Umnutzungen von Kirchen: Zweites Leben für Gotteshäuser
Abreissen, verkaufen, vermieten oder neu nutzen? Diese Frage stellt sich für viele Kirchen. In den letzten 25 Jahren wurde in der Schweiz für rund 200 religiöse Gebäude eine neue Verwendung gefunden. Das zeigt eine Datenbank, die von der Theologischen Fakultät der Uni Bern erstellt wurde.
Sie gilt als die bedeutendste neugotische Kirche der Schweiz. 1857 bis 1864 wurde die Elisabethenkirche in Basel nach den Plänen des Architekten Ferdinand Stadler erbaut. Es war der erste Kirchenneubau in der Rheinstadt seit der Reformation. Die Stifter, Christoph Merian und Margarethe Merian-Burckhardt, wollten mit dem Bau ein «Mahnmal gegen den Ungeist der Zeit» errichten – gegen die Entchristlichung von Staat und Gesellschaft.
1994 hat die evangelisch-reformierte Kirche die Elisabethenkirche dem ökumenischen Verein Offene Kirche Elisabethen übergeben. Seither finden hier neben gottesdienstlichen Feiern auch Discos, Diskussionsrunden und Chorkonzerte statt. Im Pfarrhaus sind Flüchtlingsprojekte untergebracht. Die Offene Kirche Elisabethen «macht geistliche, kulturelle und soziale Angebote für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Religion», heisst es auf der Webseite des Vereins. «Sie ist offen für alle Menschen guten Willens.»
Die Offene Kirche Elisabethen gilt als gelungenes Beispiel für eine Kirchenumnutzung. Für zahlreiche Kirchen in der Schweiz wird heute nach neuen Nutzungen gesucht. Immer häufiger stehen Gotteshäuser leer. Kirchgänger bleiben zunehmend aus. Die Zahl der Kirchenaustritte steigt. Die Steuereinnahmen bei den Landeskirchen sinken. Das zwingt viele Kirchgemeinden, sich Gedanken zu machen, was mit den leerstehenden Räumen geschehen soll. Viele Kirchengebäude sind zudem in die Jahre gekommen – früher oder später stehen aufwendige Sanierungen der häufig denkmalgeschützten Objekte an. Das wird schnell teuer. Kostspielig ist auch die Beheizung der oft sehr grossen Gebäude.
«Lösungen aufzeigen»
Was wird aus Sakralbauten, die nicht mehr gebraucht werden? Dieser Frage ist Johannes Stückelberger nachgegangen. Er ist Kunsthistoriker und Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Unter seiner Leitung wurde eine Online-Datenbank über Kirchenumnutzungen erstellt. Sie gibt einen schweizweiten Überblick über Kirchen, Kapellen und Klöster, für die in den letzten 25 Jahren eine neue Verwendung gefunden wurde oder noch eine Umnutzung angestrebt wird. Erfasst wurden rund 200 Objekte. Hinzu kommen viele Pfarrhäuser, Kirchgemeindehäuser, Pfarreizentren und weitere kirchliche Immobilien, die ebenfalls einer neuen Nutzung zugeführt wurden.
Die öffentlich zugängliche Datenbank listet für jedes Objekt Ort, Name, Baujahr, Konfession, Bautypus, Adresse, Koordinaten, Architekt sowie Art und Jahr der Umnutzung auf. «Die Datenbank will aufzeigen, welche Lösungen man in der Schweiz gefunden hat, was funktioniert, wo sich Probleme ergaben und worüber derzeit diskutiert wird», erklärt Stückelberger. Nach seinen Angaben war bei der Umnutzung kirchlicher Gebäude in den letzten zehn Jahren eine starke Zunahme zu verzeichnen. Die Zahl wird aus seiner Sicht in den kommenden Jahren noch steigen.
Viele Umnutzungen in Städten
Von den 200 Gebäuden in der Datenbank sind laut Stückelberger ein Drittel Gotteshäuser der drei Schweizer Landeskirchen, also der evangelisch-reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen Kirche. Ein Drittel entfällt auf christliche Gemeinschaften wie die methodistische Kirche und die neuapostolische Kirche, und bei einem weiteren Drittel handelt es sich um Klöster und Kapellen. 96 Kirchen sind mittlerweile umgenutzt worden. Besonders viele davon befinden sich in den Städten Basel, Bern und Genf, wie die interaktive Karte zeigt. Nur wenige davon stehen in den Alpenkantonen Wallis, Tessin oder Graubünden.
Ein knappes Drittel der 96 umgenutzten Kirchen wird weiterhin kirchlich verwendet, ein weiteres Drittel hat jetzt eine weltliche Funktion. Rückgebaut werden nur wenige Kirchen. 19 Abrisse finden sich in der Datenbank. Mehrheitlich handelt es sich um Kapellen christlicher Gemeinschaften, die äusserlich kaum als religiöse Gebäude erkennbar sind. Noch selten sind erweiterte Nutzungen oder Mischnutzungen, bei denen die Kirchen im Besitz der Kirchgemeinden bleiben, aber von anderen mitgenutzt werden können. Nur acht dieser umgenutzten Kirchen werden sowohl kirchlich als auch profan verwendet.
Stückelberger hält solche Mantelnutzungen, wie sie bei Fussballstadien weit verbreitet sind, für ein zukunftsweisendes Modell auch für sakrale Bauten. Denn auf diese Weise kann der teure Unterhalt finanziert werden. Am Schweizer Kirchenbautag, zu dem sich 2017 rund 160 Vertreter von Kirche, Denkmalpflege und Öffentlichkeit trafen, wurden solche Mischnutzungen ausdrücklich empfohlen. Diese Lösungen erlaubten christlichen Religionsgemeinschaften, die Kirchengebäude – mindestens teilweise – für ihren ursprünglichen Zweck weiterverwenden zu können, hiess es.
Hingegen seien Fremdnutzungen oder ein Verkauf aus kirchlicher Sicht zu vermeiden, weil dadurch die künftige Verwendung dem Einfluss der Kirchen entzogen werde. Dem öffentlichen Charakter der Gebäude angemessen sei eine weitere öffentliche Nutzung. Auch der Evangelische Kirchenbund und die Bischofskonferenz empfehlen den Kirchgemeinden, die Gebäude wenn nötig zu vermieten, aber nicht zu verkaufen oder abzureissen.
Öffentliche Orte
Aus denkmalpflegerischer Sicht müsse die neue Verwendung einer Kirche möglichst der ursprünglichen Nutzung entsprechen, schreibt die Thurgauer Denkmalpflegerin Eva Schäfer in einem Themenheft von «Kunst und Kirche», einer ökumenischen Zeitschrift für zeitgenössische Kunst und Architektur. Darin werden Kirchenumnutzungen aus einer kirchlichen, denkmalpflegerischen, theologischen, städtebaulichen, politischen, rechtlichen, volkswirtschaftlichen und soziologischen Perspektive diskutiert.
Umnutzungen gestalteten sich bei den protestantischen und katholischen Kirchen wesentlich anspruchsvoller als bei den Sakralorten kleinerer Religionsgemeinschaften, hält Johannes Stückelberger in einem weiteren Beitrag fest. Während der Verkauf der Kapelle einer Gemeinschaft keine hohen Wellen werfe, sei dies bei der Umnutzung eines grossen Kirchengebäudes anders, so Stückelberger. «Dies hängt wesentlich mit der städtebaulichen Relevanz der Kirchen sowie ihrer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum zusammen. Kirchen sind öffentliche Gebäude, die das Stadtbild prägen.»
Durch ihre Position und ihre Sichtbarkeit seien Kirchen öffentliche Orte, die wegen ihres besonderen Erscheinungsbilds auch von einer nichtkirchlichen Öffentlichkeit als Sakralorte wahrgenommen werden. Wollten die kirchlichen Institutionen im städtischen Raum sichtbar bleiben, müssten sie ihre Kirchen so lange wie möglich für ihre Zwecke nutzen, erklärt Stückelberger.
Wenn die Kirchengebäude nicht mehr gehalten werden können, sollten Nutzungen gesucht werden, durch die diese Gebäude weiterhin der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und damit öffentliche Orte bleiben. Hohe Akzeptanz fänden Verwendungen, die irgendeine Verbindung zur ursprünglichen Nutzung der Gebäude erkennen liessen, das heisst religiöse, soziale und kulturelle.
Quelle: zvg
Die Maihofkirche in Luzern wurde in einen multifunktionalen Raum umgestaltet, der bis zu 400 Personen Platz bietet.
Maihof als Musterbeispiel
Während im Ausland kirchliche Gebäude in Autogaragen, Hotels, Restaurants oder Strip-Clubs umgewandelt oder einfach abgerissen wurden, ist man in der Schweiz bei Kirchenumnutzungen zurückhaltend. Landesweite Beachtung gefunden hat die neue Verwendung der römisch-katholischen Maihofkirche in Luzern. Die 1941 vom Architekten Otto Dreyer gebaute Kirche St. Josef wurde 2013 in einen multifunktionalen Raum ohne Kirchenbänke umgestaltet. Der Saal bietet 300 bis 400 Personen Platz. Hier finden neben liturgischen Feiern auch Ausstellungen, Konzerte, Kongresse, Seminare und Bankette statt. Klare Nutzungsrichtlinien sollen die Verletzung christlicher Grundwerte verhindern.
Das benachbarte Pfarrheim aus den 1960er-Jahren wurde in ein Quartierzentrum umgewandelt. Es wird für gemeinnützige Zwecke wie Kindergarten und Spielgruppe vermietet. Eine Kapelle im Untergeschoss ist weiterhin ausschliesslich für Liturgie und Stille reserviert. Ein weiteres Musterbeispiel ist die reformierte Heiliggeistkirche beim Berner Bahnhof, die als offene Kirche ein Ort der Begegnung und Meditation ist und Raum für Ausstellungen und Konzerte bietet.
Quelle: Charly Bernasconi, CC BY-SA 4.0 W,ikimedia Commons
Die römisch-katholische Kirche Heiligkreuz in Bern wurde an die rumänisch-orthodoxe Gemeinde St. Georgen verkauft.
Bewährt hat sich gemäss Stückelberger auch die Übergabe von Kirchen an andere religiöse Gemeinschaften. So wurde die ehemalige reformierte St.-Alban-Kirche in Basel an die serbisch-orthodoxe Kirche vermietet. Im Tessiner Dorf Melide erwarb die russisch-orthodoxe Gemeinschaft die reformierte Kirche. Die römisch-katholische Kirche Heiligkreuz in Bern befindet sich heute im Besitz der rumänisch-orthodoxen Gemeinde St. Georgen. Die christkatholische Elisabethenkirche in Zürich Wiedikon wurde an die serbisch-orthodoxe Kirche vermietet.
In Eventlokal umgewandelt
Die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Ebnat-Kappel im Toggenburg entschied sich dagegen für einen Verkauf an einen privaten Investor. Sie besass zwei Kirchen – ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Ebnat und Kappel noch zwei eigenständige Gemeinden waren. Zwei Kirchen für 2000 Mitglieder: Das war eine zu viel. Die Kirche im Ortsteil Kappel wurde zum Eventlokal «Dömli», das als Treffpunkt für die ganze Umgebung beliebt ist. In Zürich Wollishofen wurde die neuapostolische Kirche abgebrochen. Sie musste einem Neubau mit Luxuswohnungen weichen.
Dass der Verkauf einer Kirche schiefgehen kann, zeigt sich in St. Gallen. Die Sanierung der reformierten Kirche St. Leonhard, 1887 erbaut, wäre auf 4,5 Millionen Franken zu stehen gekommen. Das war zu teuer für die Kirchgemeinde. Ein Abriss des unter Schutz stehenden Wahrzeichens mit gewinnbringender Verwendung der Parzelle kam nicht infrage. Schliesslich wurde die Kirche für 45 000 Franken an einen Architekten verkauft. Er wollte sie in ein Kulturzentrum verwandeln mit Gastronomie, Konzerten, Theater, Filmvorführungen oder Modeschauen. Aus all dem wurde bisher nichts. Seit 2004 steht die Kirche leer.
Quelle: Kanton Basel-Stadt, Juri Weiss
Die Markuskirche im Kleinbasel muss zwei Wohnhäusern mit zwanzig Mietwohnungen weichen.
Dem Abbruch geweiht ist die 1932 erbaute reformierte Markuskirche im Kleinbasel, ein schlichtes Gebäude im Bauhaus-Stil mit einer klaren Formensprache. Seit 2009 werden hier keine Gottesdienste mehr abgehalten. Verschwinden wird auch der schlanke, freistehende Glockenturm aus den 1950er-Jahren mit einem von Celestino Piatti gestalteten Turmhahn. Die evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt hat beschlossen, auf der Parzelle zwei Wohnhäuser mit zwanzig Mietwohnungen zu errichten. Erwartet wird ein jährlicher Ertrag von 300 000 Franken.
Quelle: Lutz Fischer-Lamprecht, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
Die reformierte Kirche in Turgi sollte abgerissen werden. Heute steht sie unter Denkmalschutz.
Abrisse stossen auf Widerstand
Das gleiche Schicksal drohte der reformierten Kirche im kleinen Aargauer Dorf Turgi. 2013 beschloss die Kirchgemeinde, das 1957 gebaute Gotteshaus der Berner Architekten Dubach & Gloor abzureissen. Eine Sanierung würde mehr als drei Millionen Franken kosten. An derselben Stelle sollten für 6,2 Millionen Franken eine neue Kirche und Alterswohnungen errichtet werden.
Dieser Entscheid löste in der Bevölkerung Proteste aus. 379 Personen unterzeichneten die Petition «Die Kirche bleibt im Dorf». Inzwischen wurde der Sakralbau unter Schutz gestellt. Die Kirche muss deshalb stehen bleiben. In Bern wehrte sich die Bevölkerung erfolgreich gegen den Abbruch der reformierten Matthäuskirche. Auch der geplante Abriss der reformierten Kirche im aargauischen Villmergen ist auf Widerstand gestossen.
Quelle: Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Matthäus Bern und Bremgarten
Der Abbruch der Matthäuskirche in Bern stiess in der Bevölkerung auf Widerstand.
«Kirchenumnutzungen gibt es, seit es Kirchen gibt», sagt Stückelberger. Als Basel 1529 auf die reformierte Seite wechselte, wurden auf einen Schlag zwölf Klöster und Ordenshäuser aufgehoben und deren Gebäude neuen, das heisst nichtkirchlichen Nutzungen zugeführt. Sie dienten fortan als Warenlager, Salzlager, Frucht- und Kornschütten oder wurden an das Gewerbe vermietet. Das gleiche Schicksal erlitten zahlreiche kleinere und grössere Kapellen. «Kirchenumnutzungen», bringt es Stückelberger auf den Punkt, «sind Ausdruck eines Wandels der Gesellschaft, dem sich die Institution Kirche nicht entziehen kann.»
Die Datenbank über Kirchenumnutzungen ist zu finden unterhttps://www.schweizerkirchenbautag.unibe.ch.Hier kann auch das Themenheft «Kirchenumnutzungen» von «Kunst und Kirche» bestellt werden. 76 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen. Preis: 15 Franken.