Medienkrise bedroht die Demokratie
Eine neue Studie weist nach: Je weniger die Medien über lokale Politik berichten, desto tiefer ist die Wahlbeteiligung in den Gemeinden. Gleichzeitig nimmt die Zahl der eigenständigen Regional- und Lokalzeitungen laufend ab. Diese Entwicklungen sind gefährlich für die Demokratie auf lokaler Ebene. Immer mehr Gemeinden werden daher selber zu Verlegern – was der Presse noch mehr schadet.
Quelle: Patrick Aeschlimann
Den Lokal- und Regionalzeitungen geht es schlecht. Darum verlegen immer mehr Gemeinden ihre eigene Zeitung, etwa Luzern mit dem Stadtmagazin.
Stehen eidgenössische Wahlen an, sind die Parteien und ihre Kandidaten in den grossen Medien omnipräsent. Die Gesichter und Positionen der amtierenden National- und Ständeräte sind dem Wähler ohnehin bekannt aus Fernsehdebatten und -nachrichten, Artikel in Print- und Onlinemedien sowie Abstimmungskämpfen zu den grossen nationalen Themen. Vielversprechende Neukandidaten werden von den Parteien ebenso ins Rampenlicht gezogen.
Muss der Stimmbürger aber eine lokale Behörde besetzen, stellt sich schnell und oft Ratlosigkeit ein. Wer steht überhaupt zur Wahl? Für welche Positionen stehen die Kandidaten? Nicht selten fällt auf kommunaler Ebene auch die Parteizugehörigkeit als Entscheidungshilfe weg, da der Anteil parteiloser Gemeinderäte seit Jahren steigt. Es erstaunt daher nicht, dass die Wahlbeteiligung bei Gemeindewahlen seit den 70er-Jahren kontinuierlich sinkt. Im Kanton Zürich beispielsweise von rund 70 auf 37 Prozent.
Neues Phänomen: Medienkrise
Die Politikwissenschaft hat zur Erklärung des Phänomens der sinkenden kommunalen Wahlbeteiligung bereits einige Erkenntnisse gewonnen. Weil die Menschen in einer globalisierten und mobilen Welt leben, nimmt die Bindung zum Wohnort und damit auch das Interesse an der Kommunalpolitik ab. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich ohnehin eine tiefe Wahlbeteiligung, da die direktdemokratischen Instrumente Initiative und Referendum es dem Bürger ermöglichen, unliebsame Entscheide von Regierungen und Parlamenten später an der Urne zu korrigieren.
Auf kommunaler Ebene finden zudem häufig Gemeindeversammlungen statt, an denen die Bürger ganz direkt und unmittelbar entscheiden können. Weiter weiss man aus der Forschung: Je kleiner eine Gemeinde, je höher ihr Steuereinkommen und je höher der Anteil der älteren Bevölkerung, desto höher die Wahlbeteiligung.
In den letzten zehn Jahren ist ein Phänomen hinzugekommen, das ebenfalls einen Einfluss auf das Interesse an Kommunalwahlen haben könnte: Im Zuge der Digitalisierung und der damit einhergehende Medienkrise hat sich die Landschaft der Lokal- und Regionalzeitungen stark verändert. Wegen einbrechender Werbe- und Aboeinnahmen ist es zu einem bis heute andauernden Konzentrationsprozess gekommen. Mit gravierenden Folgen: Immer weniger Journalisten müssen immer mehr «Content» für ein grösseres Einzugsgebiet produzieren.
Früher waren auf den Lokalredaktionen häufig langjährige, im Ort verankerte Redaktoren tätig, die ihre Dossiers über eine lange Zeit betreuten. Sie wussten manchmal sogar besser Bescheid als die Exekutivpolitiker. Ihnen flogen Geschichten und Informationen beim Einkaufen im Dorfladen oder in der Stammbeiz quasi von selbst zu. Die Gemeinderäte kannte man aus den Vereinen und sie waren auch zu Unzeiten für dringende Auskünfte erreichbar.
Diese Zeiten sind vorbei: Heute haben viele Lokalredaktoren keinen grossen Bezug mehr zum Arbeitsgebiet. Auf den Redaktionen ist die Fluktuationsrate hoch und manch Exekutivpolitiker versteckt sich lieber hinter Kommunikationsverantwortlichen, statt mit den Journalisten in den Dialog zu treten – besonders wenn die Geschichte heikel ist. Doch hat die Medienkrise wirklich Auswirkungen auf politische Entscheide?
Starker Effekt auf Beteiligung
Die beiden Zürcher Politikwissenschafter Daniel Kübler und Christopher Goodman sind erstmals für die Schweiz der Frage nachgegangen, ob zwischen der Krise des Lokaljournalismus' und der Abnahme der Wahlbeteiligung in den Gemeinden ein Zusammenhang besteht.
Ihr Fazit ist eindeutig: Ja. Der Effekt auf die Wahlbeteiligung ist sogar stärker als der sozioökonomische Status oder die Altersstruktur einer Gemeinde. Zeigen konnten die Politologen dies anhand von Daten aus sechs Metropolitanräumen (Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Luzern und Lugano) mit über 400 Gemeinden und mehr als drei Millionen Einwohnern.
Gemäss der Studie sind sowohl die lokale Wahlbeteiligung zwischen und innerhalb der untersuchten Metropolitanregionen als auch die Mediennutzung sehr unterschiedlich. So wird etwa in der Region Basel mehr Zeitung gelesen als in Lugano oder Lausanne. Im Tessin ist die Wahlbeteiligung traditionell höher, weil sich die Tessiner stärker mit ihren Parteien identifizieren. Es zeigt sich aber klar: Je höher die Auflage der lokalen Zeitungen und je mehr die Medien über lokale Politik berichten, desto höher ist die Wahlbeteiligung.