Veloweggesetz: Das Velo soll eigene Wege erhalten
Das Veloweggesetz verpflichtet die Kantone, innert 20 Jahren ein Wegnetz für den Langsamverkehr zu realisieren. Dabei gilt es, sichere Bedingungen für die Zweiräder zu schaffen, sprich die Radwege baulich abzusetzen: der klassische Velostreifen am Rand der Fahrbahn und der daraus resultierende Mischverkehr sind nicht mehr zeitgemäss.
Quelle: Ben Kron
Mischverkehr auf dem Bucheggplatz: Für Verkehrskreisel gibt es sicherere Lösungen für den Langsamverkehr.
Vor fünf Jahren nahm die Schweizer Stimmbevölkerung
eine Verfassungsänderung zum Veloverkehr mit grosser Mehrheit an. «Ein
Meilenstein für die Förderung des Velos in der Schweiz», jubelte der Verband
«Pro Velo Schweiz». Inzwischen ist das neue Veloweggesetz in Kraft, das sich
zum Ziel gesetzt hat, «verbundenen Verbesserungen erleichtern es, ein gutes und
sicheres Velowegnetz zu schaffen und den Verkehr zu entflechten», so die
Pressemitteilung des Bundes.
Die
Kantone werden mit dem Veloweggesetz verpflichtet, eigene Veloanlagen in hoher
Qualität zu planen und zu erstellen, wofür ihnen das Gesetz 20 Jahre Zeit
einräumt. Doch auch der Bund selbst muss sich um das Thema Velowege kümmern.
Dafür hat der neue Netzbeschluss gesorgt: Mit diesem hat das Bundesamt für
Strassen (Astra) rund 400 Kilometer zusätzliche Nationalstrassen von den
Kantonen übernommen. Der Betrieb dieser neuen Nationalstrassen ist vielseitig,
denn: «Bei Anschlüssen zu Nationalstrassen erster oder zweiter Klasse sowie bei
Nationalstrassen dritter Klasse gehören Flächen für den Fuss- und Veloverkehr
wie Radstreifen, Trottoirs oder separat geführte Fuss- und Radwege sowie auch
Haltestellen des öffentlichen Verkehrs zum Strassenkörper», so der Beschluss.
Anders gesagt: Das Astra muss sich neben den Autobahnen auch um Velowege und
generell den Langsamverkehr kümmern.
Analyse der Schwachstellen
Hierfür nahm das Bundesamt als Erstes eine Analyse der Schwachstellen dieses Bestandes vor, um das eigene Velonetz zu verbessern und modernisieren. Auf dieser Basis projektierten und projektieren die einzelnen Regionalabteilungen des Astra die nötigen Massnahmen zur Verbesserung, wobei man sich denselben Zeitrahmen von zwanzig Jahren gesetzt hat wie die Kantone. Drei konkrete Projekte wurden oder werden vom Astra inzwischen umgesetzt: fertig sind die neue Fuss- und Velobrücke Oberwies bei Wallisellen und der Radweg in der Taubenlochschlucht im Berner Jura. Noch in Planung ist die umfangreiche Verkehrsentflechtung beim Anschluss Wankdorf in Bern.
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Foto Comet AG Zürich
Anstrengender Kreisel: Luftbild des Bucheggplatzes, der bei Zürcher Verkehrsteilnehmenden gefürchtet ist.
Für die ebenfalls in die Pflicht genommenen Kantone will das Astra Planungs- und Vollzugshilfen bereitstellen. «Diese sollen die Kantone unterstützen, gute Veloinfrastruktur zu bauen», so Urs Walter, beim Bundesamt stellvertretender Bereichsleiter «Langsamverkehr und historische Verkehrswege» in der Abteilung «Strassennetze». Basis für diese Hilfen ist die von Urs Walter geleitete Studie «Entflechtung der Veloführung in Kreuzungen», welche bestehende Lösungen im Ausland untersucht und ihre mögliche Umsetzung in der Schweiz diskutiert. «Wir definieren derzeit die Rahmenbedingungen für die Versuche und sind in Kontakt mit verschiedenen Kantonen und Städten», so Walter. Konkrete Projekte seien noch nicht definiert.
Zauberwort Entflechtung
Entflechtung ist das Zauberwort für sichere Velowegnetze: Der klassische, gelb markierte Velostreifen am Rand des Strassenraums ist vor allem auf Kreuzungen nicht mehr zeitgemäss. An einer Astra-Tagung im November 2022 nennt Urs Walter den Bucheggplatz in Zürich als Beispiel. Dieser wurde noch nach dem Prinzip der Veloführung auf der Fahrbahn umgesetzt, konkret mit Radstreifen. Früher sei er auf die technisch hoch korrekte Verkehrsführung noch stolz gewesen. Heute erachte er den mehrspurigen Kreisel als zu gefährlich und zu anstrengend für Velofahrer. Wo Radstreifen bestehen bleiben, stehen gemäss Walter grössere Breiten im Vordergrund, die man in Normen und Vollzugshilfen einbringen will. «Eine breitere Markierungslinie wird allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt weiterverfolgt.»
Wo früher Velos ihren Weg zwischen Autos und LKWs über Kreuzungen finden mussten, soll der Langsamverkehr künftig auf separaten Spuren oder Furten geführt werden. Wie im genannten Beispiel beim Anschluss Wankdorf in Bern. Dieser ist gemäss Astra für Velos wie für Fussgänger schwierig zu überqueren. Die Lösung besteht im Bau einer Brücke, die eine Verbindung für den Langsamverkehr schafft und alle wichtigen überregionalen Velorouten anbindet.
Quelle: Astra
Die neue Oberwies-Brücke bei Wallisellen schliesst eine Lücke im Velowegnetz, für Velos und Fussgänger.
Werkzeugkoffer beschränkt
Für viele andere Kreuzungen müssen aber vor allem die Kantone Lösungen finden. Das Problem: «Der Schweizer Werkzeugkoffer ist in dieser Hinsicht beschränkt. Es fehlen normative und rechtliche Vorgaben für zweckmässige Lösungen mit Radwegen», wie es in der Entflechtungs-Studie heisst. Diese hat konkret vier Lösungen für eine Verkehrsentflechtung erarbeitet, von denen die erste unter ebendieser rechtlichen Lücke leidet: der «Radweg mit Vortritt». Dieses vortrittsberechtigte Führung von Radwegen ist heute gesetzlich eingeschränkt und die Studie empfiehlt, hier Gesetze und Einsatzkriterien anzupassen.
Die zweite vorgeschlagene Lösung wird als «Schlüsselelement der Radweglösungen in Knoten» bezeichnet: die vortrittsberechtigte Velofurt, die analog zum Fussgängerstreifen funktioniert. Die Furt wird nach Vorbild der Niederlande um fünf Meter zurückversetzt, allenfalls nur um zwei Meter plus eine kleine Rampe. Hierzu sollen Pilotprojekte die Tauglichkeit erweisen die Details der idealen Ausgestaltung ermitteln.
Quelle: Ben Kron
Auf dem Velostreifen neben dem motorisierten Verkehr: Vor allem an Kreuzungen ist eine Entflechtung dieser Situation nötig.
Spezialfall bei Kreiseln
Ein Spezialfall der Velofurt könnte bei Verkehrskreiseln zum Einsatz kommen. Hier wird in der Schweiz bisher die Veloführung vor dem Kreisel aufgelöst, was aber zu problematischem Mischverkehr führt. Empfohlen wird deshalb die Velofurt mit Vortritt, wie sie wiederum in den Niederlanden innerorts Standard ist. Hierbei erfolgt die Führung der Velos getrennt vom motorisierten Verkehr auf einem umlaufenden Radweg. «Das erreichte Sicherheitsniveau ist hoch», so die Studie. Diese Lösung wird deshalb für die Schweiz als «Chance erachtet, bei Kreiseln eine Veloinfrastruktur anzubieten, die von einer breiten Nutzergruppe angenommen wird».
Mit Schweizer Recht bereits möglich ist die dritte Lösung: umlaufende Radwege bei durch Lichtsignalanlagen (LSA) gesteuerten Kreuzungen. Wiederum eine in den Niederlanden bewährte Lösung, wobei dort der Optimierung der Wartezeiten und -räume ein hohes Gewicht beigemessen wird, beispielsweise durch zusätzliche Zwischenphasen für den Langsamverkehr.
Farbversuch in Winterthur
Lösung vier schliesslich besteht im indirekten Linksabbiegen bei LSA-Kreuzungen. Dieses biete eine Möglichkeit, die Kreuzung ohne Verflechtung mit dem motorisierten Verkehr zu queren: «Velofahrende bleiben am rechten Fahrbahnrand und stellen sich im einmündenden Knotenarm auf. Bei der nächsten Phase wird die Kreuzung passiert.» Eine Lösung, die in Dänemark als Grundprinzip im Verkehrsrecht verankert ist. Auch in Schweizer Städten wird das Linksabbiegen bereits praktiziert. Die Studie schlägt einen Ausbau dieser Lösung und eine Verbesserung durch eine «intuitive Führung» vor.
Quelle: Ben Kron
Nur gelb aufgemalter Velostreifen neben rot eingefärbter Velofahrbahn: Für den Zweirad-Verkehr bieten sich im Alltag viele knifflige Situationen.
Neben der Entflechtung von Verkehrsknoten ist der Ausbau der Velowegnetze selbst eine anspruchsvolle Aufgabe, mit zusätzlichem Zeitdruck. Seit einigen Jahren am Ausbau seiner Velowege ist die Stadt Winterthur, die kürzlich den ersten zusammenhängen Abschnitt des städtischen Veloroutennetzes eröffnete. Hierfür wurde unter anderem ein bestehender Radweg gemäss den Vorgaben zu einer Veloschnellroute erweitert, wobei man die Erneuerung des 700 Meter langen Abschnitts zugleich für einen Pilotversuch nutzte: Das Teilstück erhält einen rötlich eingefärbten Deckbelag. «Durch die rötliche Strassenfarbe wird die Routenführung optisch klar ersichtlich und sie verleiht den Routen eine besondere Wiedererkennbarkeit», so die Pressemitteilung der Stadt. «Für Velofahrende steht somit sprichwörtlich ein 'fil rouge' zur Verfügung.» Diese Farbwirkung steht neben der Qualität und Langlebigkeit des Belages im Zentrum des Pilots. «Bei Eignung können in Zukunft an ausgewiesenen Veloschnellrouten weitere rötliche Beläge folgen.»
Gewisse Frequenz nötig
Das Projekt in Winterthur wird auch vom Astra verfolgt. Auf dessen Basis soll demnächst entschieden werden, ob gar ein flächendeckender Einsatz von rotem Asphalt für die Veloinfrastruktur auch in der Schweiz möglich wird. Wobei Urs Walter präzisiert: «Damit diese und andere Massnahmen, die dem Velo Priorität verschaffen, umgesetzt werden können, braucht es allerdings eine gewisse Velofrequenz.»
An dieser indes dürfte es nicht scheitern, denn nicht zuletzt mit dem Aufkommen der E-Bikes wächst in der Schweiz der Veloverkehr. «Velofahren hat zwischen 2007 und 2019 an Popularität gewonnen» heisst es im Bericht «Velofahren in der Schweiz 2020». Das Bundesamt sieht deshalb im Langsamverkehrs generell «erhebliches, derzeit noch ungenutztes Potenzial zur Verbesserung des Verkehrssystems, zur Entlastung der Umwelt (Luft, Lärm, CO2) und zur Förderung der Gesundheit». Als Ziel gibt es Bundesamt sogar aus: «Der Langsamverkehr soll sich neben dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr zu einem gleichberechtigten dritten Pfeiler des Personenverkehrs entwickeln.» Der Blick über die Grenze in die Veloländer Niederlande und Dänemark mag hierfür als Inspiration dienen.
Quelle: Brossi AG
Pilotversuch: Die Stadt Winterthur färbt ihr Velowegnetz rot ein, um den Benutzerin einen durchgehenden "Fil rouge" zu bieten.