08:15 KOMMUNAL

Verantwortliche zu ­Beteiligten machen

Teaserbild-Quelle: Bild: Patrick Aeschlimann

Von Patrick Aeschlimann

Wer mit dem Zug in den Bahnhof Wädenswil einfährt, befindet sich mitten in den Brennpunkten des öffentlichen Raums: Nahtlos geht das Bahnhofsareal in den Seeplatz über, ein beliebter Aufenthaltsort für Familien mit Kindern, Spaziergebiet für Rentner, aber auch bekannter Treffpunkt Jugendlicher in den Abendstunden. Auf der anderen Seite der Geleise befindet sich der Club Industrie, ein in der Region geschätztes Ausgehlokal, in dessen Umfeld sich in der Vergangenheit oft feiernde junge Erwachsene und Ruhe suchende Anwohner mit ihren Bedürfnissen in die Quere kamen. Typische Nutzungskonflikte, wie sie in der Schweiz an vielen Orten vorkommen und die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung vor immer grössere Probleme stellen.

«Nutzungskonflikte wurden bis anhin vor allem mit repressiven Massnahmen angegangen», weiss Michael Bänninger, Jugendkoordinator der rund 20 000 Einwohner zählenden Stadt Wädenswil. «Wird in einem Park viel Abfall liegen gelassen und Lärm gemacht, werden vielfach die Sitzbänke zurückgebaut. Da hat niemand etwas davon.» Vor drei Jahren entschieden sich Jugendarbeit und Politik, die Probleme aktiv mit einem neuen, sozialräumlichen und partizipativen Ansatz anzugehen. Die Idee: Verschiedene Nutzergruppen gemeinsam mit Politik, Jugendarbeit und Verwaltung an einen Tisch zu bringen, um praktikable Lösungen für Problemräume zu finden. Professionelle Unterstützung holten die Wädenswiler sich beim Institut für Raumentwicklung (Irap) der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR). «Das Irap war bereits an einem ähnlichen Projekt, wir rannten offene Türen ein. Die Idee, Mitwirkungsverfahren auf alle Interessierten auszuweiten und die Problemverantwortlichen zu Beteiligten des Lösungsprozesses machen, wurde gemeinsam umgesetzt», sagt Bänninger.

Wünsche und Anregungen

Das Projekt «Platzda?!» wurde im Mai 2009 vorgestellt. Es beinhaltete drei Phasen: Zuerst wurden von speziell geschulten Inter­viewern an sechs Brennpunkten das Nutzungsverhalten und die Wünsche der verschiedenen Nutzergruppen aufgenommen. Nach der Analyse durch das Irap fand ein halbes Jahr später ein Mitwirkungstag statt. Alt und Jung, Anwohner und Ruhestörer, ­Polizei und Partylöwen suchten gemeinsam nach einem konfliktarmen Umgang im öffentlichen Raum. Jeder konnte sich an dem Ort einbringen, der ihm am Herzen liegt. Es wurden Arbeitsgruppen gebildet, welche die Anregungen des Mitwirkungstags bis im April 2010 in konkrete Massnahmen und Forderungen ummünzten und an Stadtpräsident ­Philipp Kutter (CVP) überreichten. «Ich war positiv überrascht, wie praktikabel die Vorschläge – auch seitens der Jugendlichen – waren», meint Kutter rückblickend.

Gesprächskultur etablieren

Konkret ist bis zum heutigen Tag einiges aus dem 30 000 Franken teuren Projekt «Platzda?!» entstanden: Kleine ­Verbesserungen wie neue Spielplatzgeräte im Stadtpark oder ein Fumoir-Container vor dem Club Industrie, ebenso ein gross angelegter Wettbewerb «Sauberei – wägrüere aber richtig!» gegen Littering und die versuchsweise Installierung einer SIP-Patrouille (Sicherheit, Intervention, Prävention) in den Sommermonaten, die von der Stadt Zürich eingekauft wird. «Die SIP hat sich bewährt», bestätigen Kutter und Bänninger. Bei rund 95 Prozent aller Interventionen konnte störendes Verhalten ohne Miteinbezug der Polizei gestoppt werden. «Sie ist ein wichtiges Scharnier zwischen Jugendarbeit und Polizei, kann an Brennpunkten schnell und nachhaltig intervenieren und erreicht auch externe Jugendliche, die in Wädenswil nur zu Besuch sind», sagt Michael Bänninger. Wenn das Stadtparlament die entsprechenden Gelder spricht, soll aus dem letztjährigen Pilotversuch eine dauerhafte Massnahme werden.

Ebenso wichtig ist für Kutter und Bänninger die Etablierung einer Gesprächskultur bei Spannungen im öffentlichen Raum. «Gerade Jugendliche sind sich oft gar nicht bewusst, dass ihr Verhalten andere Menschen stört. Wenn spätabends im Park eine Bierflache zu Bruch geht, denken sie kaum daran, dass ein paar Stunden später dort wieder kleine Kinder spielen», sagt Michael Bänninger. Viele Nutzungskonflikte entstehen durch fehlendes Problembewusstsein – hier kann ein Dialog Abhilfe schaffen und das gegenseitige Verständnis fördern.

Auch Verwaltung dabei

Partizipative Verfahren stehen und fallen mit der Beteiligung der Akteure. Gerade in Konfliktsituationen ist es unabdingbar, auch die vermuteten Verursacher in den Lösungsprozess einzubeziehen. «Grundsätzlich war die Beteiligung gut», meint Michael Bänninger. «Weil sich das Projekt konkret mit Plätzen im Brennpunkt auseinandersetzte, hatten Betroffene einen einfachen und direkten Zugang.» Auch problematische Jugendliche zur Teilnahme zu motivieren, war aber eine Herausforderung. «Da wir viel mobile Jugendarbeit machen, haben wir auch zu den von der Bevölkerung als schwierig bezeichneten Jugendlichen einen guten Draht. Teilweise ist es uns gelungen, sie für ‹Platzda?!› zu begeistern», so Bänninger.

Auch Stadtpräsident Philipp Kutter, der eine treibende Kraft bei der Umsetzung von «Platzda?!» war, musste erst einige Überzeugungsarbeit in Politik und Verwaltung leisten: «Man schreibt oft lieber einen Brief, anstatt mit den Betroffenen zusammenzusitzen. Dabei ist es wichtig, den Betroffenen die Entscheidungswege aufzuzeigen und präsent zu sein.» Er ist überzeugt: Probleme kann man auf diese Art schneller, effizienter und bedarfsgerechter lösen. Bei zukünftigen Nutzungskonflikten möchte Kutter jeweils schnell und flexibel reagieren und eine punktuelle «Mini-Platzda?!-Konferenz» einberufen.

Nicht nur in Wädenswil ist man auf den innovativen Ansatz aufmerksam geworden: Im Rahmen des Irap-Forschungsprojekts «JugendRaum» lancierten die Gemeinden Aarau, Baar, Biel, Liestal und Wallisellen ähnliche Projekte. Neu steht interessierten Gemeinden auch ein Online-Instrument zur Verfügung, mit dem jeder den öffentlichen Raum seiner Gemeinde nach seinen Wünschen am Bildschirm gestalten kann. Die Resultate können statistisch ausgewertet und in den Partizipationsprozess integriert werden.

Integration fördern

«Platzda?!» wurde auch von der Zürcher Fachstelle für Integrationsfragen in den Integrationskatalog der bewährten Angebote aufgenommen. «Integration meint eben nicht nur die Integration von Ausländern, sondern aller Akteure, auch der Politik und Verwaltung», sagt Ivica Petrusic, Geschäftsführer von «okaj Zürich», dem kantonalen Dachverband der Kinder und Jugendarbeit. Bis 2010 war er Wädenswiler Jugendkoordinator und an der Lancierung von «Platzda?!» massgeblich beteiligt. Er betont den Lerneffekt des Ansatzes: «Die Jugendlichen lernen das Funktionieren politischer Prozesse kennen und Anwohner, Politik und Verwaltung die Bedürfnisse der Jugend.»

Auch über die Landesgrenzen hinaus sorge «Platzda!?» für Schlagzeilen: Ende 2010 erreichte das Projekt den zweiten Platz beim Preis der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK) für Gesundheitsförderung und Prävention.

Weitere Informationen und Kontakte:
www.jugend-raum.ch

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