Klimagerechte Stadtplanung: «Green gentrification» ist ein verbreitetes Problem
Mehr Parks und grüne Adern gehören längst zu den Standardmassnahmen, um Städte klimaresistenter zu machen. Häufig werden damit aber ärmere Bewohner verdrängt. Denn eine Begrünung macht Stadtviertel attraktiver – und lässt die Mieten steigen. Um das zu verhindern, braucht es bessere Begleitmassnahmen.
Quelle: Roland zh - Own work wikimedia CC BY-SA 3.0
Mehr Parks und grüne Adern in Städten gehören bei der klimagerechten Stadtplanung längst zu den Standardmassnahmen. Im Bild: Der MFO-Park in Zürich-Oerlikon.
Lärm, Luftverschmutzung, dazu die Rolle der Städte als
Hitzeinsel in einem sich erwärmenden, trockeneren Klima – mehr und mehr
Stadtverwaltungen versuchen, ihre Städte an die neuen Bedingungen anzupassen.
Zentrale Punkte dabei sind mehr Strassengrün und mehr bepflanzte, unversiegelte
Flächen, die die Niederschläge versickern lassen und einen kühlenden Effekt
haben.
Was könnte dagegen sprechen, so viel Grünraum wie nur
möglich zu schaffen? Isabelle Anguelovski von der Universität Barcelona
untersucht mit einem grossen Netzwerk aus Forschern, ob es nicht doch irgendwo
hakt. Und das tut es.
Die Begrünungsmassnahmen schaffen neue soziale
Ungerechtigkeiten. Einwohner mit geringem Einkommen, die häufig in Wohnlagen
unterkommen müssen, die wegen Verkehrslärm, der mit den Autos einhergehenden
Luftverschmutzung und fehlenden Parks unattraktiv und damit bezahlbar sind,
werden durch die Aufwertungsmassnahmen häufig zum Umzug gezwungen. Zu oft
fehlten ausreichende begleitende Prozesse, die das verhindern.
Anguelovski sieht es durch ihre Studie als erwiesen an, dass
es unbedingt gut durchdachte Gegensteuer geben muss, wenn es nicht zu «green
gentrification» – also einer Verdrängung durch Grünraum – kommen
soll. Sie erklärt: «Vancouver und Washington sind führend bei der
Schaffung von neuem Grünraum. Sie führen aber leider auch bei der dadurch
verursachten Verdrängung ärmerer Bewohner.»
Gemeinsam mit Forschern untersucht die Geographin und
Soziologin vom Institut für Umweltwissenschaften und Technologie der
Universität Barcelona die Entwicklung der städtischen Umwelt in 28 Städten in
neun Ländern in Europa und Nordamerika in den letzten 20 Jahren. Die Forschergemeinschaft
sieht sich hingegen an, unter welchen Umständen Begrünungsmassnahmen zu neuen
unerwünschten Folgen für sozial schwache Bewohner des jeweiligen Quartiers
führen können.
Parks zerstören bestehende Gemeinschaften
«Häufig wirken neu geschaffene Grünräume zerstörend auf
bestehende Gemeinschaften. Dieser paradox scheinende Effekt wird durch
scheinbar lobenswerte kommunale Bemühungen ausgelöst, degradierte Viertel durch
klimaangepassten Grünraum zu verbessern. Dieser steigert den Wert der
umliegenden Immobilien und verdrängt häufig die ansässige Bevölkerung», fasst
Anguelovski zusammen. Die Betroffenen spüren das oft intuitiv schon vorab, alle
guten Absichten der Verwaltung hin oder her.
«Bei unseren Befragungen sagten uns die Anwohner immer wieder: Das, was sie hier machen ist sehr schön. Nur werden wir leider nichts davon haben, weil wir uns die Miete nicht mehr leisten können», fasst die Geographin zusammen. Einer der Befragten brachte es für Washington D.C. so auf den Punkt: «Wenn sie mit dem Park fertig sind, werden die meisten von uns nicht mehr hier sein, um ihn zu geniessen. Wir werden gut genug sein, den neuen Bewohnern beim River Festival Getränke und Hot Dogs zu servieren. Aber nicht, um hier zu leben.»
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Superblocks und grüne Strassenachsen schaffen in Barcelona mehr Platz für den Langsamverkehr auf ehemals lärmigen Strassen. Die attraktivere Umgebung lässt aber die Mieten steigen und verdrängt ärmere Bewohner.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Wo immer möglich werden in Nantes begrünte Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien geschaffen. Die Stadt hat mittlerweile hundert Parks, alle durchdacht und sorgfältig gestaltet.
Das Phänomen ist alles andere als neu. Für die Anlage des
1873 fertig gestellten Central Park in New York wurde so etwa die vorwiegend
afroamerikanische Siedlung «Seneca Village» geräumt, um der wohlhabenden
Bevölkerung, die sich über zu wenig Freizeitmöglichkeiten beklagte, die
Promenade und Ausritte auf angenehmen Parkwegen zu ermöglichen.
Anguelovski hat sich mehrere US-amerikanische Studien
angesehen, die landesweit untersuchen, wie stark sich Parks auf Gentrifizierung
auswirken. Übereinstimmend zeigen sie, dass neue Parks in der Nähe von
Stadtzentren diese tatsächlich durchwegs zu fördern scheinen. Bei kleineren
Parks sind die Ergebnisse weniger deutlich und hängen wohl auch von der
Qualität der Parkanlage und der umgebenden Wohnbebauung ab.
Kritik an Superblocks
So sieht sie auch die Superblocks und «grünen Strassen» in Barcelona kritisch, die durch für den Autoverkehr gesperrte Kreuzungen mehr Grünraum schaffen und klimaresistenter werden sollen (siehe Artikel «Stadtplanung in Barcelona: Verkehrsberuhigung mit Superblocks»). Anguelovski hat sich beispielsweise den «Passeig de Sant Joan» angesehen, eine mehrspurige Strasse, die zu einem «grünen Korridor» umgestaltet wurde. Der Langsamverkehr hat dort deutlich mehr Platz bekommen und das neu gepflanzte Grün ist auf Klimaresistenz ausgelegt.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Auch Freizeitsport wird in Nantes gefördert, teilweise im Zusammenhang mit Kunstprojekten. Wie dieses Fussballfeld, das durch einen riesigen Spiegel verfremdet wird und Sitzstufen für den Aufenthalt im Freien aufweist.
«Das Ganze wurde sehr schnell als exzellente Gelegenheit für
Immobilieninvestments entdeckt», sagt sie und fährt fort: «Wir haben daraufhin bei
allen grösseren Parks in Barcelona untersucht, ob hier «grüne» Gentrifizierung
stattfindet. Das hat sich bei sechzig Prozent bestätigt, vor allem bei den
Parks in der Nähe des Meeres und im nach dem Niedergang der Industrie neu
bebauten Distrikt San Marti, in dem viele hochwertige Neubauten samt
Grünflächen entstanden.»
Wenn der Baubestand jedoch aus den 1950er bis 1970er Jahren
stammte, war der Effekt deutlich abgeschwächt. Barcelona hat das Problem zwar
erkannt und versucht gegenzusteuern, aber noch erweisen sich die Massnahmen als
nicht ausreichend.
Nantes als einst positives Beispiel
Als ursprünglich positives Beispiel nennt die
Wissenschaftlerin die französische Stadt Nantes. Die Stadt hat mittlerweile
hundert Parks, alle durchdacht und sorgfältig gestaltet. Zudem schafft die
Stadtgärtnerei auch auf einer Vielzahl von kleinen Flächen, etwa den
ungenutzten Flächen an Kreuzungen oder entlang der Loire, attraktive, begrünte
Sitzgelegenheiten und Picknicktische, Gemeinschaftsgärten und Möglichkeiten für
Aufenthalt und Freizeitsport.
Kein Einwohner von Nantes hat es weit bis zu einer Bank im Grünen, keiner lebt weiter als 300 Meter vom nächsten Park entfernt. Jacques Soignon, der pensionierte Leiter der Stadtgärtnerei, der den Prozess über Jahrzehnte begleitet hat, sagt dazu: «Als ich jung war, gab es in Nantes kaum Möglichkeiten, mit Freunden an einem angenehmen Ort draussen herumzuhängen, wie man das als Jugendlicher eben so macht. Das haben wir konsequent und flächendeckend geändert. Wenn ich heute durch die Stadt gehe, freue ich mich daran zu sehen, wie gut unsere Angebote angenommen werden.»
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Die Stadtgärtnerei von Nantes schafft auf einer Vielzahl von kleinen Flächen attraktive, begrünte Sitzgelegenheiten und Picknicktische, Gemeinschaftsgärten und Möglichkeiten für Aufenthalt und Freizeitsport.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Die Begrünung in Nantes war lange ein Gewinn für alle Bewohner. Anguelovskis Kritik bezieht sich auf Projekte wie den «jardin extraordinaire» (im Bild). Der exklusive Park wird von der Bevölkerung gern angenommen. Er soll aber durch ein millionenteures Kunstprojekt vor allem Touristen anlocken.
Von der Begrünung zum Tourismusprojekt
Und tatsächlich. Überall sitzen Menschen jeden Alters allein
oder in Gruppen und geniessen die Sonne. Dennoch – die Verdrängungsprozesse
zeigen sich auch hier. Anguelovski nennt als Beispiel den preisgekrönten «Parc
extraordinaire» der zwischen der Loire und der Bruchkante eines längst
aufgegebenen Steinbruchs angelegt wird. Lange war dort nichts als Brache. Die
Stadt selbst war längst bis an die Oberkante des Steinbruchs herangerückt. Spektakulärster
Teil des Parks ist ein Wasserfall, der von der Kante in einen Teich
stürzt.
Dazu kommt aufwendige Begrünung und bald noch ein Kunstprojekt in Form eines begehbaren, fünfzig Meter hohen Baums aus Stahl. Die Anwohner oberhalb der Steilkante des Steinbruchs können den Park über eine eigens errichtete Stahltreppe erreichen. Anguelovskis Problem mit diesem Park: «Die Stadt sucht Investoren, um das Millionenteure Kunstprojekt umzusetzen, das Touristen aus den USA und Japan anlocken soll. So wurde aus den integrativen Plänen mit denen seit den 1990er Jahren lange Zeit die Begrünung verfolgt wurde, in neuerer Zeit ein exklusives Projekt, das vorrangig dem Tourismus dienen soll.»
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Stadtgrün wird in Nantes wo immer möglich mit einfachen Mitteln geschaffen und steigert die Lebensqualität.
Von Nordamerika bis Kopenhagen klarer Effekt
Die besagte Studie, die Anguelovski und Kollegen in 28
Städten durchgeführt haben, zeigt, dass in 17 davon Stadtgrün in mindestens
einer Periode der letzten 20 Jahre zu Gentrifizierung beigetragen hat. Das
lässt sich vor allem in Nordamerikanischen Städten beobachten, aber auch in
Nantes, Barcelona und Kopenhagen. Dort lösten sich jeweils Investmentorientierte
Begrünungswellen und Initiativen ab, die klimaangepasste Städte schaffen
wollten, die ebenfalls ein besser gestelltes Klientel anzogen.
Im Fazit der Studie schreiben die Forscher: Stadtbegrünung
zeigt vielfältige positive Wirkung für Klima, Gesundheit und sozioökonomische
Effekte. Ohne sorgfältige begleitende Massnahmen trägt sie zu jedoch zu
Gentrifizierungsprozessen in einer Vielzahl von Umständen und so zu neuen sozialen,
rassenbezogenen und gesundheitlichen Ungleichheiten bei. Diese untergraben die
Klimagerechtigkeit.
Es braucht mehr Fokus auf begleitende Prozesse, die die Verdrängung verhindern und inklusiv wirken. Das würde dafür sorgen, dass grüne, klimaangepasste Städte begleitet werden von sozialen, gerechten und inklusiven Grundsätzen, die einen gleichberechtigten Zugang für alle ermöglichen.
Linktipp
Die Studie von Isabelle Anguelovskis kann hier nachgelesen werden (Englisch):
www.nature.com/articles/s41467-022-31572-1