Mangelware Schulraum: Verschiedene Ansätze gegen die Schulraumnot
Mit wachsender Bevölkerung und veränderten Unterrichtsformen steigt der Bedarf an Schulraum in der Schweiz rasant an. Vielerorts werden hastig Neubauten hochgezogen, doch damit allein lässt sich die Nachfrage nicht decken. Ein Vergleich kleiner und grösserer Schulgemeinden und ihres Umgangs mit der sich abzeichnenden Schulraumnot.
Quelle: Ben Kron
Pavillon statt Pausenplatz: Beim Schulhaus Heubeeribüel mussten Freiflächen zusätzlichen Klassenzimmern weichen.
Die Bevölkerung der Schweiz wächst beständig. Nach einer
Phase der Überalterung nimmt inzwischen auch die Anzahl der schulpflichtigen
Kinder wieder zu. Zwischen 2010 und 2020 stieg sie um fast sieben Prozent, so
dass aktuell rund 975 000 Kinder die Schulbank drücken. Rechnet man die Kinder
aus der Ukraine hinzu, sind es sogar rund eine Million. Und aufgrund der
demographischen Entwicklung dürfte dieser Trend anhalten.
Das wiederum stellt unser Schulsystem vor mehrere grosse
Herausforderungen: Zum einen wird qualifiziertes Lehrpersonal knapp, so dass
immer mehr Quereinsteiger zu Lehrerinnen und Lehrern umgeschult werden. Damit
alle Kinder Unterricht erhalten, müssen im Moment sogar die Klassen vergrössert
werden, was eigentlich den Anforderungen der modernen Pädagogik entgegen läuft.
Trend zu kleineren Klassen
Zum anderen nimmt der Bedarf an Schulraum laufend zu. Dies
nicht nur wegen den vielen Kindern, die zusätzlich in die Schulen strömen,
sondern auch, weil die Anforderungen an den Schulraum sich verändern. Der Trend
geht generell wieder zu kleineren Klassen, dazu diversifiziert sich der
Unterricht, und überall müssen wegen der zu schaffenden Tagesstrukturen
zusätzlich Räume für Mittagstische und Betreuungsangebote gefunden werden.
Nicht zu vergessen die zusätzlich benötigten Turnhallen.
Quelle: Ben Kron
Pavillon-Neubau auf der grünen Wiese: Zürich hat aktuell 84 ZM-Pavillons an diversen Standorten in Betrieb; weitere sind geplant.
Immerhin: Die demographische Entwicklung lässt sich
langfristig voraussagen, so dass auch die Bereitstellung von Klassenzimmern und
anderen Räumen langfristig geplant werden kann. Das zeigt sich am Beispiel des
Kantons Aargau: Hier wird die Zahl der Jugendlichen in der Mittelschule bis
2045 um satte 31 Prozent steigen.
Bereits vor ein paar Jahren haben die Verantwortlichen
deshalb den Bau neuer Kantonsschulen in die Wege geleitet, die 2029
beziehungsweise 2031 ihre Türen öffnen sollen. Auch Städte und Gemeinden sind
gefordert. So muss die Kleinstadt Bülach ZH mit rund 22 000 Bewohnern bis ins
Jahr 2040 Platz für rund zwanzig zusätzliche Klassen schaffen. Man hofft aber
dank weitsichtiger Planung die hierfür anfallenden Kosten im Griff behalten zu
können.
Beispiel Glarus
Auch in kleineren Gemeinden können die Verantwortlichen auf
den sich abzeichnenden steigenden Bedarf frühzeitig reagieren, wie das Beispiel
der Gemeinde Glarus zeigt. Diese betreibt in Netstal, Ennenda, in Glarus selbst
und im Ortsteil Buchholz Tagesstrukturen. An diesen vier Standorten besteht für
die total 151 Kinder ein umfassendes Betreuungsangebot, das vom Frühstück bis
in den Abend hineinreicht. Auch eine Ferienbetreuung an einem zentralen
Standort existiert.
Die Gemeinde Glarus entstand aus der Fusion der vier
Ortsteile Netstal, Riedern, Glarus und Ennenda, die zuvor ihre Schulanlagen mit
unterschiedlichen Zielsetzungen entwickelt hatten. Dank der Fusion konnte ein
gemeinsamer kommunaler Richtplan verabschiedet und auf dieser Basis der Auftrag
zur Erarbeitung einer Schulraumplanung für das gesamte Gemeindegebiet erteilt
werden.
Quelle: Stadt Zürich (Matthias Vollmer)
Neubau des Schulhauses Allmend in Zürich-Leimbach: Die Stadt wird in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich zwei Milliarden Franken in Schulbauten investieren.
Bedarf noch nicht gedeckt
«In Zusammenarbeit mit einer externen Firma wurde der Bedarf
an Schulraum anhand einer Schüler- und Klassenprognose mit Zeithorizont 2038
erstellt», erklärt Martin Bilger, der Departementsleiter Bildung und Familie.
Zentrales Projekt war dabei das 2017 verabschiedete Sanierungsprojekt
«Gesamterneuerung Schulhaus Netstal», mit einem Budget von acht Millionen
Franken. Die Schule Netstal, deren Gebäude von 1838, 1905 und 1958 stammen,
wurde in drei Etappen und während laufendem Schulbetrieb saniert.
Nach der Ende 2022 mehrheitlich ab-geschlossenen Sanierung
entsprechen die Schulbauten energetisch und in Sachen Sicherheit den aktuellen
Anforderungen. «Lediglich Treppenlifte, gewisse Leuchten und der Haupteingang
konnten aufgrund langer Lieferfristen noch nicht fertiggestellt werden», so
Marc Ziltener, der Abteilungsleiter Immobilienmanagement der Gemeinde. Indes:
«Der Bedarf an Schulräumen ist damit aber noch nicht abgedeckt», weiss Martin
Bilder. Deshalb hat man eine Arbeitsgruppe gebildet, um die weiteren
Bedürfnisse der Schulen abzuklären und eine effizientere Nutzung der aktuell
vorhandenen Schulräume voranzubringen.
Während kleinere Städte wie Bülach oder Gemeinden wie Glarus
ihre Probleme dank überschaubaren Schülerzahlen und einer in der Regel eher
einfachen politischen Struktur lösen können, ist die Situation in den
Grossstädten komplex. Dies zeigt das Beispiel der Stadt Basel: Ob-wohl hier in
den letzten Jahren 790 Millionen Franken in 65 Schulbauten investiert wurden,
musste man zuletzt vor allem mit zusätzlichem Schulraum aus Containern auf die
wachsende Zahl von Kindern reagieren. Dazu wurden Gruppen- und Spezialräume zu
Unterrichtsräumen umfunktioniert.
Quelle: Patrick Aeschlimann
Klassenzimmer in der Primarschule: Der Trend zu kleineren Klassen ist pädagogisch sinnvoll, verschärft aber das Schulraum-Problem zusätzlich.
Basel: Motion verlangt Massnahmen
Inzwischen aber kommt auch diese kurzfristige Lösung an ihre
Grenzen. «Immer mehr Schulstandorte platzen aus allen Nähten» heisst es in
einer Motion. Diese wurde von der Bau- und Raumplanungskommission (BRK)
und der Bildungs- und Kulturkommission (BKK) gemeinsam eingereicht, also von
insgesamt 13 Politikerinnen und Politikern aller Parteien, die zudem ein
Viertel des Basler Parlaments darstellen.
Die Motion beklagt, dass Container zu einem festen
Bestandteil der Schulraumplanung geworden seien. «Solche provisorischen
Schulcontainer nehmen aber Grün- oder Pausenflächen weg», so Jeremy Stephenson,
der Präsident der BRK. Gefordert wird deshalb ein Paradigmenwechsel: «Wir
wollen, dass mehr in die Zukunft geschaut und mehr Schulraum gebaut wird als
vielleicht im Moment nötig», so Stephenson. Denn die Situation wird sich mit
Blick auf die Bevölkerungsentwicklung voraussichtlich weiter verschärfen.
Quelle: Gabriel Diezi
Kindergarten-Neubau in Biel: Auch hier setzt man auf Container, da diese bei sinkendem Raumbedarf einfacher umgenutzt werden können.
Zahlen steigen weiter
Gemäss Basler Schulblatt ist bis 2031 mit einem weiteren
markanten Wachstum der Schülerzahl zu rechnen, selbst beim vorsichtigsten
Szenario auf Kindergartenstufe sieben, in der Primarschule zehn und auf
den Sekundarschulen sogar 16 Prozent. Auch der Ausbau der Tagesstrukturen und
der integrativen Schule erhöht den Platzbedarf.
Die Motion verlangt deshalb, innert zwei Jahren eine
geeignete Planung für Schulräume vorzulegen. Bereits zuvor hatten auch 2500
Lehrpersonen einen entsprechenden Antrag ans Erziehungsdepartement gestellt.
Damals hiess es, das Problem sei erkannt, aber wegen des begrenzten Raumes gebe
es keine einfachen Lösungen. Die nun vorliegende Motion hat das Departement
noch nicht beantwortet.
Auch in Zürich steigt der Bedarf an Schulraum rasant an.
Aktuell sind in der grössten Schweizer Stadt nicht weniger als 25 Schulraum-Grossprojekte
in Planung, Projektierung oder Bau, denn in den nächsten 15 Jahren muss Platz
für 7000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler geschaffen werden.
Die einfache Ursache des Raumbedarfs: In den letzten zwanzig
Jahren ist die Bevölkerung der Metropole um 75 000 Einwohner gewachsen. Für den
benötigen Schulraum wird Zürich rund zwei Milliarden Franken aufwenden müssen.
Trotz aller Bautätigkeit lässt sich der Bedarf mit Neu- und Ersatzbauten
voraussichtlich aber nicht decken, weshalb auch kreative Lösungen wie
Einmietungen geprüft werden.
Quelle: Stadt Chur
Projekt «Fortuna» beim Schulhaus Ringstrasse in Chur: Der Neubau, der 89 Millionen Franken kostet, wurde 2021 vom Stimmvolk gutgeheissen.
Zürich setzt auf Pavillons
Daneben setzt die Stadt Zürich auf Pavillons. Seit 1999
existiert ein standardisiertes Modell, von welchem aktuell 84 Stück auf
diversen Schulanlagen in Betrieb sind. In den nächsten drei Jahren dürften rund
30 weitere der meist zwei- oder dreigeschossigen und in Holzbauweise erstellten
Pavillons dazukommen, die «Züri Modular»-Pavillons genannt werden.
Laut Stadtrat sei der Bedarf an Schulraum in allen
Quartieren zwar gesichert und es lägen einige Bau- und Ausbauprojekte vor. Doch
um auf kurzfristige Veränderungen reagieren zu können, seien Pavillons nach wie
vor notwendig. Erst ab 2026 sollen keine neuen ZM-Pavillons mehr dazukommen.
Zudem arbeitet man an einer Strategie, wie die Holzbauten dereinst umgenutzt
werden können, wenn sie nicht mehr als provisorischer Schulraum dienen müssen.
Denn auch dies ist ein Teil des komplexen Problems:
Irgendwann werden die Schülerzahlen wieder sinken – und dann braucht es
wiederum vernünftige Lösungen, wie mit dem nicht mehr benötigen Schulraum
umgegangen werden soll.