnerstag aber, bei einem Einsatz auf dem Lindberg in Winterthur, kam alles anders: Ein Ast des frisch gefällten Baumes, den das Pferd aus dem Wald zog, verhedderte sich im Unterholz. Sein Besitzer Marcel Jäggi erklärt: «Der Ast schnellte zurück und traf Hamira auf der Innenseite des Beines. Das erschreckte sie so, dass sie davonrannte.» Mit dem zehn Meter langen Baum im Schlepptau rannte die 15-jährige Stute in die Stadt. Dort konnte sie zum Glück bald wieder gestoppt werden, ohne dass jemand zu Schaden kam. Doch an jenem Tag schaffte es Hamira in die Schlagzeilen von «Blick» bis «20 Minuten».

Ganz allgemein kommen Tiere wie die Freiberger Stute und andere Arbeitspferde wieder vermehrt in Schweizer Wäldern bei Holzrücken zum Einsatz, nachdem sie vor der Motorisierung der Land- und Forstwirtschaft nicht nur Holz, sondern auch Pflüge und Wagen bewegten. «Alles, was heutzutage leistungsstarke Traktoren und Maschinen erledigen, fiel noch zu Gotthelfs Zeiten in den Arbeitsbereich starker Zugtiere», schreibt der «Schweizer Bauer». Die für diese Arbeit geeigneten Pferderassen besitzen natürlich viel Kraft, was sich schon am imposanten Körperbau erahnen lässt. Dazu gelten sie als intelligent, sanft, umgänglich und weniger schreckhaft als Reitpferde; von obiger Ausnahme abgesehen.

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Quelle: Ben Kron

Die 15-jährige Stute zieht einen gefällten Baumstamm aus dem Wald. Bis zu 15 Prozent ihres Körpergewichts kann sie dabei bewegen.

Sympathieträger Pferd

Die Stadt Winterthur setzt seit ein paar Jahren auf Pferdeeinsätze im Stadtwald, als Ergänzung zum Einsatz von Maschinen, wie Andres Trümpy erklärt, der Hauptabteilungsleiter Wald und Landschaft bei Stadtgrün Winterthur: «Die Tiere können natürlich niemals die Massen transportieren, die mit Geräten wie dem Forwarder bewegt werden. Aber sie sind eine wertvolle, ökologische Ergänzung.» Und ein Sympathieträger: Vorbeikommende Spaziergänger machen Fotos von der prächtig herausgeputzten Hamira und zeigen sich begeistert von ihrem Einsatz.

Diesen Morgen arbeitet das Pferd, geführt von Marcel Jäggi, zusammen mit dem Forstarbeiter Timon  Schwitter abermals im Waldstück auf dem Lindberg. Hier werden einzelne Bäume gezielt aus einem rund 30 Jahre alten Waldstück entfernt, um Platz für andere zu schaffen. «Wir suchen uns die Bäume aus, die besonders kräftig und gerade wachsen und sich so für die spätere Holzgewinnung eignen», so Schwitter. «Andere Exemplare müssen halt weichen, damit diese sogenannten Z-Bäume, also Zukunfts-Bäume, besser gedeihen.»

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Quelle: Ben Kron

Pferde schonen bei ihrem Einsatz den empfindlichen Waldboden und beschädigt viel weniger Jungpflanzen als eine Maschine.

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Quelle: Ben Kron

Für Forstarbeiter Timon Schwitter ist die Arbeit mit einem Forstpferd eine willkommene Abwechslung.

Waldboden wird geschont

Beim Einsatz im noch jungen Waldstück kann das Holzrücken per Pferd seine Vorteile ausspielen: Hamira braucht im Vergleich zu Forstmaschinen eine viel schmalere Gasse, um Stämme aus dem Wald zu ziehen. Dazu beschädigt sie viel weniger Rinden und Jungpflanzen und schont den Boden. Dieser wird beim Einsatz von Maschinen wegen deren Gewicht stark verdichtet. «Auf diesen Gassen können dann lange nur wenige Pflanzen wie Seggengräser gedeihen», erklärt Schwitter.

Und Hamira kann noch mehr: Sie ist dort einsetzbar, wo Maschinen wegen dem schwierigen Gelände oder den Bodenverhältnissen passen müssen, stösst wesentlich weniger Treibhausgase aus als jene – und kommt natürlich ohne fossile Brennstoffe aus. Die Leistung eines gut trainierten Zugpferdes beträgt zehn bis fünfzehn Prozent seines Körpergewichts, wobei es diese Belastungen ohne gesundheitliche Probleme aushält. Dies erklärt sich auch dadurch, dass die Arbeit Leerfahrten beinhaltet, also Wege ohne einen Baumstamm im Gepäck, sowie kurze Pausen beim Abhängen und Anhängen der Last. Marcel Jäggi: «Wichtig ist, dass ich die Leistungsgrenze meines Pferdes kenne und beachte.»

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Quelle: Ben Kron

Die schöne Hamira wurde für den Einsatz im Wald besonders farbenprächtig herausgeputzt.

Zwei Jahre Ausbildung

Er hat Hamira erworben, als diese drei Jahre alt war und erst eine Grundausbildung erhalten hatte. Die Arbeit im Geschirr und das Holzrücken hat er ihr selber beigebracht. «Es dauerte zwei Jahre, bis Hamira auf ihre Kommandos hören und richtig reagieren konnte». Denn Jäggi muss mit seinem Pferd nicht nur einfach Baumstämme in eine Richtung ziehen, sondern auch Kehrtwendungen machen, um seine sperrige Fracht um Hindernisse herumzubugsieren. Verhakt sich eine Last an umstehenden Pflanzen, muss das Duo diese mitunter auch mit einem kräftigen Ruck lösen. Und wenn dies alles nichts hilft, kommt wiederum Forstarbeiter Timon Schwitter zum Einsatz, um mit der Motorsäge das störende Hindernis zu beseitigen. «Die Arbeit mit Pferden erfordert allgemein viel Geschicklichkeit, Geduld und gegenseitiges Vertrauen», so Jäggi. Und ganz wichtig: «Das Tier muss Freude an der Arbeit haben, denn sonst geht gar nichts». 

Hamira jedenfalls zieht unermüdlich gefällte Stämme aus dem Waldstück oberhalb von Winterthur und ist gründlich nassgeschwitzt. Auch an diesem Morgen stellt sich der eine oder andere Baumstamm im Wald quer, doch es kommt zu keinen Zwischenfällen mehr wie vor ein paar Wochen. Auf jenem Ausflug in die Stadt gabs übrigens doch einen kleinen Schaden: Äste des zehn Meter langen Baumstamms, den Hamira durch die Stadt zog, verursachten ein paar Kratzer am Lack eines geparkten Autos. Doch als man dessen Besitzerin über den Schaden informierte, stellte diese die einzig richtige Frage, wie sich Andres Trümpy erinnert. «Sie wollte sich nur versichern, dass dem Pferd auch wirklich nichts passiert ist.»

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Quelle: Ben Kron

Jäggi und Hamira verbindet ein tiefes Vertrauen, das für die anspruchsvolle Aufgabe im Wald unabdingbar ist.

Winterthurer Wald

Ein stiller Rekord: Rund 40 Prozent des Gemeindegebiets von Winterthur sind mit Wald bedeckt, womit sie die waldreichste Stadt der Schweiz ist. 2630 Hektaren ist bedeckt mit Wald in Winterthur. Wobei die Stadt selber 1690 Hektar besitzt, die übrigen Flächen sind im Besitz von Privatpersonen, Korporationen und Kanton. 

Naturnaher Waldbau wird in der Eulachstadt schon sehr lange praktiziert. Dies geht zurück auf die Amtszeit des Stadtforstmeisters Friedrich Arnold, der den Forst in den Jahren 1899 bis 1928 betreute. Viele Nadelbaumbestände im Stadtwald stammen noch aus der Kahlschlagwirtschaft vor Arnolds Amtszeit. Denn die Umwandlung des gesamten Waldes, bei welcher der Förster Pionierarbeit leistete, benötigt mehr als hundert Jahre. (bk)

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Quelle: Ben Kron

Es geht selten geradeaus: Jäggi muss sein Pferd und den mitgeschleppten Stamm um einen im Weg stehenden Baum führen.

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Quelle: Ben Kron

Warten auf den nächsten gefällten Baum: Kraftprotze wie Hamira haben Freude an körperlicher Anstrengung.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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