Frankreich schützt Hahn-Geschrei und Mist-Geruch per Gesetz
Frankreichs Landbewohner haben die Nase von zugezogenen Städtern voll, die gegen Kuhglockengeläute, Traktorenlärm und Misthaufengeruch klagen. Jetzt kommt ihnen ein neues Gesetz zu Hilfe. Es schützt derlei als «patrimoine sensoriel des campagnes».
Quelle: klimkin. Pixabay-Lizenz
Wo der Hahn kräht und die Hühner gackern, da sollten sich in Frankreich allzu lärmempfindliche Menschen nicht niederlassen.
Auslöser war der Hahn «Maurice». Ihm wurde das Krähen zur Freude seiner Besitzerin nach einem Prozessmarathon ein für allemal erlaubt.
Maurice ist auf der schönen Atlantikinsel Oléron zuhause, südlich von Nantes. Ein Rentnerpaar, das dort ein Ferienhaus erworben hatte, hatte sich an seinem morgendlichen Krähen gestört. Denn Maurice, vier Jahre alt und zwei Kilo schwer, hatte die Angewohnheit zwischen 6.30 Uhr und 7 Uhr lautstark den Tag zu begrüssen. Das behagte den ruhebedürftigen Rentnern gar nicht. Sie klagten. Maurice sollte seinen Schnabel höchstens noch zum Fressen aufreissen dürfen.
Alsbald wurde das Ganze zur nationalen Angelegenheit, da in allen Ecken Frankreichs Bürgermeister mit ähnlichen Problemen kämpften. Städter, die auf dem Lande Stille und Erholung suchen, finden dort völlig unerwartet auch muhende, womöglich sogar mit Glocken versehene Kühe vor, olfaktorisch fragwürdige Schweinezuchten und lärmende Traktoren. Die entnervten Bürgermeister vor Ort mussten bei solchen Streitigkeiten als Mediatoren schlichten.
Wenn der Güggel zumutbar ist
Weil dieses Problem überall im ländlichen Frankreich auftrat, fand die Online-Petition der Besitzerin von Maurice in Windeseile 120'000 Unterzeichner und ein grosses Medienecho. Der zuständige Bürgermeister attestierte seiner Gemeinde offiziell einen «ländlichen Charakter» und liess die Presse wissen, es gebe Sommer für Sommer Ärger mit Feriengästen, die eine Art von Ruhe suchten, die es auf dem Land so eben nicht gebe.
Maurice ging schliesslich siegreich aus dem Prozess hervor – die Ferienhausbesitzer konnten nicht schlüssig nachweisen, dass sein Krähen unzumutbare Ausmasse hatte. Ausserdem mussten sie der Besitzerin Tausend Euro als Entschädigung überweisen und ihre Anwaltskosten bezahlen. Damit war zwar Maurice geholfen. Den Bürgermeistern anderer ländlicher Gemeinden jedoch noch lange nicht.
Petition für Gerüche und Lärm des Landlebens
So unternahm der Bürgermeister des 400-Seelen-Dörfchens Gajak im Südwesten Frankreichs, Bruno Dionis du Séjour, einen Anlauf spezieller Art. Er forderte, die mit dem bäuerlich geprägten Landleben verbundenen Gerüche und Geräusche unter Schutz zu stellen. Es gehe nicht an, dass der Egozentrismus Zugezogener aus der Stadt, «die entdecken, dass Eier nicht auf Bäumen wachsen» wie er sich ausdrückte, dazu führe, dass Bauern an ihrer Arbeit, zu der nun einmal Traktoren und Tiere mit den entsprechenden Geräuschen und Gerüchen gehörten, gehindert würden. Die entsprechende Petition fand mehr als 40'000 Unterzeichner und sprach vielen Dörflern aus der Seele.
Im elsässischen Muhlbach sur Munster, einer 800 Einwohner zählenden Gemeinde, hat es der Bürgermeister im vergangenen Herbst auf einem anderen, eher klassischen Weg versucht. Er liess mitten im Dort ein grosses Schild aufstellen. In Blau-Weiss-Rot ist dort zu lesen: «Attention vous êtes en campagne» bevor dann aufgezählt wird, worauf man sich einzustellen habe. «Unsere zwei Kirchtürme läuten regelmässig, wir haben Gockel, die früh am Morgen krähen, Bauern, die arbeiten, um Nahrungsmittel herzustellen.» So geht es Zeile für Zeile. Der Text endet mit dem Hinweis: «Wenn sie den Lärm des Landlebens nicht ertragen ist das ihr gutes Recht. Aber respektieren sie diesen Ort und die Personen, die daran gewöhnt sind.» Das Schild war in den sozialen Netzwerken ein Grosserfolg. Und es steht noch immer.
Sensorisches Kulturerbe
Aus Gajaks breit unterstützter Initiative entstand nun etwas, das viele Franzosen den Pariser Gesetzgebern nicht zugetraut hätten und das auch die Tafel in Muhlbach nun eigentlich überflüssig macht: Ende Januar diesen Jahres wurde tatsächlich ein neues Gesetz beschlossen. Es stellt das «patrimoine sensoriel des campagnes» unter Schutz. Handelt es sich um auf dem Land übliche sensorische Belästigungen, kann dagegen nicht vorgegangen werden. In seiner Begründung für das neue Gesetz schreibt der französische Senat übrigens ausdrücklich, dass diese immer gleichen Probleme schon lange die Landbürgermeister über Gebühr belasteten.
Diese Problematik ist im letzten Jahr mit der ersten Corona-Welle noch gewaltig gewachsen. Richtig übel wurde es mit dem strengen französischen Lockdown im vergangenen Frühling, bei dem den Franzosen nur noch erlaubt war, maximal eine Stunde pro Tag im Umkreis von einem Kilometer um ihre Wohnung an die frische Luft zu gehen. Daneben waren nur lebensnotwendige Einkäufe, Arztbesuche und der Arbeitsweg straffrei möglich. Jeder Verstoss kostete 135 Euro. Die Kontrollen waren zahlreich.
Homeoffice in der Landluft
Das führte dazu, dass im März 2020 Zehntausende Städter Hals über Kopf ihre Appartements verliessen und in ihre Zweitwohnungen aufs Land flüchteten, um wenigstens umgeben von Landluft statt inmitten von Betonmauern festzusitzen. Dort vertrugen sich dann zu ihrer Überraschung Homeoffice und -schooling bei wackeliger Internetverbindung verblüffend schlecht mit röhrenden Traktoren und stinkenden Güllegruben. Die entsprechenden Klagen häuften sich. Das Gesetz befand sich damals bereits in der Entwurfsphase und seine Dringlichkeit wurde spätestens dann unübersehbar.
Übrigens: Maurice ist während dem ersten Lockdown verstorben. Er sei einem Schnupfen erlegen, so seine Besitzerin.