11:16 KOMMUNAL

Urserental: Schrumpfende Berglandwirtschaft

Geschrieben von: Claudia Porchet (cet)
Teaserbild-Quelle: steveK/CC BY-SA 3.0/Wikimedia Commons

Der ägyptische Unternehmer Samih Sawiris hat im Urner Dorf Andermatt ein gigantisches Ferienresort inklusive Golfplatz und Skilandschaft realisiert. Urs Wüthrich hat ein Buch über diese riesengrosse Luxuswelt geschrieben und deren Bedeutung für Flora, Fauna und die Einheimischen im Urserental aufgedeckt.

Urserental

Quelle: steveK/CC BY-SA 3.0/Wikimedia Commons

Das Urserental besteht aus den Gemeinden Andermatt, Hospental und Realp. Hier: Blick auf Realp. Aufnahme von 2005 vor Sawiris Zeiten.

Der Investor Samih Sawiris hat im Dorf Andermatt UR im Urserental das Potenzial für eine entsprechende Destination gesehen: die Firma Andermatt Swiss Alps AG im Dienst der oberen Zehntausend. Hofiert von Bund und Kanton baute der ägyptische Kopte ein Riesenferienressort samt 18-Schlag-Golfplatz und neuen Skipisten unter anderem für Freerider, mit dem Ziel, möglichst viel Gewinn abzuschöpfen. Da es mit dem Wintersport immer enger werden wird, hat Sawiris bereits für den Sommer vorgesorgt. Wanderer und Biker freuen sich. Auch die Verbindungen der Seilbahnen macht es möglich, schnell von einem Ort an den anderen zu gelangen.

Bestandesaufnahme der Natur

Der Autor Urs Wüthrich hatte schon beim Start des Grossprojekts von Sawiris den Wunsch, Veränderungen der Natur und Landschaft im Urserental genau festzuhalten. Er machte eine inventarische Bestandesaufnahme der Natur, den Text hat der Zoologe mit zahlreichen Quellen gestützt. Drei fundierte Untersuchungen hat der Autor bereits fertiggestellt, nämlich 2015, 2016 und 2017.

Sein kürzlich erschienenes Buch «Das Urserental im Umbruch» ist der vierte Band der Reihe, alles im Auftrag von Pro Natura Uri und der Naturforschenden Gesellschaft Uri. Darin wird die Flora und Fauna nahezu umfassend vorgestellt, bevor er zum eigentlichen Thema kommt: den Schäden, die Sawiris in roten Zahlen taumelnde Traumwelt für die Tiere, die Natur und die Ökologie bedeutet.

Gefährliche weisse Pracht 

Die Andermatt-Sedrun Sport AG, eine Tochtergesellschaft der Andermatt Swiss Alps AG, betreibt die Skigebiete Gemsstock, Nätschen – Gütsch – Schneehüenerstock und Sedrun – Oberalp unter dem Namen Skiarena Andermatt + Sedrun. Die Andermatt Swiss Alps AG trieb den Ausbau der Skiarena seit 2015 voran. Sie plante mit 33 Liften und 180 Pistenkilometern, die grösste Schneesportanlage in der Zentralschweiz zu werden, so der Autor. 

Doch die künstliche Beschneiung erfordert hohe Investitions- und Unterhaltskosten. Seilbahnen Schweiz rechnet mit jährlichen Unterhaltskosten für einen beschneibaren Pistenkilometer zwischen 50 000 und 70 000 Franken. Der Betrieb eines ganzen Skigebiets mit 200 Pisten-kilometern schlägt pro Tag etwa mit 250 000 Franken zu Buche, hat Urs Wüthrich recherchiert.

Die Skiarena könnte ihr Pistennetz nicht ohne Beschneiungsanlagen betreiben. Die Pisten der Skiarena können etwa zu 80 Prozent künstlich beschneit werden. «Ein dichtes Netz von Schneelanzetten und Schneekanonen sorgt deshalb für die künstliche weisse Pracht.» Die Pistenfahrzeuge verteilen und verdichten den Schnee in den Randstunden, oft sogar auch nachts. Für eine saisongerechte Präparierung der Pisten braucht es einen beachtlichen Aufwand an Wasser und Energie.  

«Die maschinelle Präparation der Skipisten beeinflusst die Pflanzen», lautet eine der Thesen des Autors, die er im Folgenden belegt. Kunstschnee ist etwa viermal schwerer als natürlicher Schnee. Er enthält keine Lufteinschlüsse, weshalb die Pflanzen darunter rascher erfrieren und ersticken. Die hartgepresste Schneedecke schmilzt im Frühling deutlich später. Für einige Pflanzenarten wird der Bergsommer zu kurz, um zu blühen und Samen zu bilden. Ihr Zyklus kann nicht abgeschlossen werden. Wenn zur Anlage neuer Pisten Unebenheiten im Gelände entfernt werden, hat dies Folgen für das Landschaftsbild und die Pflanzendecke. Die dünne Humusschicht wird vernichtet. Regenfälle und Schmelzwasser schwemmen die letzten Humusreste weg, es entstehen Erosionsrinnen und Krater. Im rauen Gebirgsklima können Pflanzen nur langsam wachsen. Ist die alte Grasnarbe einmal verschwunden, kann es Hunderte von Jahren dauern, bis eine kleine Lücke wieder geschlossen ist. 

Verbuschung 

Im Frühling nach der Schneeschmelze schmückt ein Meer weisser und bläulicher Krokusse die Wiesen, ebenso kann man Wälder und Büsche erkennen, vor allem die Grün-Erle, die Kolonien an den Gebirgshängen bildet und bis an die Waldgrenze gelangt, schreibt der Zoologe.  Wald und Buschwerk nehmen in der Schweiz seit 150 Jahren kontinuierlich zu, heute so rasch wie nie zuvor. Besonders betroffen ist der Alpenraum. Durch unterlassene Kultivierung und touristische Nutzung kann Weideland rasch verbuschen. Hier übernimmt die Grün-Erle eine Schlüsselfunktion. Fichten können den rutschenden Schnee aufhalten. Die elastische Grün-Erle hingegen bietet keinen Schutz vor Bodenerosion, so bleiben unter dem Schnee Lücken und Luftpolster zurück. Grün-Erlen breiten sich im Urserntal immer mehr aus, so der Autor.  

Das Wild im Dauerstress

Die Landschaft immer mehr zu beanspruchen, bringt auch das Wild in Nöte. Die Wildruhezonen werden trotz Markierungen oft durchquert. Mit der Steigerung der Frequenz der Seilbahnen dürfte dieser Trend noch zunehmen. Ein erhöhter Fluchtreflex führt zu Stress unter den Tieren und damit zu grösseren Verbiss-Schäden und zur körperlichen Schwächung. Vor allem im Winter kann dies für Jungtiere lebensbedrohlich sein. 

Probleme mit der zunehmenden Anzahl an Wandertouristen können auch auf den Alpweiden entstehen. Mutterkühe, welche ihren Nachwuchs in Gefahr sehen, reagieren gereizt oder sogar aggressiv, wenn ihnen Menschen zu nahekommen. Schutzhunde, welche ihre Schafherde vor Wölfen bewachen, nehmen je nach Situation Leute und deren mitgeführte Hunde als Bedrohung wahr. Auch die einheimische Bevölkerung fühlt sich ihrer Heimat beraubt. Als Landwirte ihren Betrieb wegen des künftigen Golfplatzes aufgeben mussten, zeigte sich dies im wörtlichen Sinn. 

Widersprüche 

Im Luxusresort stehen die Häuser dicht an dicht, was mit einem haushälterischen Flächenumgang und einer verdichteten Bauweise erklärt wird. Ähnliche Widersprüche findet man bei der Analyse des Energieverbrauchs oder der Nutzung der Landschaft durch Infrastrukturen des Erholungs- und Sportbetriebs. Ungeachtet des Energiebedarfs für Beschneiungsanlagen, Bahnen und neuen Wohneinheiten wird die umweltfreundliche und grüne Energie «über den Klee gelobt». Oder es werden Naturpfade errichtet und Trails in der Natur angeboten, gleichzeitig jedoch Pisten planiert, Schneedecken gesprengt und Wildbestände gestört. Dabei dürfte besonders der Sommertourismus eine wachsende Rolle spielen. Ob das Projekt zu einem blühenden Geschäft oder zu einer platzenden Blase wird, ist noch ungewiss. 

Ein Gremium beschloss, ein zukunftsweisendes regionales Konzept mit einem Zeithorizont bis 2040 zu erarbeiten. Die Bevölkerung wurde dabei mit einem Flyer auf die Thematik aufmerksam gemacht und mittels einer Umfrage zum aktiven Mitwirken eingeladen.  

Der Kanton Uri hat sich entschieden, als Impulsgeberin mit der Ideenkonkurrenz den Blick auf die gesamtheitliche regionale Entwicklung zu lenken. Wirtschaftliche und raumplanerischen Aspekte haben einen dominanten Stellenwert, ökologische Fragen werden hingegen kaum aufgeworfen. «Vielleicht wäre es zusätzlich angebracht, nationale oder internationale Instanzen und Organisationen anzuhören, um übergeordnete Interessen in die Planung miteinzubeziehen», so der Autor. 

Wichtig an diesem Buch ist, dass wir uns fragen, ob solche Tourismuskonzepte nachhaltig sind. Vielleicht zeigen sich die schlimmsten Schäden erst in zehn, zwanzig Jahren. So jedenfalls geht es nicht weiter. Urs Wüthrich lässt uns denn auch mit offenen Fragen zum Arbeitsmarkt, Verkehr, immer teurer werdenden Skifahren oder auch zur Klimaerwärmung zurück – Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind und zum Nachdenken anregen.

Buchtipp

Das Buch kostet 30 Franken und kann bestellt werden bei:

Pro Natura Uri
pronatura-ur@pronatura.ch

Naturforschende Gesellschaft Uri
Dr. Peter Spillmann
peter.spillmann@bluewin.ch

Die Publikation ist auch im Buchhandel erhältlich.


Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Claudia Porchet ist Philologin und interessiert sich für Architekturgeschichte, Kunst am Bau und Design. Ebenso begeistern sie neue Forschungsresultate aus allen Bereichen. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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