Revidiertes Beschaffungsrecht schliesst die Öffentlichkeit aus
Die Revision des Schweizer Beschaffungsrechts schreitet voran. Nun hat der Bundesrat seinen Entwurf des totalrevidierten Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BÖB) präsentiert. Dabei verpasst er der Öffentlichkeit und den Medien eine deutliche Abfuhr. In einer überraschenden Neuerung will er die Beschaffungsunterlagen der Geheimhaltung unterstellen.
Seit das revidierte WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) im Jahr 2014 in Kraft getreten ist, besteht für das Schweizer Beschaffungsrecht Reformbedarf. Nun hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 15. Februar 2017 die Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BÖB) sowie die Botschaft zum revidierten WTO-Übereinkommen verabschiedet. Mit der Totalrevision wird das für die Schweiz verpflichtende WTO-Abkommen nun auf Bundesebene umgesetzt.
Neben der Anpassung an die staatsvertraglichen Vorgaben ist das Hauptziel der Totalrevision, die zum Teil heterogenen Beschaffungserlasse von Bund und Kantonen – unter Beibehaltung der föderalen Kompetenzaufteilung – so weit wie möglich zu harmonisieren. Dies entspricht einem langjährigen Anliegen der Wirtschaft, da die heutige Rechtslage zu Rechtsunsicherheiten und kostspieligen Verfahren geführt hat.
Seit 2012 haben der Bund und die Kantone in einer paritätisch zusammengesetzten Arbeitsgruppe die inhaltlich harmonisierten Revisionstexte für das BÖB und die neue interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVÖB) vorbereitet. Nach dem Vernehmlassungsverfahren zieht der Bundesrat eine positive Bilanz: Die allgemeine Stossrichtung der Revision des BÖB finde eine breite Akzeptanz, schreibt er in seiner Mitteilung.
Neuerungen der Revision
Zu den wichtigsten inhaltlichen Neuerungen der Totalrevision gehört, dass die Verleihung gewisser Konzessionen und die Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben dem Beschaffungsrecht unterstellt werden. Als Beispiele nennt der Bundesrat in der Botschaft den Nationalstrassenunterhalt, die Kontrolle von Stromanlagen oder die Erhebung der Empfangsgebühren. Zudem sollen die Beschaffungsverfahren künftig elektronisch abgewickelt werden können.
Korruptionsbekämpfung und Mindeststandards
Das öffentliche Beschaffungswesen ist ein potenziell korruptionsanfälliges Gebiet. Die EU-Kommission schätzt den Schaden durch Korruption allein in der EU auf 120 Milliarden Euro pro Jahr. Im revidierten WTO-Übereinkommen waren daher Verbesserungen im Bereich der Korruptions- und Kollusionsbekämpfung notwendig. Im Sinne dieser Bestrebungen sieht das totalrevidierte BÖB neu vor, dass eine zentrale Liste über Anbieter, die von Beschaffungsvorhaben ausgeschlossen sind, geführt wird. Bund und Kantone sollen die dazu erhobenen Daten austauschen.
Zudem soll der Rechtsschutz leicht ausgebaut und die Ausstandsregeln sollen angepasst werden. Schliesslich enthält der Entwurf auch Vorgaben bezüglich Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsbedingungen und Lohngleichheit. Ausländische Anbieter müssen die am Leistungsort geltenden Bestimmungen respektieren. Inländische Firmen müssen mindestens jene an ihrem Sitz berücksichtigen. Für Leistungen im Ausland gelten die Mindeststandards der internationalen Arbeitsorganisation.
Unterlagen für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich
Für die Öffentlichkeit dürfte aber eine andere Neuregelung von grösserem Interesse sein. Der Bundesrat will gegenüber dem Öffentlichkeitsgesetz eine Sonderordnung einführen: Unterlagen im Zusammenhang mit Beschaffungen des Bundes, die nicht ohnehin der Transparenz unterliegen – etwa die Ausschreibung selber oder der Zuschlag –, sollen nach Abschluss des Verfahrens der Anwendung des Öffentlichkeitsgesetz entzogen, also nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Vorbehalten bliebe einzig noch eine Auskunftspflicht gegenüber Behörden.
Das heutige Zugangsrecht der Bevölkerung und der Medien würde damit wegfallen, bedauert Adrian Lobsiger, der eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB). Er spricht sich gegen diese Regelung aus: Das deklarierte Transparenzziel des revidierten BÖB würde durch diese Aushöhlung des Öffentlichkeitsgesetzes ins Gegenteil verkehrt, teilt Lobsiger mit. Die Veröffentlichung der Vergaben auf der Beschaffungsplattform simap.ch verschaffe der Öffentlichkeit keinen Zugang zu Beschaffungsunterlagen. Der nach dem Willen des Bundesrates abzuschaffende Zugang der Bevölkerung und der Medien habe in der Vergangenheit zur Aufdeckung von schwerwiegenden, die Steuerpflichtigen teuer zu stehen kommenden Beschaffungspannen beigetragen, in deren Folge wichtige Lehren hätten gezogen werden können, so Lobsiger weiter. Gerade im besonders sensiblen Bereich des Beschaffungswesens sei es unumgänglich, die uneingeschränkte Geltung des Öffentlichkeitsgesetzes beizubehalten.
Soweit Beschaffungsunterlagen Geschäftsgeheimnisse oder Preiskalkulationen enthalten, werde deren Vertraulichkeit ohnehin vom Öffentlichkeitsgesetz explizit und umfassend geschützt. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Sonderregelung erweise sich als schwer nachvollziehbar, betont Lobsiger, zumal auch im Vernehmlassungsverfahren von keiner Seite entsprechende Anliegen geäussert worden seien.
Harmonisierung der Bestimmungen?
Die für die Gemeinden massgebenden Beschaffungsregeln – die Bestimmungen der IVÖB – wurden ebenfalls überarbeitet. Der Entwurf der IVÖB sieht allerdings keine Geheimhaltungspflicht vor, wie sie der Bundesrat im Revisionsentwurf des BÖB festgehalten hat. Die Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz (BPUK) teilte bereits im September 2016 mit, dass sie die revidierte IVÖB möglichst unmittelbar nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen zum totalrevidierten BÖB zu beschliessen plane.
Wie die Geheimhaltungsregelung des Bundesrats im Parlament ankommt und was sie im Hinblick auf das Harmonisierungsvorhaben bedeutet, ist derzeit aber noch offen.
WTO-Übereinkommen ratifizieren
Mit der Totalrevision des BÖB soll das 2012 revidierte WTO-Beschaffungsübereinkommen (GPA) in die nationale Gesetzgebung überführt werden und dadurch den Marktzugang von Schweizer Unternehmen in den GPA-Mitgliedstaaten verbessern. Das WTO-Abkommen ersetzt das ursprüngliche Abkommen von 1994. Es wurde am 30. März 2012 angenommen und von der Schweiz unter Vorbehalt der Genehmigung durch das Parlament unterzeichnet. Am 6. April 2014 ist es in Kraft getreten. Der Bundesrat beantragt dem Parlament nun, dieses zu genehmigen.
Ratifizieren will er die Änderungen erst, wenn die geänderten schweizerischen Rechtsgrundlagen genehmigt worden sind, das heisst wenn das revidierte BÖB durch die eidgenössischen Räte sowie die Musterbotschaft zur Revision der IVÖB durch das interkantonale Organ für das öffentliche Beschaffungswesen verabschiedet wurden.
Das öffentliche Beschaffungsrecht regelt ein bedeutendes Segment der Schweizer Volkswirtschaft. Allein die zentrale Bundesverwaltung beschaffte im Jahr 2015 Bauleistungen, Waren und Dienstleistungen im Wert von 5,65 Milliarden Franken. Das revidierte WTO-Übereinkommen erweitert das Marktzugangspotential voraussichtlich um rund 80 bis 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. (nsi/mgt/sda)