Leitfaden zur Raumplanung: In sieben Schritten zur Innenentwicklung
Städte und Dörfer sollen nach innen wachsen. Diese gesetzliche Vorgabe stellt kleinere Gemeinden ohne eigene Raumplaner vor grosse Herausforderungen. Um ihnen den Start zu erleichtern, hat das Institut für Raumentwicklung an der Ostschweizer Fachhochschule einen einfachen Leitfaden erstellt.
Quelle: Jérémie Poux, Espace Suisse
Bauliche Verdichtung im Ortszentrum von Balsthal SO.
Höchstens 200 bis 300 Stunden Facharbeit beziehungsweise Kosten
von weniger als 50 000 Franken: Dieser vergleichsweise bescheidene Aufwand
sollte reichen, um eine Innenentwicklungsstrategie für das gesamte Gebiet einer
kleinen oder mittleren Schweizer Gemeinde auszuarbeiten. Das verspricht das
Institut für Raumentwicklung (Irap) an der Ostschweizer Fachhochschule (OST).
Das Institut hat eine einfache Schritt-für-Schritt-Anleitung erstellt, die auf
der Irap-Webseite kostenlos heruntergeladen werden kann. Sie soll vor allem den
kleineren Gemeinden helfen, rasch eine Strategie für die Innenentwicklung zu
erarbeiten.
95 Prozent der Schweizer Gemeinden zählen weniger als 10 000
Einwohnerinnen und Einwohner. Meistens bedeutet das: Die Gemeinde beschäftigt
keine eigene Fachperson für Raumplanung und ist auf Unterstützung durch externe
Planungsbüros angewiesen. Die Folge: Viele Gemeinden haben sich «noch keinerlei
Gedanken darüber gemacht, wo und wie sie eine qualitätsvolle
Siedlungsverdichtung wollen», wie Irap-Professor Andreas Schneider erklärt.
Wachstum im Innern verlangt
Die Siedlungsentwicklung nach innen ist kein neues Thema,
aber seit der Revision des Raumplanungsgesetzes 2014 befinden sich die
Gemeinden im Zugzwang. Denn seither gilt faktisch ein Einzonungsmoratorium.
Statt auf der grünen Wiese sollen die Siedlungen in ihrem Innern, in den
bestehenden Bauzonen wachsen. Die Ausscheidung neuer Bauzonen wird zur Ausnahme
werden. Dies stellt die Gemeinden vor viele Fragen: Wie viel Wachstum an
Einwohnern und Beschäftigten haben sie zu erwarten? Wo ist Verdichtung am
sinnvollsten? Wie können konkrete Projekte gestartet werden?
Die meisten Kantone verlangen von den Gemeinden, im Zuge
ihrer Ortsplanungsrevision eine Innenentwicklungsstrategie auszuarbeiten. Mit dem
Leitfaden des Irap können die Gemeinden in sieben Schritten ihre Strategie für
eine Innenentwicklung auf die Beine stellen. Das Irap verfolgte nach eigenen
Angaben das Ziel, einerseits die Bestellerkompetenz von Gemeinden ohne eigene
Raumplanungsfachleute zu verbessern und andererseits Planungsbüros eine Art
Schablone für eine kosteneffiziente Strategieentwicklung zur Verfügung zu
stellen.
Quelle: Annemarie Straumann, Espace Suisse
In Entlebuch LU wird das Gebiet um den ehemaligen Marktplatz Schritt für Schritt erneuert.
Auf knapp 40 Seiten finden sich Informationen sowohl für
Gemeinden als auch für Planungsbüros. Die Methodenanleitung enthält viel
praktisches Erfahrungswissen, gibt Tipps und weist auf Stolpersteine hin. Für
jeden der sieben Schritte schätzt das Autorenteam den zeitlichen Aufwand und
die voraussichtlich anfallenden Kosten ab. In den letzten Jahren sei die
Anleitung in verschiedenen Bachelor-, Master- und
Weiterbildungs-Projektarbeiten getestet und verfeinert worden, erklärt das
Irap. Nicht erfasst werden konnten dabei die Mitwirkung und politische
Diskussion und der damit verbundene Aufwand, der stark schwanken kann.
Breite Mitwirkung
Als ersten Arbeitsschritt empfiehlt das Irap, den
Mitwirkungsprozess zu planen. Jede Innenentwicklungsstrategie sei nur so gut,
wie sie von den politischen Behörden, Grundeigentümern und den Stimmberechtigten
verstanden und mitgetragen wird. Wie die Mitwirkung angelegt werden sollte,
hänge sehr stark von der politischen Kultur der Gemeinde und dem Vertrauenskapital
der Gemeindeexekutive in Planungsfragen ab.
Je grössere Zweifel es gebe, desto früher und breiter sollten
die wesentlichen Anspruchsgruppen einbezogen werden. Das Mitwirkungsverfahren
sollte aber auch auf die Immobilieneigentümer abgestimmt werden. Professionelle
Immobilienbesitzer denken und handeln ganz anders als Eigentümer von
Einfamilien- oder kleineren Mehrfamilienhäusern in potenziellen
Verdichtungsgebieten.
Danach gilt es, eine realistische Prognose zur Entwicklung
der Einwohner- und Beschäftigtenzahlen in den nächsten 25 bis 30 Jahren zu erstellen.
Ohne realistische Wachstumsprognose sind gemäss dem Irap keine plausiblen
Innenentwicklungsstrategien möglich, denn es gehe letztlich darum, die entsprechende
Raumnachfrage in der Gemeinde zu decken. Dafür seien alle vorhandenen Prognosen
beizuziehen und kritisch zu würdigen. Die Bevölkerungsszenarien des Bundesamts
für Statistik steckten dabei den grossen Rahmen ab.
Zweifel an Richtplanprognosen
Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes wurden alle
Kantone verpflichtet, in ihrem kantonalen Richtplan für die
Bauzonendimensionierung das angenommene Einwohner- und Beschäftigungswachstum und
dessen regionale Verteilung festzulegen. Dabei durften sie sich ohne eingehende
Begründung höchstens auf das hohe Szenario des Bundesamts für Statistik
stützen. Blindes Vertrauen in die fachliche Richtigkeit des kantonalen
Richtplans sei aber «nicht angebracht», erklärt das Irap. Es sei sinnvoll, den
Prüfbericht des Bundesamts für Raumentwicklung zu lesen, um die Qualität der
Richtplanprognose einschätzen zu können. Der Bund habe zwar inzwischen fast alle
Richtpläne der Kantone genehmigt, doch er habe zum Teil «erhebliche» Vorbehalte
angebracht und Nachbesserungen verlangt.
Quelle: Dina Immobilien AG
In Hergiswil NW werden neun alte Liegenschaften im Zentrum durch eine neue Wohn- und Geschäftsüberbauung ersetzt.
Im nächsten Schritt geht es darum, das quantitative
Potenzial verschiedener Teile des Baugebiets für unterschiedliche
Verdichtungsarten abzuschätzen und ihre Eignung für eine qualitätsvolle
Siedlungsverdichtung herauszuschälen. Dabei werden in jedem Quartier oder
Strassengeviert die Soll-Dichten mit dem Bestand und den wesentlichen Einschränkungen
verglichen. Am Ende soll in einer Übersichtsdarstellung für jeden Ortsteil eine
Aussage über das theoretische Potenzial und die Eignung für eine Verdichtung
sowie über den Realisierungszeitpunkt gemacht werden können. Die so ausgewiesenen
Verdichtungspotenziale sollten insgesamt mindestens 200 Prozent der zu
erwartenden Entwicklung entsprechen.
Feld des planerisch Möglichen
Darauf sollen für die Diskussion mit Politik und Bevölkerung
drei bis vier grundverschiedene, aber fachlich denkbare und der Raumnachfrage
entsprechende Innenentwicklungsszenarien entworfen werden. Aus dem so
abgesteckten Feld der planerischen Möglichkeiten wird dann das politisch
wünschbare Best-Szenario ausgewählt. Diese Weichenstellung zur künftigen
Gemeindeentwicklung ist laut dem Irap eine «eminent politische Frage», die
nicht auf Empfehlung des Planers schnell mal in einer halben Stunde durch den
Gemeinderat gefällt werden könne
Die politische Machbarkeit, die Akzeptanz in der Bevölkerung
und die Interessen der Immobilieneigentümer spielten eine mindestens so
wichtige Rolle wie die fachliche Richtigkeit. Deshalb wird empfohlen, das
Best-Szenario in Workshops und anderen Diskussionsrunden auf seine Vor- und
Nachteile hin zu überprüfen und so breit wie möglich abzustützen, bevor der
Gemeinderat und die Gemeindeversammlung oder das Gemeindeparlament den
politischen Entscheid treffen. Beim so ausgehandelten Ergebnis dürfte es sich oft
um eine Kombination aus Elementen mehrerer Szenarien handeln.
Massnahmenplan für Umsetzung
Nach diesen Diskussionen wird die Innenentwicklungsstrategie
mit Situations- und Phasenplan, Tabellen und Text fertiggestellt. Je nachdem
sind noch verschiedene Überprüfungen und Detailbereinigungen notwendig. Im
letzten Schritt wird ein Massnahmenplan für die Umsetzung der in den nächsten
fünf bis zehn Jahren notwendigen Teilprojekte erarbeitet und auf die Ressourcen
der Gemeinde abgestimmt. Dabei ist einerseits an planerische und organisatorische
Massnahmen in der ganzen Gemeinde und andererseits an Vorgehenspläne für die
ausgewählten Verdichtungsgebiete zu denken.
Die Herausforderung bestand gemäss dem
Irap darin, ein systematisches und zugleich schlankes, auf die wesentlichsten
Punkte beschränktes Vorgehen zu entwickeln, mit dem für jede kleinere Schweizer
Gemeinde mit vernünftigem Aufwand eine Innenentwicklungsstrategie erarbeitet
werden kann. Angelehnt an das Pareto-Prinzip, sollten dabei nicht mehr als 20
Prozent der zur Verfügung stehenden Ressourcen für die
Innenentwicklungsstrategie eingesetzt werden. 80 Prozent könnten damit für die
konkrete Realisierung von Umsetzungsprojekten verwendet werden.
Isos und hochwertige Verdichtung sind vereinbar
Das Isos, das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder
der Schweiz von nationaler Bedeutung, unterstützt bei richtiger Anwendung eine
hochwertige Verdichtung. Das zeigt der vom Bund veröffentlichte Bericht
«Schweizer Ortsbilder erhalten – Empfehlungen zum Umgang mit schützenswerten
Ortsbildern bei der Siedlungsentwicklung nach innen».
Das Isos hat in den letzten Jahren mit der Innenentwicklung
und Verdichtung stark an Bedeutung gewonnen. Im Auftrag des Bundesrats haben
das Bundesamt für Kultur und das Bundesamt für Raumentwicklung Empfehlungen zum
Umgang mit dem Isos bei Planungen erarbeitet. Dabei wurden sie von einer breit
zusammengesetzten Arbeitsgruppe unterstützt. Als Grundlage diente eine
Untersuchung in den sechs Städten und Gemeinden Aarau, Bussy, Delémont,
Romanshorn, Scharans und Yverdon-les-Bains. Im Mittelpunkt stand die Frage nach
der Vereinbarkeit des Ortsbildschutzes mit dem Auftrag der Innenentwicklung.
Wie die Analyse von Praxisbeispielen zeigte, können
lückenhafte planerische Verfahren, Fehler bei der Anwendung des Inventars und unsachgemässe
Interessenabwägungen zu Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung und Akzeptanz
des Isos führen. Richtig angewendet, stelle das Isos eine Chance für eine
qualitativ hochwertige Verdichtung dar und leiste damit einen wichtigen Beitrag
zu einer hohen Baukultur in der Schweiz, heisst es in einer Medienmitteilung
des Bundesamts für Kultur.
Kantone, Städte und Gemeinden, die das Bundesinventar bei
ihrer Interessenabwägung berücksichtigen müssen, stehen vor der
Herausforderung, die Verdichtung voranzutreiben und gleichzeitig eine
qualitätsvolle Entwicklung zu gewährleisten. Für Städte und Gemeinden empfiehlt
es sich beispielsweise, frühzeitig eine räumliche Gesamtschau wie etwa einen
kommunalen Richtplan zu erarbeiten. Darin soll abgebildet werden, wo in der
Gemeinde eine Entwicklung durch Verdichtung sinnvoll ist und welche Gebiete in
ihrem Charakter mehrheitlich erhalten bleiben sollen.
Die Kantone sollen gemäss den Empfehlungen den Stellenwert
und die Bedeutung des Bundesinventars allen Beteiligten besser erklären: Das
Isos sei keine absolute Schutzvorgabe, sondern ein Fachinventar und stelle eine
von vielen Grundlagen zur Interessenabwägung dar. Der Bund wurde unter anderem
beauftragt, das bestehende Beratungsangebot für die Kantone sowie für die
Städte und Gemeinden zu erweitern. (stg)