Ruf nach einer Regulierungsbremse
Die Regulierungsdichte nimmt in der Schweiz weiter zu. Das Mass des Erträglichen sei längst überschritten, kritisiert Infra-Suisse-Präsident Urs Hany. Der Unmut wächst nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den öffentlichen Bauherren und Verwaltungen. Das zeigte sich am Branchentreffen des Infrastrukturbaus.
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Die Schweiz hat in den letzten Jahren wichtige Weichen in der Infrastrukturpolitik gestellt, doch die Vielzahl von Regelungen macht der Branche zu schaffen.
Alle waren sich an der Infra-Tagung einig: Die Regulierungsflut muss eingedämmt werden. Für das Bauen, diesen hochgradig arbeitsteiligen Prozess, seien Regeln unabdingbar, doch die Regulierungsdichte habe für manche «das Mass des Erträglichen längst überschritten», erklärte Urs Hany, Präsident von Infra Suisse. «Zudem werden wir Bauleute ständig und überall von verschiedensten Instanzen kontrolliert, auditiert und zertifiziert.»
Ins gleiche Horn stiess Toni Eder, Generalsekretär des eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Die vielen Gesetze, Regeln und Normen, die von Behörden, Verbänden und Unternehmen bestimmt werden, machten den Infrastrukturbauern zu schaffen.
Milliardenkosten für Wirtschaft
Sie gewährleisteten zwar Berechenbarkeit und Rechtssicherheit. In vielen Bereichen brauche es inzwischen aber hochspezialisiertes Wissen, um sich im Regel-Dschungel zurechtzufinden und nur schon Verfahrensfehler zu vermeiden.
Auch Pierre Broye machte sich dafür stark, Regeln zu vereinfachen, zu koordinieren und zu harmonisieren. Er ist Vorsitzender der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB), und Direktor des Bundesamts für Bauten und Logistik. Dichte und Vielfalt von Regelungen im Baubereich seien für Bauherren, Planer und Bauunternehmen ein Problem. «Es ist schwierig bis unmöglich, alle Gesetze, Verordnungen, Weisungen, Empfehlungen, Richtlinien, Normen und Standards im Baubereich angemessen zu berücksichtigen», erklärte Broye.
Infra-Suisse-Geschäftsführer Matthias Forster forderte an der Tagung im Kultur- und Kongresszentrum Luzern eine Regulierungsbremse nach dem Beispiel der Schuldenbremse in der Finanzpolitik. Die Überreglementierung schade den Schweizer Unternehmen. Laut einem Bericht des Bundesrats koste sie die Wirtschaft jährlich 10 Milliarden Franken. Der Schweizerische Gewerbeverband sei sogar auf 50 Milliarden Franken gekommen. «Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen», meinte Forster.
Die Wirtschaftsverbände und alle bürgerlichen Parteien haben sich den Kampf gegen die Regulierungsflut und Bürokratisierung auf die Fahne geschrieben. Sie haben zusammen nicht wenig Einfluss auf die politischen Entscheide in der Schweiz. Doch die Forderung nach weniger Regulierung bleibt oft nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Das Bundesrecht
wächst jedes Jahr um mehrere tausend Seiten. Die Schweiz hat deshalb im internationalen Vergleich deutlich an Terrain verloren, was die Regulierungsdichte und Bürokratie anbelangt. Forster: «Das schmerzt – schliesslich geht es um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.»
«Der Teufel steckt im Vollzug»
Dabei ist das Bauen besonders stark reguliert. Dem Staat allein die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, wäre aber für den Infra-Suisse-Geschäftsführer falsch. Von den rund 400 000 Artikeln, die der Baubranche vorschreiben, wie gebaut werden muss, stammten 10 bis 20 Prozent von den eigenen Normenorganisationen. «Die Baubranche reguliert sich offenbar selber gerne.» Das zeigt sich auch beim Landesmantelvertrag. Während die meisten Branchen in ihren Gesamtarbeitsverträgen mit rund 50 Artikeln auskommen, benötigt das Bauhauptgewerbe dafür fast viermal mehr.
Auch Forster weiss: Normen und Regeln vermitteln das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, und die Gewissheit, nicht belangt zu werden, sollte es anders kommen als geplant. Solange man sich an eine Norm hält, wähnt man sich rechtlich auf sicherem Terrain. Und wer sich Gesetze und Regeln ausdenkt, verfolgt in den meisten Fällen eine gute Absicht. Man will einen Missstand beseitigen, Klarheit schaffen oder Missbrauch verhindern. «Gute Regeln zu schaffen, ist eine Kunst», sagte Forster. Nicht umsonst befassten sich Heerscharen von Fachleuten, Beamten, Juristen, Politikern und Vertretern von Interessengruppen mit einem Gesetz, bevor es in Kraft tritt.
Damit ist die Arbeit aber nicht getan. Vom Bundesgesetz über den Landesmantelvertrag oder die interkantonale Vereinbarung bis zum Beschaffungswesen: «Oft steckt der Teufel nicht im Detail, sondern im Vollzug», erklärte Forster.
Dies zeigte sich beispielsweise bei den neuen Vorschriften der SBB zu den Sicherheitsausbildungen von Baustellenpersonal. Sie wurden mit dem Ziel eingeführt, die Sicherheit des Personals auf den Baustellen zu verbessern. Stattdessen haben sie laut dem Infra-Suisse-Geschäftsführer viel Unsicherheit verursacht. In Kraft gesetzt wurden die neuen Regeln am 1. Januar 2016. Diejenigen, die sie innerhalb wie ausserhalb der SBB umzusetzen haben, wurden nach Angaben von Forster nicht um ihre Einschätzung gefragt. Entsprechend schwierig gestalte sich jetzt der Vollzug. Für die Bauunternehmer hätten sich die Vorschriften zu einem ernsthaften Problem entwickelt. Sie befürchteten, aus bürokratischen Gründen nicht mehr für Arbeiten im Gleisbereich zugelassen zu werden. Die Spitze von SBB Infrastruktur habe Infra Suisse Verbesserungen in Aussicht gestellt. Man werde sich der Sorgen der Bauwirtschaft annehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen.
«Es gibt einen Grenznutzen der Regulierung», erklärte Forster. Beispiele, wie man mit Regulierung mehr Sicherheit erreichen will und dabei weit über das Ziel hinausschiesst, gebe es zuhauf. So sei es schier unmöglich geworden, die Menge an Dokumenten zu überblicken, die ein Bauunternehmen bei einer öffentlichen Ausschreibung beachten muss. Mit Sorge beobachtet Infra Suisse zudem, wie immer mehr Werkseigentümer von Bauunternehmen verlangen, ihr Personal in Kurse zu schicken. Dort sollen sich die Mitarbeiter für Arbeiten im Graben- und Werkleitungsbau qualifizieren.Diese Kurse werden gar bei öffentlichen Aufträgen als Eignungskriterien herangezogen.