10:43 KOMMUNAL

Revision des Vergaberechts: Nun ist das Parlament am Zug

Teaserbild-Quelle: EdwinSurbeck/Pixabay

Noch sind die Schweizer Vergaberegelungen nicht harmonisiert, das Gesetzgebungs­verfahren ist aber in vollem Gange. Eine komplexe Angelegenheit, zumal es um kantonales und nationales Recht geht und zugleich europäische Normen über die Landesgrenzen hinweg Einfluss ausüben.

Bundeshaus

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Hitzige Debatten im Bundeshaus? Die Entwürfe zum BÖB und IVÖB liegen vor, in der Winter- oder Frühjahrssession wird der Nationalrat erstmals darüber beraten.

Im Vergaberecht ist vieles im Fluss. Während auf dem Parkett Beschaffungsskandale für Aufregung sorgen, wird in den Logen an neuen Gesetzen gefeilt. Auf internationaler Ebene trat bereits im April 2014 das revidierte WTO-Übereinkommen über das öffentliche ­Beschaffungswesen in Kraft. Das multi­laterale Abkommen, im Fachjargon kurz GPA 2012 genannt, ersetzt das Marrakesch-Abkommen von 1994.

An Technologiesprung anknüpfen

Da auch auf Gemeinde- und Bezirksstufe je nach Art und Summe des Auftrags ­zwischen WTO-Ausschreibungen und Binnenvergaben unterschieden wird, drängt sich ein Blick ins GPA 2012 auf. Stand 1994 die Öffnung der Märkte und verstärkter Wettbewerb im Fokus, werden heute zusätzliche Schwerpunkte ­gelegt. So ist das GPA 2012 das erste WTO-Abkommen überhaupt, das ausdrückliche Regeln gegen Interessenkonflikte und korrupte Praktiken aufgestellt.

Das revidierte Übereinkommen knüpft an den Technologiesprung der letzten Jahre an und setzt etwa im Bereich der elektronischen Auktionen neue Standards und kürzere Vergabefristen. Auch umweltpolitische Ziele wurden neu im Staatsvertrag verankert. Weitere Neuerungen betreffen neben der Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs die Anforderungen an die Dokumentation der Ausschreibungen. Nicht zuletzt verbessert das revidierte GPA den Rechtsschutz für die Anbieter.

Revision auf allen Ebenen

Das GPA 2012 bildet den übergeordneten Rahmen für die Revision der nationalen Beschaffungsregelungen. Sowohl in den EU-Mitgliedstaaten als auch im Bund und den Kantonen stehen nun die Gesetze in Revision. Der Regulierungsbedarf auf sämtlichen Ebenen ist der Grund, warum Experten das Beschaffungsrecht mit einem mehrstöckigen ­Gebäude vergleichen. Die Schweiz wird das GPA 2012 ratifizieren, sobald das revidierte Bundesgesetz über die öffent­lichen Beschaffungen (BÖB) samt zugehöriger Verordnung in Kraft tritt. Die Kantone ihrerseits werden die völkerrechtlichen Vorgaben mit der Neufassung der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVÖB) umsetzen.

Schweizer Entwürfe liegen vor

Die Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz veröffentlichte den Entwurf der IVÖB vorab (siehe «Holprige Harmonisierung im Vergabewesen», Kommunalmagazin 6/2016). Der Bundesrat legte im Februar 2017 nach langen Vorarbeiten die Botschaft zur Totalrevision des Beschaffungsgesetzes vor.¹ Gleichzeitig kündigte er an, dass die Ausschreibungsunterlagen nach Abschluss des Verfahrens nunmehr unter Verschluss bleiben sollen.

Diese Neuerung sorgte für Trommelfeuer in den Medien, während der ­eigentliche Clou an der Sache nur am Rande auftauchte. Obgleich BÖB und IVÖB nicht für die gleichen Vergabestellen gelten, sollen die Verfahrensregeln nämlich harmonisiert werden, so dass landesweit möglichst einheitliche Standards entstehen. Dies bedeutete zum ­einen bessere Vergleichbarkeit der Praxis unter den Vergabestellen. Zum andern würde es Fortschritte für die Anbieter bringen.

Es ist ein Gewinn für die Rechtssicherheit, wenn nicht bei jeder Submission in einem andern Kanton zunächst Grundlagenarbeit geleistet werden muss. Um den grösstmöglichen Konsens zwischen Kantonen und Bund herbeizuführen, wurde eigens eine paritätische Arbeitsgruppe namens Aurora eingesetzt.

Opfer des Kantönligeists?

Mit den Entwürfen zum BÖB und zur IVÖB liegen die Karten auf dem Tisch. Nun sind die Parlamentarier am Zug. Der Nationalrat wird voraussichtlich noch in der Wintersession oder in der Frühjahrssession 2018 erstmals über die Vorlage beraten. Besonders im Ständerat werden die Kantonsvertreter darauf achten, dass der in der Gruppe Aurora erreichte Kompromiss nicht zum Nachteil lokaler Anbieter verwässert wird. Ein letztes Wort werden indes auch die Kantonsparlamente zu ihren eigenen Submissions- oder Beitrittsgesetzen haben, da die IVÖB noch ins jeweilige Kantonsrecht umgegossen werden muss. Es ist zu hoffen, dass die neue Übersicht nicht dem Kantönligeist zum Opfer fällt.

Wie schon die IVÖB, beeindruckt der BÖB-Entwurf durch seine Ausführlichkeit. So müssen sich die Vergabestellen des Bundes nunmehr mit über 64 Gesetzesartikeln auskennen. Im künftigen BÖB wird bis ins Detail geregelt, unter welchen Bedingungen der Zuschlag erteilt wird. Behörden und Expertenkreise gewinnen der hohen Normendichte durchaus auch Gutes ab. Einige Ansätze werden nun bereits auf Gesetzesstufe geklärt, etwa das Dialog-Verfahren für komplexe Aufträge und «innovative Leistungen», welches namentlich im IT-Bereich an Bedeutung gewonnen hat (siehe auch «Mit dem Zweihänder gegen den Freihänder», Kommunalmagazin 5/2016). Dabei wird explizit festgehalten, dass der Dialog nicht zum Zwecke der Preisverhandlung geführt werden darf.

Verzicht auf Abgebotsrunden

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Neu soll sowohl bei kantonalen Vergaben als auch im Bund generell auf sogenannte Abgebotsrunden, also Offertverhandlungen, verzichtet werden (Artikel 11 litera d des BÖB-Entwurfs). Dies bedeutet eine Abkehr von entsprechenden Signalen zu Beginn der Vernehmlassung. Verhandlungen sollen demnach landesweit nunmehr im freihändigen Verfahren und bei den neu eingeführten elektronischen Auktionen für standardisierte Güter möglich sein (Art. 21 und 23 E-BöB). Mit diesem Schritt tritt der Bundesrat Befürchtungen seitens der Wirtschaft entgegen, wonach es ohne Verhandlungsverbot zu einen starken Bieterkampf um öffentliche Aufträge komme.

EU: Einflussreiches Regelwerk

Während bei uns der Gesetzgebungs­betrieb erst in Gang kommt, ist das revidierte Vergaberecht in der EU bereits in trockenen Tüchern. Fast zeitgleich mit dem GPA 2012 sind die drei EU-Ver­gaberichtlinien erlassen worden. Die Richtlinien behandeln Vergaben im allgemeinen Bereich und in den Sektoren Energie- und Wasserversorgung, Post und öffentlicher Verkehr sowie die Verleihung von Konzessionen.² Anders als die EU regeln Bund und Kantone das Beschaffungswesen weiterhin je in einem einzigen Gesetz. Die Sektorenproblematik und die Konzessionsvergabe werden nur punktuell angesprochen.

Obwohl für die Schweiz nicht rechtsverbindlich, hat das EU-Vergaberecht Einfluss auf die Schweiz. Einerseits fliessen die revidierten EU-Richtlinien über das bilaterale Beschaffungsabkommen in die Schweizer Praxis ein. Andererseits zeigt sich die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts in der Botschaft zur Revision des BÖB. Darin wird an einigen Stellen ­direkter Bezug auf EU-Regelungen genommen. So lehnen sich etwa die Vorschriften zum vergaberechtlichen Dialog an die EU-Terminologie an. Auch hier entstehen demnach grenzüberschreitende Parallelen, die sich auch auf kommunale Vergaben auswirken können. Dies ist ganz im Sinne der WTO, die ja den grenzüberschreitenden Handel fördern will.

Fussnoten:
¹ Bundesblatt, Botschaft BBl. 2017 1851, Gesetzesentwurf BBl. 2017 2005.
² Vergabekoordinierungsrichtlinie RL 2014/24; ­Sektorenrichtlinie RL 2014/25 und Konzessionsvergaberichtlinie RL 2014/23.

Weiterführende Informationen

Zum Stand der kantonalen Regeln (IVÖB): Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz (BPUK), Stichworte «Konkordate» und «IVÖB»: www.bpuk.ch/bpuk/konkordate/ivoeb

Zum Bundesrecht: Dokumente wie der Vorentwurf sind abrufbar bei der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB), Stichwort «Revision des Beschaffungsrechts». Auf dieser Webseite ist auch eine Vergleichsversion zwischen den ­eiden Entwürfen BÖB und IVÖB aufgeschaltet: www.bkb.admin.ch/bkb/de/home/oeffentliches-beschaffungswesen/revision-des-beschaffungsrechts

Zum Gesetzgebungsverfahren: Aktuelle Informationen zum Gesetzgebungsverfahren publiziert das Eidgenössische Finanzdepartement: www.efd.admin.ch

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