Waldarbeit mit dem Pferd: Kraftprotz mit Gefühl
Während Jahrhunderten waren Pferde zum Holzrücken in Wäldern unverzichtbar, bis sie von Maschinen abgelöst wurden. Doch ganz aus der Forstwirtschaft verschwunden sind sie nie. Denn gerade auf empfindlichen Böden, in Jungwäldern oder in schwierigem Gelände können sie ihre Stärken ausspielen und viel zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung beitragen.
Quelle: Ben Kron
Marcel Jäggi führt Hamira im Winterthurer Stadtwald zu ihrer nächsten Aufgabe: Gelegentliche Spaziergänger haben an dem Anblick grosse Freude.
Normalerweise arbeitet Hamira im Stillen
und von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. An diesem Donnerstag aber, bei einem
Einsatz auf dem Lindberg in Winterthur, kam alles anders: Ein Ast des frisch
gefällten Baumes, den das Pferd aus dem Wald zog, verhedderte sich im
Unterholz. Sein Besitzer Marcel Jäggi erklärt: «Der Ast schnellte zurück und
traf Hamira auf der Innenseite des Beines. Das erschreckte sie so, dass sie
davonrannte.» Mit dem zehn Meter langen Baum im Schlepptau rannte die
15-jährige Stute in die Stadt. Dort konnte sie zum Glück bald wieder gestoppt
werden, ohne dass jemand zu Schaden kam. Doch an jenem Tag schaffte es Hamira
in die Schlagzeilen von «Blick» bis «20 Minuten».
Ganz allgemein kommen Tiere wie die
Freiberger Stute und andere Arbeitspferde wieder vermehrt in Schweizer Wäldern
bei Holzrücken zum Einsatz, nachdem sie vor der Motorisierung der Land- und
Forstwirtschaft nicht nur Holz, sondern auch Pflüge und Wagen bewegten. «Alles,
was heutzutage leistungsstarke Traktoren und Maschinen erledigen, fiel noch zu
Gotthelfs Zeiten in den Arbeitsbereich starker Zugtiere», schreibt der
«Schweizer Bauer». Die für diese Arbeit geeigneten Pferderassen besitzen
natürlich viel Kraft, was sich schon am imposanten Körperbau erahnen lässt.
Dazu gelten sie als intelligent, sanft, umgänglich und weniger schreckhaft als
Reitpferde; von obiger Ausnahme abgesehen.
Quelle: Ben Kron
Die 15-jährige Stute zieht einen gefällten Baumstamm aus dem Wald. Bis zu 15 Prozent ihres Körpergewichts kann sie dabei bewegen.
Sympathieträger Pferd
Die Stadt Winterthur setzt seit ein paar
Jahren auf Pferdeeinsätze im Stadtwald, als Ergänzung zum Einsatz von
Maschinen, wie Andres Trümpy erklärt, der Hauptabteilungsleiter Wald und
Landschaft bei Stadtgrün Winterthur: «Die Tiere können natürlich niemals die
Massen transportieren, die mit Geräten wie dem Forwarder bewegt werden. Aber
sie sind eine wertvolle, ökologische Ergänzung.» Und ein Sympathieträger:
Vorbeikommende Spaziergänger machen Fotos von der prächtig herausgeputzten
Hamira und zeigen sich begeistert von ihrem Einsatz.
Diesen Morgen arbeitet das Pferd, geführt
von Marcel Jäggi, zusammen mit dem Forstarbeiter Timon Schwitter abermals
im Waldstück auf dem Lindberg. Hier werden einzelne Bäume gezielt aus einem
rund 30 Jahre alten Waldstück entfernt, um Platz für andere zu schaffen. «Wir
suchen uns die Bäume aus, die besonders kräftig und gerade wachsen und sich so
für die spätere Holzgewinnung eignen», so Schwitter. «Andere Exemplare müssen
halt weichen, damit diese sogenannten Z-Bäume, also Zukunfts-Bäume, besser
gedeihen.»
Quelle: Ben Kron
Pferde schonen bei ihrem Einsatz den empfindlichen Waldboden und beschädigt viel weniger Jungpflanzen als eine Maschine.
Quelle: Ben Kron
Für Forstarbeiter Timon Schwitter ist die Arbeit mit einem Forstpferd eine willkommene Abwechslung.
Waldboden wird geschont
Beim Einsatz im noch jungen Waldstück kann
das Holzrücken per Pferd seine Vorteile ausspielen: Hamira braucht im Vergleich
zu Forstmaschinen eine viel schmalere Gasse, um Stämme aus dem Wald zu ziehen.
Dazu beschädigt sie viel weniger Rinden und Jungpflanzen und schont den Boden.
Dieser wird beim Einsatz von Maschinen wegen deren Gewicht stark verdichtet.
«Auf diesen Gassen können dann lange nur wenige Pflanzen wie Seggengräser
gedeihen», erklärt Schwitter.
Und Hamira kann noch mehr: Sie ist dort
einsetzbar, wo Maschinen wegen dem schwierigen Gelände oder den
Bodenverhältnissen passen müssen, stösst wesentlich weniger Treibhausgase aus
als jene – und kommt natürlich ohne fossile Brennstoffe aus. Die Leistung eines
gut trainierten Zugpferdes beträgt zehn bis fünfzehn Prozent seines
Körpergewichts, wobei es diese Belastungen ohne gesundheitliche Probleme
aushält. Dies erklärt sich auch dadurch, dass die Arbeit Leerfahrten
beinhaltet, also Wege ohne einen Baumstamm im Gepäck, sowie kurze Pausen beim
Abhängen und Anhängen der Last. Marcel Jäggi: «Wichtig ist, dass ich die
Leistungsgrenze meines Pferdes kenne und beachte.»
Quelle: Ben Kron
Die schöne Hamira wurde für den Einsatz im Wald besonders farbenprächtig herausgeputzt.
Zwei Jahre Ausbildung
Er hat Hamira erworben, als diese drei
Jahre alt war und erst eine Grundausbildung erhalten hatte. Die Arbeit im
Geschirr und das Holzrücken hat er ihr selber beigebracht. «Es dauerte zwei
Jahre, bis Hamira auf ihre Kommandos hören und richtig reagieren konnte». Denn
Jäggi muss mit seinem Pferd nicht nur einfach Baumstämme in eine Richtung
ziehen, sondern auch Kehrtwendungen machen, um seine sperrige Fracht um
Hindernisse herumzubugsieren. Verhakt sich eine Last an umstehenden Pflanzen,
muss das Duo diese mitunter auch mit einem kräftigen Ruck lösen. Und wenn dies
alles nichts hilft, kommt wiederum Forstarbeiter Timon Schwitter zum Einsatz,
um mit der Motorsäge das störende Hindernis zu beseitigen. «Die Arbeit mit
Pferden erfordert allgemein viel Geschicklichkeit, Geduld und gegenseitiges
Vertrauen», so Jäggi. Und ganz wichtig: «Das Tier muss Freude an der Arbeit
haben, denn sonst geht gar nichts».
Hamira jedenfalls zieht unermüdlich
gefällte Stämme aus dem Waldstück oberhalb von Winterthur und ist gründlich
nassgeschwitzt. Auch an diesem Morgen stellt sich der eine oder andere
Baumstamm im Wald quer, doch es kommt zu keinen Zwischenfällen mehr wie vor ein
paar Wochen. Auf jenem Ausflug in die Stadt gabs übrigens doch einen kleinen
Schaden: Äste des zehn Meter langen Baumstamms, den Hamira durch die Stadt zog,
verursachten ein paar Kratzer am Lack eines geparkten Autos. Doch als man
dessen Besitzerin über den Schaden informierte, stellte diese die einzig
richtige Frage, wie sich Andres Trümpy erinnert. «Sie wollte sich nur
versichern, dass dem Pferd auch wirklich nichts passiert ist.»
Quelle: Ben Kron
Jäggi und Hamira verbindet ein tiefes Vertrauen, das für die anspruchsvolle Aufgabe im Wald unabdingbar ist.
Winterthurer Wald
Ein stiller Rekord: Rund 40 Prozent des Gemeindegebiets von Winterthur sind mit Wald bedeckt, womit sie die waldreichste Stadt der Schweiz ist. 2630 Hektaren ist bedeckt mit Wald in Winterthur. Wobei die Stadt selber 1690 Hektar besitzt, die übrigen Flächen sind im Besitz von Privatpersonen, Korporationen und Kanton.
Naturnaher Waldbau wird in der Eulachstadt schon sehr lange praktiziert. Dies geht zurück auf die Amtszeit des Stadtforstmeisters Friedrich Arnold, der den Forst in den Jahren 1899 bis 1928 betreute. Viele Nadelbaumbestände im Stadtwald stammen noch aus der Kahlschlagwirtschaft vor Arnolds Amtszeit. Denn die Umwandlung des gesamten Waldes, bei welcher der Förster Pionierarbeit leistete, benötigt mehr als hundert Jahre. (bk)
Quelle: Ben Kron
Es geht selten geradeaus: Jäggi muss sein Pferd und den mitgeschleppten Stamm um einen im Weg stehenden Baum führen.
Quelle: Ben Kron
Warten auf den nächsten gefällten Baum: Kraftprotze wie Hamira haben Freude an körperlicher Anstrengung.