Indoor statt Import mit «Vertical Farming»: Wenn Basilikum immer Saison hat
Lokal angebauter Basilikum, der das ganze Jahr über Saison hat? Die vertikale Landwirtschaft macht es möglich. Auch Schweizer Start-ups setzen auf den Trend und erobern den Markt mit Kräutern aus hoch technisierten «Vertical Farms».
Quelle: Pinkfarm, Lokal365
Nicht gestapelt, sondern an sogenannten «Towers» hängend, wachsen die etwa 20'000 Pflanzen der Firma «Lokal365» im St. Galler Sittertobel.
Wer bei Indoor-Plantagen nur an den illegalen Cannabis-Anbau denkt, hat etwas verpasst. Die Indoor-Landwirtschaft in der Vertikalen boomt – auch in der Schweiz. In den letzten Jahren haben etliche sogenannte «Vertical Farms» ihren Betrieb aufgenommen und sich vor allem mit Küchenkräutern einen Platz in den Regalen von Coop, Migros und Co. erarbeitet.
Wurzeln stehen im Wasser
Vertikaler Anbau findet indoor, unter kontrollierten Bedingungen, häufig stark automatisiert und ohne Verbindung zur Natur ausserhalb der Produktionshallen statt. In der Regel wachsen die Pflanzen nicht in der Erde, sondern mit Hilfe geeigneter Anzuchtmaterialien. Die Wurzeln stehen direkt im Wasser oder werden mit einer Nährstofflösung besprüht.
Tageslicht gibt es in «Vertical Farms» in der Regel nicht. Das nötige Licht erhalten sie durch LED-Beleuchtung. Die Unternehmen, die indoor und vertikal anbauen, schreiben sich zudem auf die Fahne, pestizidfrei und mit sehr wenig Wasserverbrauch zu produzieren. Und wie der Name sagt: Angebaut wird in irgendeiner Form vertikal, sei das hängend an einer Art Turm oder gestapelt in Hochregalen.
Pilotanlage in Niederhasli
Durch den vertikalen Anbau nutzen «Vertical Farms» die vorhandene Bodenfläche um ein Vielfaches besser aus als die konventionelle Landwirtschaft. «More with less» ist deshalb das Credo des ETH-Spin-offs Yasai, das Küchenkräuter in der Vertikalen wachsen lässt. «Wir produzieren pro verfügbare Fläche viel mehr, weil wir die Anbauflächen übereinanderstapeln und das ganze Jahr hindurch anbauen können», fasst Co-Gründer und CEO Mark Zahran zusammen.
Das Start-up hat im Juni 2021 mit dem Bau einer Pilotanlage in Niederhasli (ZH) begonnen. Wobei «bauen» in diesem Fall bedeutet, dass Zahran und sein Team eine leere Industriehalle umgenutzt und eine Indoor-Anlage in das bestehende Gebäude hineingebaut haben. Die sogenannte «Grow Chamber», in der die angebauten Pflanzen vollautomatisiert bewässert und beleuchtet werden, bietet auf 10 mal 10 Metern über 6 Etagen insgesamt 600 Quadratmeter Anbaufläche.
Hinzu kommen Verarbeitungsbereiche, wie die Hygiene- und die Verpackungszone. Alles in allem seien rund 1000 Quadratmeter nötig, um in einer sinnvollen Menge indoor anbauen zu können, erklärt Zahran. «Unsere Pilot-anlage ist die kleinstmögliche Farm, die sich wirtschaftlich noch lohnt.»
Quelle: Umami
Das Zürcher Start-up Umami hat sich für eine Mischkultur entschieden. Ihre Microgreens wachsen in einem Indoor-Ökosystem mit 250 Pflanzen- und 100 Tierarten.
20 Tonnen Kräuter pro Jahr
Nach sechs Monaten Bau hat das Start-up im Dezember 2021 die ersten Küchenkräuter angepflanzt und bereits im Januar 2022 das erste Basilikum verkauft. Im Moment produziert Yasai Basilikum und Pfefferminze. Vertrieben werden die Kräuter bei Coop und Jelmoli. Künftig sollen weitere Kräuter, etwa Koriander oder Petersilie, hinzukommen. «Und irgendwann vielleicht auch Salate oder Gemüse.»
Aktuell seien sie bei etwa der Hälfte der Produktionskapazität der Farm angelangt. Das Ziel: Bis zu 20 Tonnen Biomasse pro Jahr zu produzieren. Das Ganze ist als fünfjähriges Pilotprojekt mit grossen Partnern angelegt: Mit dabei sind die Schweizer Agrargenossenschaft Fenaco, die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Agroscope, das Kom-petenzzentrum des Bundes für land-wirtschaftliche Forschung. Die Beteiligten wollen durch das Pilotprojekt Indoor-Anbaumethoden und -Technologien optimieren.
In St. Gallen hängen die Kräuter
Nicht gestapelt, sondern an sogenannten «Towers» hängend, wachsen die etwa 20 000 Pflanzen der Firma «Lokal365» im St. Galler Sittertobel. Auch die «Lokal365»-Anlage mit ihrer Grundfläche von 500 Quadratmetern und einer Höhe von 3,5 Metern entstand 2021. Im Juni 2021 konnte Firmengründer Christian Gerig bereits die ersten Kräuter über die Spar-Gruppe verkaufen.
Hochregale, wie sie andere «Vertical Farming»-Unternehmen einsetzen, liessen sich vermutlich einfacher automatisieren, gibt Gerig zu bedenken. «Der echte vertikale Anbau an den Türmen ist aber effizienter im Wachstum.» Denn bei den gestapelten Regalen seien nicht alle Pflanzen stets gleich viel Licht ausgesetzt, weil sie teilweise im Schatten anderer Tablare stünden. Beim vertikalen Anbau an Türmen werden die Pflanzen von der Seite beleuchtet.
Ein weiteres Argument für die Turm-Bauweise sei die CO2-Verteilung in der Luft. «Indoor-Farmen brauchen eingeführtes CO2 wie Dünger, damit die Photosynthese der Pflanzen funktioniert.» Weil CO2 aber schwerer ist als Sauerstoff, lässt Gerig das Gas von oben in die Anlage einfliessen, sodass es den Türmen entlang nach unten gelangt und so alle Pflanzen «streift».
Hydroponik als Grundlage
Vertikal angebaute Pflanzen wachsen in der Regel in hydroponischen Anlagen, also ohne Erde. Die Wurzeln stehen direkt im Wasser, wodurch die Pflanze mit den nötigen Nährstoffen versorgt wird. Deshalb sind solche Indoor-Anlagen für Ranka Junge, emeritierte Professorin an der ZHAW und Expertin in Ökotechnologie, wissenschaftlich interessant. Sie und ihr Team forschen nämlich zum Thema «bodenunabhängige Nahrungsmittelproduktion».
Für die Wissenschaftlerin ist «Vertical Farming» im Moment vor allem ein Hype: «Eigentlich ist die vertikale Anbaumethode nichts Aufregendes. Man stapelt die Pflanzen einfach übereinander.» Es sei ein bisschen wie bei der Wohnumgebung von Menschen. Die Bedingungen, die der Mensch zum Leben brauche, seien immer etwa die gleichen, egal, ob er in einem Einfamilienhaus oder in einem Hochhaus wohne. Ob Stockwerke existierten oder nicht, spiele für die Pflanze eine untergeordnete Rolle. Für die Forschung interessant seien die Bedingungen, welche die Pflanzen zum Wachsen brauchen.
Die Grundidee des vertikalen Anbaus ist mit dem Hochhausbau vergleichbar: Eine möglichst kleine Fläche muss möglichst effizient genutzt werden. Ein weiteres Argument ist der Weg vom Feld auf den Teller: «Wachsen die Städte weiter, müssen wir uns auch von innen ernähren können, sonst werden die Distanzen zu gross», betont Junge. Die Wissenschaftlerin ist überzeugt: «Es braucht eine Urban Agriculture in den Städten der Zukunft.» Da biete sich wegen des Platzmangels nun mal der Anbau in die Höhe an.
Quelle: IUNR/Florentina Gartmann
Der Indoor-Anbau ist auch für die Wissenschaft spannend. Forschende der ZHAW beschäftigen sich mit der «bodenunabhängigen Nahrungsmittelproduktion».
Keine Schädlinge
In Indoor-Farmen spielt das Wetter keine Rolle, Temperaturschwankungen sind kein Thema, Jahreszeiten gibt es nicht. In solchen Anlagen wachsen die Pflanzen 365 Tage im Jahr unter den gleichen Bedingungen. Demgegenüber spielen beim Outdoor-Anbau viele und teilweise unberechenbare Faktoren, wie etwa Regen oder Bodenbeschaffenheit, eine entscheidende Rolle. Für die ZHAW-Forschenden sind gerade die kontrollierten Bedingungen im völlig gesteuerten «Vertical Farming» besonders spannend.
«Wir haben keine Witterungsschäden und keine begrenzte Anzahl Sonnenstunden. Es herrschen ideale Bedingungenfür die Pflanzen», betont Zahran von Yasai. Mit einer guten Reinheitskontrolle sollen ausserdem die Schädlinge draussen bleiben. Bei Yasai läuft in der «Grow Chamber» alles automatisiert ab, sodass die Mitarbeitenden diese gar nicht betreten müssen und so die Gefahr, Schädlinge hineinzubringen, reduziert wird.
Ausserdem herrscht in der Kammer ein Überdruck, der das Eindringen von Schädlingen verhindern soll. Bei «Lokal365» setzt Gerig ebenfalls auf einen Reinraum mit Überdruck, in dem strenge Vorschriften für das Betreten gelten. Das oberste Ziel: Pestizid-frei zu produzieren.
Geringer Wasserverbrauch
Während in der Natur das Wasser im Boden versickert, befindet es sich in der Indoor-Farm in einem Kreislauf. «In unserem geschlossenen Kreislauf fliesst das Wasser an den Pflanzen vorbei, wird danach wiederaufbereitet, hochgepumpt und wieder zum Giessen verwendet», erklärt Gerig von «Lokal365». Frischwasser müsse er nur in sehr kleinen Mengen hinzugeben, nämlich lediglich so viel, wie die Pflanzen tatsächlich aufgenommen haben. Entfeuchtungsgeräte in der Farm helfen zudem, Wasser aus der Luft zurückzugewinnen.
«Lokal365» und Yasai verbrauchen nach eigenen Angaben etwa 95 Prozent weniger Wasser, als beim konventionellen Anbau der gleichen Pflanzen nötig wäre – und auch deutlich weniger Dünger: Dank des Wasserkreislaufs würden hinzugefügte Nährstoffe früher oder später zu 100 Prozent von den Pflanzen aufgenommen.
Unberechenbare Natur
Ganz ohne Pestizide? Die ZHAW-Profes-sorin Ranka Junge ist skeptisch: «Ganz so einfach ist es nicht, eine Anlage kom plett ohne Schädlinge, Pilzbefall oder Pflanzenkrankheiten zu betreiben.» Schon die Samen oder die eingekauften Materialien rund um die Pflanzen bergen Risiken. Gerig und Zahran betonen, dass der Griff zum Gift bei «Lokal365» und Yasai bis jetzt kein Thema gewesen sei.
Aber Junge ist überzeugt: «Früher oder später gelangt etwas in die Farm. So ist die Natur, sie ist unberechenbar.» Deshalb brauche jede Anlage ein Schädlings-Management, in dem vorbeugende Massnahmen, aber notfalls auch solche zur Bekämpfung vorge-sehen seien.
Indoor-Farmen sind in der Regel Monokulturen. Das bedeutet auch, dass sich ein Schädling – ist er einmal eingedrungen – unter Umständen rasant ausbreiten kann. Junge berichtet von riesigen Plantagen in den Niederlanden und in Kanada, bei denen nach einigen Pflanz-Zyklen regelmässig alles ausgeräumt und sterilisiert werden müsse. «Von Zyklus zu Zyklus steigt das Risiko von Pilzbefall.»
Quelle: IUNR, René Niederer
Wie gut eignen sich Salate, Kohl und andere Lebensmittel für den Indoor-Anbau? Die ZHAW-Forschung geht weit über Küchenkräuter hinaus.
Mischkultur geht auch indoor
Einen anderen Ansatz hat deshalb das Start-up Umami aus Zürich gewählt: In der «Vertical Farming»-Anlage in Altstetten in der Stadt Zürich wachsen und leben etwa 250 Pflanzen- und 100 Tierarten mit- und nebeneinander. «Eine Monokultur ist ein fragiles System, das auf eine industriell produzierte Nährstoffmischung angewiesen ist und ein sehr steriles Umfeld braucht», so Robin Bertschinger, Mitgründer und CEO von Umami.
Die Umami-Gründer wollen keine unnatürliche Monokultur. Vielmehr sollte bei Umami ein Ökosystem entstehen, in der Nährstoffe natürlich anfallen. Dafür setzen Bertschinger und sein Team auf eine Aquaponik-Anlage, deren Wasser durch ein Ökosystem von Pflanzen, Fischen und anderen Wasserlebewesen fliesst, dadurch gereinigt und mit Nährstoffen angereichert wird. Der technische Begriff dafür: bionisches Farming. Aber Bertschinger vereinfacht: «Wir sprechen von einer Indoor-Permakultur.»
In diesem biodiversen System funktioniere auch die Abwehr gegen Schädlinge automatisch. Nicht weil die Anlage steril ist, sondern gerade weil sie es eben nicht ist. «Hier drin steckt eine hohe Biokomplexität – auch auf bakterieller Ebene. Es bräuchte extrem viel, damit ein Schädling oder etwas anderes das Gleichgewicht dieses Ökosystems durcheinanderbringen könnte», ist Bertschinger überzeugt. Es sei deshalb auch noch nie irgendeine Art von Antibiotika oder Pestizid nötig gewesen.
Tonnenweise Microgreens
Umami produziert seit 2018 sogenannte «Microgreens», die als Mischung im Detailhandel und an Restaurants verkauft werden. Microgreens sind Kräuter- und Gemüsekeimlinge, die wegen ihrer verhältnismässig grossen Menge an Nährstoffen sowie ihrem intensiven Geschmack als Superfood im Trend sind.
Derzeit ernten die Umami-Mitarbeitenden auf insgesamt rund 200 Quadratmetern Anbaufläche – gestapelt in Regalen – rund 18 Tonnen Microgreens pro Jahr. Die Fische und die anderen Pflanzen befinden sich im gleichen Raum, alle verbunden durch den Wasserkreislauf. Mit den Räumen für Aussaat, Ernte, Führungen, Lager und Büro beläuft sich die Fläche der Produktionsstätte insgesamt auf rund 600 Quadratmeter.
Umami bietet Führungen durch die Farm in Altstetten an. Bertschinger und sein Team sind stolz darauf, wie die Produktionsstätte aussieht: «Viele vertikale Farmen sehen futuristisch, irgendwie ‹spacig› aus. Das entspricht nicht dem romantischen Bild, das Konsumentinnen und Konsumenten von einer Kräuterproduktion haben. Bei uns wachsen die Lebensmittel in einer Art Dschungel umgeben von Holz. Das dient nicht nur dem Zweck, sondern sieht auch einfach schön aus.»
Die Vorstellungen der Konsumentinnen und Konsumenten und ihren Einfluss auf die Konkurrenzfähigkeit der Produkte hat auch das St. Galler Unternehmen «Lokal365» zu spüren bekommen. Nach einem Jahr Basilikum-Produktion hat Gerig den Verkauf über die Grossverteiler im Frühjahr 2022 wieder eingestellt. Nun baut er verschiedene Kräuter für den Verkauf als Kräuteressenz an, etwa zum Aromatisieren von Wasser oder für Kosmetika.
Quelle: Umami
Das Zürcher Start-up Umami hat sich für eine Mischkultur entschieden. Ihre Microgreens wachsen in einem Indoor-Ökosystem mit 250 Pflanzen- und 100 Tierarten.
Harter Markt
Die von den Grossverteilern nachgefragten Basilikum-Mengen hätten derart geschwankt, dass die Planung – ohne Food Waste zu generieren – extrem schwierig geworden sei. Gleichzeitig habe er im Grosshandel nicht mit dem Preis der importierten Küchenkräuter mithalten können, bedauert Gerig.
«Wären die Menschen bereit, für frischere, lokale Nahrungsmittel mit besserem Nährstoffgehalt mehr zu bezahlen, könnte es dafür einen Markt geben. Aber in der Schweiz sind wir im Hinblick auf unsere Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion immer noch sehr romantisch veranlagt.» Es gibt aktuell zum Beispiel kein Label für lokale und pestizidfreie Lebensmittel aus Indoor-Anbau.
Gerig, der als Unternehmer zehn Jahre in China gearbeitet hatte, ist überzeugt: Würde er solche Kräuter in Shanghai verkaufen und ausdrücklich als «im Reinraum produziert und giftfrei» vermarkten, könnte er dafür den vierfachen Preis verlangen. Für die Verunreinigung von Lebensmitteln seien die Menschen hierzulande noch nicht genügend sensibilisiert.
Lokal, pestizidfrei, teuer?
Mit seinen Microgreens von Umami hat Bertschinger eine andere Ausgangslage auf dem Markt angetroffen: «Bevor wir sie in die Läden brachten, wussten die wenigsten, was Microgreens sind.» Die Keimlinge hätten einen enorm schnellen Lebenszyklus von 6 bis 12 Tagen, viel Geschmack und viele Nährstoffe, betont der Umami-Mitgründer. Ausserdem gab es keine importierten Microgreens in den Regalen der Detailhändler, mit denen Bertschinger und sein Team preislich hätten mithalten müssen. «Der Markt war offen für unser Produkt.»
Und wie steht es um die Konkurrenzfähigkeit des Yasai -Basilikums? «Wir sind mit unseren Preisen aktuell im Premium-Segment», ist sich Mark Zahran bewusst. Das sei möglich, weil sie mit der lokalen und pestizidfreien Produktion auch etwas bieten würden. Aber der Schlüssel liege in der Produktionsgrösse: «Solange die Farm genug gross ist, sind Küchenkräuter ökonomisch kein Problem.» Die 1000 Quadratmeter der Anlage in Niederhasli seien das untere Limit. Einer der Schwerpunkte der Pilotanlage liegt denn auch in der Skalierbarkeit. Yasai will während der fünfjährigen Pilotphase Erfahrungswerte sammeln, wie «Vertical Farming» im grossen Stil, in riesigen Anlagen, funktionieren kann.
Quelle: Yasai
Die Yasai-Kräuter wachsen in Niederhasli in Regalen übereinandergestapelt.
Farm braucht Strom
Was alle drei Unternehmen verbindet, ist ihr hoher Energieverbrauch. Die Indoor-Produktion ist auf eine intensive künstliche Beleuchtung angewiesen. Deshalb verbrauchen «Vertical Farms» im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft, die von kostenloser Sonneneinstrahlung profitiert, deutlich mehr elektrische Energie.
«Wir brauchen Strom für die Lampen, die Belüftung und andere Bereiche. Das ist der grösste Nachteil unserer Anbau-Methode», ist sich Gerig bewusst. Er betont aber, dass «Lokal365» keine fossilen Brennstoffe einsetze. Weil die Firma in ihrem Produktionsgebäude eingemietet ist, sei derzeit keine eigene Solaranlage möglich. «Für mich ist es aber vertretbar, wenn wir den Strom aus erneuerbarer Energie, in unserem Fall, der Wasserkraft, beziehen.»
Mit einem Strommix, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stamme, spricht der Yasai-CEO sogar von einer Dekarbonisierung der Landwirtschaft. Und auch Umami bezieht einen Ökostrommix von EWZ. «Im Stromverbrauch bewegen sich alle Vertical Farms etwa im ähnlichen Bereich, in der Effizienz gibt es aber noch Unterschiede», so Bertschinger. Nicht zu vergessen sei aber, dass sich mit den neuen Anbaumethoden durch die lokale, pestizidfreie Produktion, die Nähe zu den Konsumentinnen und Konsumenten und durch die Verdichtung des Anbaus wiederum Energie sparen liesse, betont Gerig von «Lokal365».
Wohin geht der Weg?
Dass die vertikale Indoor-Anbaumethode die konventionelle Landwirtschaft früher oder später ersetzen könnte, glaubt keiner der drei Start-up-Vertreter. «Das ‹Vertical Farming› ist eher eine Nischenlösung. Die wichtigsten Nahrungsmittel wie Reis, Getreide oder Kartoffeln können heute nicht indoor angepflanzt werden», betont Christian Gerig. Solange diese essenziellen Bestandteile der Lebensmittelversorgung fehlten, bleibe das «Indoor Farming» ein Nischenprodukt.
Das Potenzial liege in der Ergänzung zu den gewöhnlich angebauten Nahrungsmitteln, vor allem in städtischen Regionen, ist auch Mark Zahran überzeugt. Deshalb konzentriert sich Yasai derzeit auch auf Importprodukte, die durch die Indoor-Produktion stattdessen lokal und das ganze Jahr über angebaut werden können. «Wichtig ist, dass wir die Lebensmittelproduktion näher an die Stadt heranbringen.» Deshalb seien auch Projekte im Bereich der Arealentwicklung angedacht. Bei einer Indoor-Farm mitten in einer Wohnsiedlung könnten die Wohnungen zum Beispiel mit der Abwärme der Farm geheizt werden.
Globale Entwicklung
«In Europa wird die Landwirtschaft der Zukunft aus einer Kombination des konventionellen Anbaus und Indoor-Plantagen bestehen», ist Ranka Junge von der ZHAW überzeugt. Anders könnte es in Ländern wie China aussehen, in denen der landwirtschaftliche Boden stark kontaminiert ist. Die Schweiz hingegen sei zurzeit nicht wirklich auf «Vertical Farming» angewiesen. «Die kurzen Wege und die Städteentwicklung sind wichtige Argumente. Aber die Schweiz und ihre Städte sind klein.»
Der Import aus dem Ausland, den man sich mit Basilikum aus der Indoor-Farm spart, sei hierzulande ein relevanteres Argument. Nichtsdestotrotz hätten die Pandemie, der Krieg in Europa und der Klimawandel neue Szenarien aufgezeigt, in denen Versorgungsketten durcheinanderkommen oder Knappheit ein Thema werde. Die Wissenschaftlerin betont: «Auch wenn die Schweiz bisher gut aufgestellt war, werden Fragen der Selbstversorgungsfähigkeit immer wichtiger.»