Heilige Haine im Iran: Wo die Artenvielfalt erblüht
Heilige Haine sind auch Horte der Biodiversität. Diesen Schluss zieht ein Forschungsteam der Universität Kassel und der Universität Göttingen, das in Kooperation mit der University of Kurdistan anlässlich einer Studie solche Orte untersucht hat. Es ging dabei um die Frage, inwiefern in der Region überlieferte Traditionen zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.
Quelle: Ashkan Shahrokh, Unsplash
An heiligen Stätten kann sich die Natur ungestärt entwickelen.
„Auf der ganzen Welt stellen
Gemeinschaften aus religiösen Gründen kleine Teile der örtlichen Landschaften
unter Schutz - sei es in Äthiopien, Marokko, Italien, China oder Indien“, sagt
Tobias Plieninger, Leiter des Fachgebietes Sozial-ökologische Interaktionen in
Agrarsystemen an den Universitäten Kassel und Göttingen. An solchen
natürlichen, sakralen Stätten treffen Mythen und lokales ökologisches Wissen
aufeinander, aber auch auf Umweltschutz, weil auf sie als religiöse Stätte
jeweils besonders Rücksicht genommen wird. Sie bilden damit jenseits
von staatlichen Programmen eine Art Netzwerk
von Naturschutzgebieten. Solches gilt auch für das, Grenzgebiet von
Iran und Iran.
Allerdings sind hier staatliche Naturschutzprogramme oft zum
Scheitern verurteilt, während natürliche Ressourcen unter hohem Druck stehen.
Dennoch gibt es auch in solchen Gebieten existieren Heilige Haine, oder
vielmehr vereinzelt artenreiche Wälder in Form sakraler Naturstätten.
Mythen und sorgfältige Pflege
Heilige Haine sind im Nahen Osten weit verbreitet, sind
jedoch dem deutsch-kurdischen Forschungstgeam zufolge bislang als
biokulturelle Hotspots bislang kaum beachtet worden. Meist gehören solche Orte
zu Moscheen und dienen als Friedhöfe mit einer strikt geregelten Nutzung. In
der Regel umfassen sie nur kleine Flächen, von durchschnittlich einem Hektar.
Trotzdem weisen sie eine reiche Artenvielfalt auf. Gleichzeitig haben sie eine
wichtige spirituelle Bedeutung, weil sie als Wohnstätten der Seelen der
Vorfahren angesehen werden. Laut Zahed Shakeri, der das Projekt als
Post-Doktorand begleitete und in der Region aufgewachsen ist, ranken sich um
diese Plätze Mythen und Legenden, weswegen mit diesen Stätten rücksichtsvoll
umgegangen wird und weswegen sie sorgfältig gepflegt werden.
„Unsere Forschungsgruppe entwickelte eine Faszination für
die botanischen Schätze dieser Orte“, erzählt Plieninger. Die Wissenschaftlerin
hat in einer Vegetationsstudie festgestellt, dass in Heiligen Hainen grösserer
Artenreichtum vorhanden ist als in den angrenzenden, bewirtschafteten Flächen.
Auch die Zusammensetzung der Vegetation unterscheidet sich grundlegend. „Die 22
untersuchten Heiligen Haine beinhalten 20 Prozent der Flora der gesamten
Region. Darüber hinaus beherbergen sie zahlreiche sehr seltene und bedrohte
Pflanzenarten und stellen komplexe ökologische Nischen für bedrohte Tierarten
dar", ergänzt Shakeri. Deshalb könnten Heilige Haine als
wichtige Ergänzung zu den offiziellen Schutzgebieten in der Region dienen, aber
auch als Basis für deren Wiederherstellung.
Weil überlieferte religiöse Praktiken an Bedeutung
verlieren, sich Besitzrechte ändern und die Bevölkerung wächst, gehen
Naturstätten auf der ganzen Welt zurück. Darum untersuchte das Team auch, wie
die lokale Bevölkerung mit den Heiligen Hainen umgeht und was die Ursachen für
den guten Zustand dieser besonderen Orte sind. Dazu wurden 205 Menschen aus 25
Dörfern befragt. Es zeigte sich, dass vor allem spirituelle und kulturelle
Werte eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel, dass in den Heiligen Hainen
untersagt ist, Holz zu schlagen, zu jagen, das Land als Weide zu nutzen oder
eine Strasse darüber zu bauen.
Bedrohte Haine trotz Tabus?
Obwohl diese sozialen Werte und Tabus in der Provinz Kurdistan als relativ stabil gälten, verwiesen die Befragten wiederholt darauf, dass die Haine in der Region bedroht sind, wie es in der Medienmitteilung der Universität Göttingen heisst. Vor allem ältere Personen und solche mit traditionellen Lebensstilen aber auch Frauen würden gemeinhin als Bewahrer dieser Werte und Tabus gesehen. „Schutzprogramme könnten diese Gruppen darin unterstützen, ihre Bräuche zu verteidigen und wiederzubeleben“, sagt Shakeri. „Junge, urbane und modern orientierte Menschen sind gleichzeitig eine wichtige Zielgruppe für Sensibilisierungsarbeit.“ Das Beispiel der Heiligen Haine zeige, dass soziale Dynamiken und insbesondere kulturelle Werte im Naturschutz verstärkte Aufmerksamkeit verdienen. (mai/mgt)