Vielfalt schafft Identität
Von Judith Rohrer*
Gärten sind sinnlich erfahrbare Orte. Wir können sie sehen, riechen, ihre Früchte schmecken, die Vögel in den Zweigen hören und fühlen uns ausgeschlossen durch stachlige Hecken oder eingeladen von schattigen Parkbänken oder offenen Spielwiesen. Damit werden sie schon für Kinder zu wichtigen Orientierungshilfen beim Erkunden ihrer Umgebung und den Erwachsenen später zu einem Stück Heimat. Gärten können auch den Charakter ganzer Regionen prägen, sie unverwechselbar machen. Beispiele dafür sind die üppig blühenden Bauerngärten im Bernbiet oder Thurgau, die den steilen Hängen abgerungenen, terrassierten Nutzgärten im Wallis oder die eleganten Landgüter an den Gestaden vieler Seen. Besonders deutlich treten regionale Unterschiede in Anlagen zu Tage, die es in jeder Gemeinde gibt, etwa dem Friedhof. Hier sind jahrhundertealte Traditionen und die konfessionellen Unterschiede deutlich ablesbar. Unzweifelhaft sind Gärten ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes.
Akute Gefährdung
Trotz all dieser Qualitäten sind Gärten in unserem Siedlungsraum stark gefährdet. Dafür sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Erstens beanspruchen Gärten Boden, der in den Städten, aber zunehmend auch in den Gemeinden ein rares und daher sehr teures Gut darstellt. Zweitens andern bestehen Gärten zu grossen Teilen aus Pflanzen und damit einem lebenden Baustoff, der sich kontinuierlich entwickeln und verändern. Der Erhalt eines Gartens erfordert daher eine regelmässige Pflege, was ein hoher Anspruch oftmals über Generationen bedeutet. Bleibt die Pflege aus, verwildern und verfallen die Gärten in kurzer Zeit. So sind tagtäglich Verluste an Gärten im ganzen Land zu beklagen, ein meist irreversibler Prozess, der zu einer Verarmung der Siedlungsstruktur, der ökologischen Vielfalt und zum Verlust an Identität unserer erlebten Umwelt führt.
Um der Erosion unseres gartenkulturellen Erbes Einhalt zu bieten, braucht es Instrumente, die einen Überblick ermöglichen, frei nach der alten Weisheit, dass man nur schützen kann, was man kennt. An diese Herkulesaufgabe hat sich die Arbeitsgruppe Gartendenkmalpflege von ICOMOS Schweiz gewagt und 1995 mit der kantonsweisen Erfassung potentiell schutzwürdiger Gärten und Anlagen begonnen. Erfasst wurden gestaltete Freiräume bis etwa 1960, also nicht nur Gärten, sondern auch Parkanlagen, Friedhöfe, Sport und Badeanstalten, Alleen, Schulanlagen, öffentliche Plätze, Aussichtspunkte und vieles mehr. Hauptkriterien für eine Erfassung waren beispielsweise das zeittypische Konzept einer Anlage, denn Gärten sind der Mode unterworfen und entsprechend zeitlichen Epochen zuzuordnen. Weitere Kriterien waren beispielsweise die geschichtliche Bedeutung eines Ortes oder die Ensemblewirkung zusammen mit einem Gebäude. Nicht nur das landläufig Schöne zählt, sondern das, was ein Stück lebendige Geschichte in sich trägt, das Echte, das Zeugnis seiner Zeit.
Dank einem Heer von Freiwilligen, aber auch der tatkräftigen Unterstützung durch das Bundesamt für Kultur sowie Beiträgen des Heimatschutzes, diverser Stiftungen und weiterer Verbände ist heute, 15 Jahre nach Beginn der Aufnahmen, das hochgesteckte Ziel fast erreicht. 24 Kantone sind fertig erfasst und das Resultat in Form einer Liste den zuständigen Behörden des Kantons übergeben. Noch gearbeitet wird in den Kantonen Wallis und Waadt, welche spätestens 2013 ihre Erfassungen abschliessen werden.
Übersicht auf Knopfdruck
Das Resultat ist also eine Liste der potentiell schutzwürdigen Gärten und Anlagen, welche hinweisenden Charakter hat, aber noch keine rechtliche Wirkung entfaltet. Verteilt wird diese Liste in Form einer CD-ROM und eines Papierausdrucks jeweils an die kantonale Denkmalpflege, die kantonalen Planungsämter, die kantonale Sektion des Heimatschutzes, sowie an das Bundesamt für Kultur und das Archiv für Landschaftsarchitektur in Rapperswil. Zudem erhält jede Gemeinde im Kanton einen Auszug mit den auf Gemeindegebiet registrierten Objekten. Nur in Ausnahmefällen konnte kein Objekt in einer Gemeinde aufgenommen werden.
Noch müssen die Listen ihren festen Platz als Instrument bei der Beurteilung von Bauvorhaben und Zonenplanrevisionen finden. Hier aber kann jede Gemeinde selber einhaken und sich für ihre aufgelisteten Gärten stark machen. So hat etwa die Gemeinde Köniz BE die Daten der vorgemerkten Gärten und Anlagen in ihr Landinformationssystem (LIS) integriert. Die Daten sind auf dem öffentlich zugänglichen Geoportal abrufbar und das Aufnahmeblatt der erfassten Gärten per Knopfdruck dazu einblendbar. Das Zusammenführen aller Daten in den heutigen GIS-Systemen erleichtert den Überblick enorm und erspart das Nachschlagen in Ordnern oder separaten CDs. Damit steigen auch die Chancen, bei neuen Bauvorhaben oder Monierungen rechtzeitig an die schutzwürdigen Gärten zu denken und entsprechende Massnahmen zu treffen.
Ungleich wirksamer als eine Liste mit informativem Charakter ist ein rechtskräftiges Inventar, wie es beispielsweise die Stadt Zürich seit 1989 kennt. Das Inventar ermöglicht im Falle einer akuten Gefährdung einer Gartenanlage eine vertiefte Schutzabklärung. Aufgrund dieser Resultate muss der Stadtrat entscheiden, ob ein Erhalt der betroffenen Anlage im öffentlichen Interesse liegt und eine Entschädigung rechtfertigt. Oftmals gelingt es auch, im Gespräch modifizierte Lösungen zu finden, ohne hohe Entschädigungssummen auszahlen zu müssen. Die Liste bietet eine solide Basis für die Weiterbearbeitung zum rechtskräftigen Inventar. Soeben hat der Kanton Zug diesen Schritt gemacht und seine Liste durch ein Inventar ersetzt. Auch in den Städten Bern und Genf sind entsprechende Überlegungen im Gang.
Wie aber steht es in Ihrer Gemeinde um die Gärten, Friedhöfe, Dorfplätze, Aussichtspunkte und Alleen? Kennen Sie Ihren Gemeindeauszug der Liste und haben Sie die aufgeführten Gärten und Anlagen schon mal mit dem Zonenplan verglichen? Nehmen Sie die nächste Zonenplanrevision zum Anlass, die wichtigsten Gemeindeanlagen durch vorausschauende Zonierung zu schützen und nutzen Sie dem Beispiel von Köniz folgend die heutigen Möglichkeiten der Informationssysteme, um rechtzeitig an die Gärten zu denken. Lohn für die heutige Bemühung wird eine blühende Gemeinde sein, reich an identitätsstiftenden Orten der Gartenbaukunst, die von gestern und heute zeugen.
* Judith Rohrer ist Gartendenkmalpflegerin bei Grün Stadt Zürich und Leiterin der Arbeitsgruppe Gartendenkmalpflege bei Icomos Schweiz.