Natur mit Gütesiegel
Die Natur hat es in der dicht bebauten Schweiz nicht leicht, sich ungestört zu entfalten. Mit dem revidierten Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) will der Bund Fauna und Flora fördern: Vorgesehen ist darin die Schaffung von neuen Naturpärken von nationaler Bedeutung. Der Staat subventioniert solche «Naturoasen» mit 7,5 Millionen, ab 2012 mit 10 Millionen Franken pro Jahr. Derzeit sind beim Bundesamt für Umwelt acht Gesuche für das Label «Regionaler Naturpark» hängig (siehe Karte Seite 11). Die Gesuchsteller erfahren im Herbst, ob sie mit finanzieller Unterstützung rechnen können.
Unumstritten ist kaum ein Naturparkprojekt in der Schweiz. Einige Vorhaben scheitern schon bei der Planung am Widerstand der Bevölkerung. So ist Mitte Mai die Machbarkeitsstudie für einen Park auf dem thurgauischen Seerücken erschienen. Sie bescheinigt der Gegend zwischen Untersee und Thur grosses Potenzial: Die Landschaft ist intakt, die Dorfkerne sind gut erhalten und es gibt eine ganze Reihe sehenswerter Kulturdenkmäler. Ebenso ergab die Studie, dass regionales Gewerbe, Tourismus und Landwirtschaft vom Naturpark-Label profitieren würden. Trotz dieser guten Voraussetzung ist das Projekt im ersten Anlauf gescheitert. Zu gross die Vorbehalte der Bevölkerung, zu gering das Engagement der 22 Gemeinden, über deren Areal sich der Park erstreckt hätte.
Keine unberührte Natur
Der Seerücken ist nicht das erste derartige Projekt, dem die betroffene Bevölkerung die Unterstützung versagt. Im Herbst 2010 scheiterte ein Vorhaben um den Uri-Rotstock an der Urne: Die meisten betroffenen Gemeinden in Nidwalden und Uri lehnten den Naturpark Urschweiz deutlich ab – obwohl der Bund dem Vorhaben bereits finanzielle Unterstützung zugesichert hatte. Damit machte das Stimmvolk vier Jahre Vorbereitungsarbeit zunichte. Rund 425 000 Franken hatten die Projektpartner bis dahin aufgewendet.
Auf der Kippe steht nach wie vor auch der regionale Naturpark Thunersee-Hohgant im Kanton Bern – obwohl er sich bereits um das Parklabel beworben hat. Vor gut einem Jahr entschieden sich die Gemeindeversammlungen von Sigriswil und Habkern gegen das Vorhaben. In der Folge stiegen drei weitere der ursprünglich 16 beteiligten Gemeinden aus, wobei zwei von ihnen keine Wahl hatten: Durch die Negativentscheide ihrer Nachbarn wurden sie vom Parkperimeter abgeschnitten. Damit schrumpfte das Gebiet von ursprünglich 330 auf 185 Quadratkilometer zusammen.
Ob Thurgau, Innerschweiz oder Bern: Der heftigste Widerstand gegen die Naturpärke kommt in allen drei Fällen von Seiten der Bauern. Viele von ihnen befürchten, dass sie in ihrer Arbeit durch strengere Vorschriften eingeschränkt würden. Genährt wird diese Angst von der Verordnung über die Pärke von nationaler Bedeutung (PäV). Diese hält fest, dass «bei neuen Bauten, Anlagen und Nutzungen der Charakter des Landschafts- und Ortsbildes zu wahren und zu stärken» ist. Zudem seien «bestehende Beeinträchtigungen des Landschafts- und Ortsbildes durch Bauten, Anlagen und Nutzungen bei sich bietender Gelegenheit zu vermindern oder zu beheben».
Doch ist die Bewahrung intakter Landschaften nicht das einzige Ziel, das mit einem Naturpark verbunden ist. Neben dem Natur- und Landschaftsschutz soll das Naturpark-Label auch der Förderung einer «nachhaltigen» Wirtschaft sowie
eines sanften Tourismus in Randregionen dienen (vgl. Kasten Seite 11). Deshalb sind im PäV auch keine Vorschriften, sondern lediglich stategische Ziele formuliert. Auf welche Weise sie erreicht werden sollen, definiert jeder Naturpark in einer sogenannten Charta selber.
Viel Überzeugungsarbeit nötig
«Das Naturpark-Label führt zu keinen neuen Restriktionen», versichert Stefan Müller. Er ist Programmleiter im Naturpark Thal, einem von drei regionalen Naturpärken, die bereits in Betrieb sind. «Wir betreiben Naturschutz, aber wir fördern mit dem Park-Label auch Wohnförderung, Tourismus und regionale Produkte.» Der Erhalt von Landschaft und Natur sei zwar ein wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil des Parkkonzepts. Kein Landwirt werde zu etwas gezwungen, hält Müller fest. Jeder könne selber entscheiden, ob er sich an einem Umweltprojekt beteiligen wolle. «Zu Beginn waren die Bauern auch bei uns sehr kritisch, und es gibt auch heute noch kritische oder zumindest sehr zurückhaltende Landwirte.» Gleichwohl habe die Akzeptanz langsam zugenommen, seit die Region Thal, die aus neun politischen Gemeinden besteht, im Herbst 2009 das Naturpark-Label erhalten hat.
Ein Grund dürfte sein, dass die ersten positiven Effekte sichtbar werden. So könnten mittlerweile vier verarbeitende Betriebe dank des Labels einen Grossverteiler mit ihren Waren beliefern. Um Bevölkerung und Behörden für die Realisierung eines Naturparks zu gewinnen, war aber auch in der Region Thal viel Überzeugungsarbeit nötig. Dass es gelungen ist, hat für Stefan Müller mehrere Gründe: «Die Region ist in sich abgeschlossen und hat eine eigene Identität.» Zudem sei das Naturparkprojekt aus dem seit 1969 bestehenden Verein Region Thal hervorgegangen und konnte dadurch auf einen bestehende, enge Zusammenarbeit der Gemeinden aufbauen. «Das war ein Riesenvorteil.» Zudem sei der Leidensdruck in der Region Thal aufgrund der wirtschaftlichen Situation und dem Strukturwandel sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie wohl grösser als in anderen Teilen der Schweiz: «Unserer Region hat der Naturpark neue Perspektiven eröffnet», so Müller.
Dass die Realisierung eines solchen Projekts aufwändig ist und – wie auf dem Seerücken – auch scheitern kann, hat Gründe. «Der Aufbau eines Naturparks ist ein Bottom-up-Prozess», sagt Roland Schuler, Mediensprecher von Pro Natura. «Dadurch dauert die Umsetzung zwar länger, dafür ist aber auch das Resultat oft besser.»
Parks seien zudem hie und da umstritten, weil die Ziele ungleich gewichtet würden, die sie erfüllen sollen. «Für den Projekterfolg ist entscheidend, welche Vorstellungen Gemeindebehörden und Bevölkerung mit dem Begriff Naturpark verbinden», glaubt Schuler. «Für die einen steht wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund. Andere denken vor allem an Naturschutz. Ein Naturpark braucht aber beides, um sinnvoll und realisierbar zu sein.» Für Schuler ist jedoch klar: «Wo Natur draufsteht, muss auch Natur drin sein.» Diene das Label nur als Feigenblatt für das Standortmarketing, würden die Besucher bald ausbleiben. Ein Vorhaben müsse deshalb beide Ziele gleichermassen berücksichtigen, um Rückhalt in der Bevölkerung zu haben und einen positiven Effekt für Region und Tier- und Pflanzenwelt zu bewirken.
Nicht überall sinnvoll
Als Vermarktungsinstrument eignet sich das Label Naturpark allerdings nicht für jede Region gleich gut. Das liegt quasi in der Natur des Labels, wie Robert Gubler, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Standortmanagement erklärt: «Das Label transportiert Bilder von intakter Umwelt und Lebensqualität. Damit wird die besonders naturnahe Situation eines Gebietes hervorgehoben.»
Eine Region wie der Seerücken könne vom Label kaum profitieren, weil sie das Image einer intakten, einmaligen Naturlandschaft bereits habe. «Seerücken und Parklandschaft sind schon fast Synonyme», führt Gubler aus. Deshalb sei das Label für dieses Gebiet gar kontraproduktiv, da es das Besondere der Gegend nivellieren würde: «Der Seerücken verfügt landschaftlich über einen grossen Trumpf. Das Label würde ihn zu einer Region unter Gleichen machen, obwohl er gerade anders und besonders ist.»
Nach Ansicht von Stefan Müller ist für das Gelingen vor allem entscheidend, wie gut der Zusammenhalt einer Region ist, die einen Naturpark ins Auge fasst: «Wenn die regionale Identität fehlt, hat ein solches Projekt wenig Chancen.» Zudem sei das Label vor allem für Randregionen interessant. Würde ein Raum intensiv genutzt, sei es landwirtschaftlich oder touristisch, gebe es andere Vermarktungsmöglichkeiten als das Naturpark-Label.