Simultaneum in Weiden: Das «katholische» und das «evangelische Türl»
Untertanen mussten über Jahrhunderte stets den Glauben ihres Herrschers annehmen. Wer nicht mitzog, musste seine Heimat verlassen. In einem Teil Bayerns gab es jedoch ein Kuriosum: Das Simultaneum. Katholiken und Protestanten teilten sich dort die Kirchen.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Das katholische Türl und das evangelische Türl an der städtischen Apotheke halfen diskret, Konflikte zwischen den Konfessionen zu vermeiden.
Aufmerksame Touristen können in Weiden in der Oberpfalz ein Kuriosum entdecken: Die zwei Eingänge der ehemaligen Marienapotheke in zentraler Lage. Das «katholische Türl» ist gut sichtbar zum Marktplatz hin ausgerichtet. Das «evangelische Türl» liegt etwas versteckter um die Ecke. Diese Besonderheit gehört zu den Spuren, die das so genannte «Simultaneum» in der bayerischen Stadt hinterlassen hat. Das Simultaneum war eine Besonderheit der Gegend. Sie erlaubte es, dass Katholiken und Protestanten gleichberechtigt in derselben Stadt lebten.
Die beiden Konfessionen lieferten sich seit der Reformation landauf landab über die Jahrhunderte immer wieder erbitterte Gefechte. Wer der Religion des aktuellen Herrschers nicht folgen mochte musste Haus und Hof verlassen. Rund um Weiden in der Oberpfalz fuhr man 240 Jahre lang einen Sonderweg: Seit 1663 lebte man dort im Simultaneum, bei der beide Konfessionen koexistierten.
Alles doppelt besetzt
Das brachte es mit sich, dass alle wichtigen Positionen doppelt besetzt waren und es unter anderem auch zwei Apotheker gab. Derjenige der Marienapotheke, eigentlich für die Katholiken zuständig, war aber zu gewissen Zeiten der offensichtlich kompetentere. Wenige Häuser weiter residierte die evangelische Mohrenapotheke.
«Wir wissen heute nicht mehr die genaue Jahreszahl, aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der damalige Inhaber der Mohrenapotheke offenbar zu unterbeschäftigt, so dass er gern auf der Strasse vor seiner Apotheke stand. Er behielt stets die Tür der Marienapotheke im Blick. Erwischte er einen Evangelischen beim Betreten der katholischen Apotheke war dies für den Konfessionsbruder natürlich sehr unangenehm», berichtet Archivarin Petra Vorsatz, die das Kulturamt Weiden leitet.
Irgendwann wurde es dem katholischen Apotheker zu bunt. Er liess um die Ecke – und somit ausser Sichtweite seines Kollegen – eine zweite Tür in die Fassade brechen. Die Protestanten konnten fortan ungesehen durch das «evangelische Türl» bei ihm ein und aus gehen. Eine Marketingaktion à la 19. Jahrhundert.
Das passende Altarbild herkurbeln
Dieses dem Simultaneum geschuldete Kuriosum ist aber nicht das einzige, das man heute noch im Stadtbild findet. Zur Blütezeit des Simultaneums gab es gleich 49 Simultankirchen in der Oberpfalz. Alles Kirchen also, die abwechselnd von Katholiken und Protestanten genutzt wurden. Heute sind es noch neun. «Durch den Anschluss an das Eisenbahnnetz und die damit einhergehende Industrialisierung stieg die Bevölkerung in Weiden sprunghaft an, eine Kirche für beide Konfessionen war daher nicht mehr ausreichend», erläutert Vorsatz.
Auch die heute evangelische Kirche St. Michael, unweit der besagten Apotheke, war einst eine Simultankirche. Sie hatte, wie alle anderen, der Parität wegen zwei Mesner, zwei Pfarrer, zwei Uhrenaufzieher und zwei Türmer samt je zwei Gesellen zum Glockenläuten. Die Besetzung wechselte alle 14 Tage, so dass beide Konfessionen gleichermassen zum Zuge kamen.
In der Kirche selbst ist bis heute ein Drehmechanismus am Altar erhalten, den Petra Vorsatz umgehend vorführt: «Für die Evangelischen bleibt das Türl geschlossen. Wenn die Katholischen dran waren wurde es geöffnet. In die entstandene Nische kamen dann Heiligenfiguren.» In anderen Kirchen gab es sogar Altäre, deren Altarbild passend zur Konfession durch Kurbeln wechseln konnte. Im geräumigen Pfarrhaus neben der Kirche mussten übrigens jahrhundertelang zwei Pfarrer unterkommen. Beide zu halbem Gehalt versteht sich.
Jauche, Mist und Monstranzen
So ruhig und harmonisch, wie man sich das vielleicht vorstellt, gestaltete sich das Simultaneum aber nicht. Und das, obwohl die Weidener Bürgerinnen und Bürger seit der Reformation glatte sieben Mal die Konfession wechseln mussten, bis das Simultaneum endlich Ruhe bringen sollte. Die Kulturamtsleiterin erzählt: «Anfangs hatte sich der protestantische Pfarrer geweigert, den Katholiken den Kirchenschlüssel zu überlassen. Sie brachen kurzerhand die Tür mit der Hacke auf und nannten diese «des Kaisers Schlüssel.»
Auch zu den hohen Feiertagen gab es gern Nadelstiche der anderen Seite. «Kaum hatten die Katholiken ihre Blumenteppiche zur Fronleichnamsprozession fertig gelegt, kamen die Evangelischen und führten Mist und Jauche entlang der Prozessionsstrecke. Nicht faul revanchierten sich jeweils am Karfreitag katholischen Frauen, indem sie ihren Waschtag einlegten. Die Wäsche wurde anschliessend gut sichtbar aufgehängt», berichtet Vorsatz.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Das Pfarrhaus musste zwei Pfarrer gleichzeitig beherbergen. Beide erhielten nur halben Lohn.
Leid und Unglück in der «Insel der Toleranz»
Weiden sei durch das Simultaneum zwar offiziell eine «Insel der Toleranz» gewesen. Aber es habe dadurch auch viel Leid und Unglück durch das erzwungene Miteinander gegeben. Sie erinnert sich an Erzählungen ihrer Grossmutter, dass die evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler einen um eine Viertelstunde versetzten Schulschluss hatten: «Das verhinderte Schlägereien auf dem Schulweg.» Während des Simultaneums waren die Konfessionen in Weiden etwa 50:50 verteilt.
Heute sind durch Zuzug aus dem katholischen Umland die Evangelischen deutlich in der Unterzahl. 240 Jahre lang bestand das Simultaneum mit allen Licht- und Schattenseiten. Seit 1900 besitzen die Katholiken eine eigene Kirche in der Stadt. St. Michael und ist seitdem den Protestanten vorbehalten.
Ganz neu hat man das Simulteaneum auch als touristische Attraktion entdeckt. Seit kurzem gibt es eigens einen Veloweg, der entlang der Simultankirchen führt: simultankirchenradweg.de