09:18 KOMMUNAL

Städte im Ständerat?

Teaserbild-Quelle: www.parlament.ch

Eine Umfrage zeigt, dass die Bevölkerung nicht viel über den Föderalismus weiss. Das alarmierte die Teilnehmer der nationalen Föderalismuskonferenz. Für die kommunale Ebene war insbesondere die Diskussion spannend, ob die Städte mehr Macht in Bundesbern erhalten sollen.

Ständeratssaal

Quelle: www.parlament.ch

Die Städte fühlen sich im Bundeshaus marginalisiert. Immer wieder kommt deshalb die Forderung nach einer Vertretung im Ständerat auf.

Just am 27. Oktober, am Tag an dem das Regionalparlament in Barcelona die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien ausrief, endete in Montreux die fünfte zweitägige nationale Föderalismuskonferenz. Der Tenor der Diskussionen und Pausengespräche war eindeutig: So etwas kann in der Schweiz nicht passieren, denn wir kultivieren einen lebendigen Föderalismus, der die verschiedenen Landesteile zusammenhält. Selbst die militantesten Jurassier konnten demokratisch in das politische System eingebunden werden.

«Die Katalanen und Spanier können viel von uns lernen», hörte man allenthalben schulterklopfend. Nur alt Ständerat Hans Altherr (FDP) gab zu bedenken, dass Steuerautonomie ein zentraler Teil des Föderalismus sei – und genau darüber will die Zentralregierung in Madrid mit den Katalanen gar nicht erst sprechen. Und Politikwissenschafter Andreas Ladner erinnerte daran, dass es in Spanien im Gegensatz zur Schweiz keine föderalistische Tradition gibt. Föderalismus kann man nicht einfach verordnen, er muss wachsen.

Ahnungslose Junge

Montreux ist historisch ein bedeutender Ort für den Föderalismus. 1947 veröffentlichte die Weltbewegung für eine föderative Weltregierung im mondänen Tourismusort am Genfersee mit der «Erklärung von Montreux» eine Deklaration zur Rolle des Weltföderalismus als politisches Ideal. 70 Jahre später wurde eine neue Erklärung von Montreux von den über 400 Teilnehmern der nationalen Föderalismuskonferenz unterschrieben. Diesmal war der Anspruch nicht mehr international, sondern auf die Schweiz beschränkt.

Ausgangslage für die Erklärung war eine Umfrage in der Bevölkerung. Das niederschmetternde Ergebnis. Im Erklärungstext heisst es: «Die Funktionsweise unserer Institutionen, die Besonderheiten und Vorzüge des Föderalismus sind nur wenig oder schlecht bekannt. (...) Es scheint, als wüssten grosse Teile der Bevölkerung nicht, was der Föderalismus für unser Land wirklich bedeutet. Dies gilt vor allem für die Jungen – jene also, denen die Zukunft der Schweiz gehört.»

Mit der Unterzeichnung der Erklärung von Montreux bekräftigten die Konferenzteilnehmer «ihre Verbundenheit mit dem Föderalismus, der die Schweiz zu dem gemacht hat, was sie heute ist».

Kantone in der Überzahl

Wie schon an der letzten Föderalismuskonferenz vor drei Jahren in Solothurn kam den Gemeinden auch in Montreux eine eher untergeordnete Rolle zu. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Veranstaltung von der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK) und der von den Kantonen getragenen «ch Stiftung» organisiert wurde. So erstaunt es nicht, dass meist das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen im Fokus der Referate und Diskussionen stand.

Doch die kommunale Ebene war bereits einiges besser vertreten als bei der letzten Austragung. Der Städteverband war sehr präsent und auch kommunaleExekutivvertreter waren mehr anwesend – insbesondere aus der Romandie. Und am ersten Konferenztag fand ein rund eineinhalbstündiges Podium zum Thema «Kanton – Gemeinde: Ein überholtes Konzept?» statt.

Sind Städte marginalisiert?

In letzter Zeit entbrannten viele Diskussionen um die Rolle der Gemeinden im Föderalismus. So kommt aus den Städten immer lauter die Forderung nach mehr Mitsprache auf nationaler Ebene. Im Kanton Schaffhausen wurde gar über nichts anderes als die Abschaffung der Gemeinden abgestimmt – auch wenn diese Vorlage keine Chance hatte.

Einer, der sich mit Verve für eine stärkere Vertretung der Städte einsetzt, ist der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr (SP): «Der Föderalismus ist das Blut in den Adern unseres Staates. Aber er muss sich veränderten Verhältnissen auch anpassen können.» Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt heute im städtischen Umfeld und die Ablehnung der Unternehmenssteuerreform III an der Urne zeigte laut Fehr, dass die Städte auch eine gewisse Vetomacht in der nationalen Politik hätten.

Benedikt Würth (CVP), Präsident der KDK und Regierungsrat im Kanton St. Gallen, sieht jedoch explizit keinen Reformbedarf beim institutionellen Rahmen. Er fordert hingegen mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen, bei den Agglomerationsprogrammen funktioniere das bereits sehr gut. Der Kritik des Demokratieverlusts durch interkommunale Zusammenarbeit und Konkordate entgegnete er, dass der Bürger primär einen guten Service Public zu vernünftigen Preisen wolle. «Gelingt das, nimmt der Bürger
auch einen gewissen Demokratieverlust in Kauf.»

Erich Fehr gab zu bedenken, dass die interkommunale Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinweg schwierig sei: «Wir haben in Biel viel mehr Berührungspunkte mit unseren jurassischen und Neuenburger Nachbaren als mit Gemeinden im Berner Oberland. Den Bürger interessiert es nicht, in welchem Kanton die Nachbargemeinde ist. Er will einfach, dass die Zusammenarbeit funktioniert.» Der Bildung einer vierten Staatsebene, wie den Anhängern einer Stärkung der Städte oft unterstellt wird, gibt Fehr aber eine klare Absage. Die Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinweg müsse jedoch erleichtert werden.

Hannes Germann, SVP-Ständerat aus dem Kanton Schaffhausen und Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbandes, fügte an, dass der ehemalige Bieler Stadtpräsident Hans Stöckli ja im Ständerat sitze und die Interessen der Bieler sicher gut vertreten würde. Dem widersprach Fehr: «Selbst Ständerat Stöckli vertritt in erster Linie den Stand Bern.» Als Städtevertreter, gerade aus dem Kanton Bern, habe er oft das Gefühl, «von Kantonsgnaden abhängig zu sein». Es sei häufig keine Partnerschaft auf Augenhöhe. «Darum braucht es eine starke Stimme der Städte auch auf Bundesebene.» Wie genau diese Stimme tönen könnte, weiss aber auch Fehr nicht.

Fehrs Kritik konnte Kantonsvertreter Würth nicht viel abgewinnen: «Es ist doch nicht so, dass nur Ständeräte aus den Städten verstehen, was städtische Themen sind. Alle Mitglieder des Ständerats sind sich den Problemen der Städte bewusst.» Er sehe weder im National-, noch im Ständerat und auch nicht in den Kantonen einen Notstand betreffend der Stellung der Städte. «Die Städte und Agglomerationen sind der wirtschaftliche Motor der Schweiz, das wissen auch die Politiker vom Land.»

Dem pflichtete Hannes Germann bei: «Ich stehe in ständigem Kontakt mit den kommunalen Exekutiven meines Kantons, auch der Stadt Schaffhausen und ihrer Agglomerationsgemeinden.» Eine Vertretung der Städte im Ständerat, wie es manchmal gefordert wird, würde laut Germann die Büchseder Pandora öffnen, denn dann würden auch die ländlichen Gebiete ihre Vertretung wollen. «Der Ständeratssaal ist aber seit der Gründung des Kantons Jura bereits proppenvoll», fügte Germann scherzhaft hinzu.

Auch Politgeograf Michael Hermann will nichts von «schwachen Städten» wissen: «Das Budget der Städte ist pro Kopf etwa 50 Prozent höher als das von kleinen Gemeinden. Die Städte bestimmen auch über Nicht-Einwohner.» Auch der Ständerat habe sich in den letzten Jahren gewandelt: «Im 19. Jahrhundert war er das konservative Bollwerk gegen den liberalen Nationalrat. Heute zeichnet er sich vor allem dadurch aus, dass die SVP dort weniger Macht hat als im Nationalrat. Der Ständerat ist heute die progressivere Parlamentskammer.» Die Durchsetzungsinitiative etwa wäre ohne Ständerat einfach durchgewunken worden.

Ketzerischer Politologe

Erwartungsgemäss bekannten sich alle Teilnehmer der Konferenz zum Föderalismus. Nur der Berner Politikwissenschafter Sean Müller wagte eine ketzerische Frage: «Wie wäre es, wenn die Schweiz ein Einheitsstaat wäre? Wäre dann alles anders?» Er beantworte die Fragen gleich selbst: «Es gibt andere Elemente, welche die Schweiz genauso zusammenhalten, etwa die direkte Demokratie und die Konkordanz. Ohne Föderalismus hätten wir auch keine Konflikte mehr um das Ständemehr. Funktionale Räume müssten nicht mehr künstlich mit Konkordaten gestützt werden. Der Föderalismusist ein Bremsklotz aus dem 19. Jahrhundert.»

Die anderen Teilnehmer des Podiums «Kanton – Gemeinde: Ein überholtes Konzept?» begrüssten zwar Müllers Gedankenexperiment, teilten aber seine Schlüsse überhaupt nicht. Es liegt auf der Hand, dass Müller nicht wirklich ein Föderalismusgegner ist, sondern einfach nur die Diskussion etwas befeuern wollte – was ihm auch gelang.

Ob Konferenzen über den Föderalismus Einfluss auf den politischen Alltag haben, sei dahingestellt. So viel Französisch gesprochen wie in den zwei Tagen in Montreux haben die meisten Deutschschweizer Konferenzteilnehmer wohl schon lange nicht mehr – und das ist am Ende wahrscheinlich wichtiger für den nationalen Zusammenhalt als Erklärungen und Preisverleihungen.

Föderalismuspreis 2017 geht an die interjurassische Versammlung

Seit 2014 verleiht die «ch Stiftung» jedes Jahr den Föderalismuspreis. Im Rahmen der nationalen Föderalismuskonferenz in Montreux übergab Pascal Broulis, Waadtländer Staatsrat und Präsident der Stiftung, den Preis für 2017 an die interjurassische Versammlung (IJV).

Am 25. März 1994 unterzeichneten die Regierungen der Kantone Bern und Jura unter der Schirmherrschaft des Bundesrates ein Abkommen zur Gründung der Interjurassischen Versammlung. Das Ziel war klar und ambitioniert: die Lösung der Jurafrage und die Wiederaufnahme des Dialogs. So hatte die Versammlung die erklärte Mission, die beiden seit Jahrzehnten in Konflikt stehenden Bevölkerungsgruppen anzunähern, um sie zu versöhnen.

Diese in der Schweiz einzigartige Institution hat als Plattform des interjurassischen Dialogs während 23 Jahren die Zusammenarbeit zwischen dem Kanton Jura und dem Berner Jura gestärkt. «Sie hat die Rahmenbedingungen geschaffen für eine politische und demokratische Lösung der Jurafrage, vor allem auf der Grundlage der Durchführung von Volksabstimmungen», so die «ch Stiftung». Die friedliche Stimmung während der Volksabstimmung über die Kantonszugehörigkeit der Gemeinde Moutier im vergangenen Juni sei ein Zeichen des erfolgreichen Wirkens der IJV.

In der IJV waren der Kanton Jura und der Berner Jura durch je zwölf Personen vertreten. Der Bundesrat ernannte jeweils die Persönlichkeiten, die den Vorsitz der IJV übernahmen und vermittelnd tätig waren. Der erste Präsident der IJV war alt Bundesrat René Felber, der letzte war alt Ständerat Dick Marty.

Nach fast einem Vierteljahrhundert hat die IJV ihre Mission erfüllt. Die drei Gründungspartner haben sie deshalb per 10. November 2017 aufgelöst. (mgt/aes)

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