Gemeinderating liegt im Dornröschenschlaf
Im diesjährigen Gemeinderating der Weltwoche gab es deutliche Sieger und unzählige Verlierer. Doch die Aufmerksamkeit, welche die Auswertung erhält, lässt weiterhin zu wünschen übrig. Dabei könnte die Beurteilung wertvolle Inputs für die Standortförderung liefern. Wie eine Analyse zeigt, sind grosse Veränderungen durchaus möglich.
Quelle: Insan0r2 (CC BY-SA 3.0)
Das Schloss Meggenhorn liegt am «Zipfel» der Siegergemeinde Meggen LU am Vierwaldstättersee.
Von Bruno Hofer*
Im August war es wieder soweit: Das aktuelle Gemeinderating wurde in der Weltwoche publiziert. Rund 900 Gemeinden mit je über 2000 Einwohnern waren im Visier. Beauftragt mit der Erarbeitung war wiederum die Firma «IAZI AG» aus Zürich. Obwohl viele Gemeindeverantwortliche das Rating zur Kenntnis genommen und bereits ad acta gelegt haben dürften, stellt sich die Frage: Wie können Gemeinden das Rating im Standortwettbewerb nutzen? Eine Analyse zeigt nämlich, dass grosse Veränderungen sehr wohl möglich sind.
Sicher war es interessant zu sehen, wer diesmal wieder vorne lag. Der Vorjahressieger Rüschlikon ZH? Nein, diese Gemeinde liegt leicht zurück. Uetikon ZH oder Zug? Sieger der Jahre davor? Auch nicht. Neu auf dem ersten Rang ist Meggen im Kanton Luzern. Bereits im letzten Jahr hätte es fast gereicht: Meggen war auf Rang 2 – dieses Jahr winkte endlich der Sieg.
«Schön für Meggen», denken sich wohl viele Gemeindeverantwortliche. Doch was hat Meggen getan, um die Nase vorn zu haben? Das wirft die Frage auf: Was ist das Weltwoche-Rating? Die Antwort: Es sagt aus, wo die Gemeinden bezüglich ihrer Standortqualität stehen. Beurteilt werden die sieben Kategorien «Wohnen», «Arbeitsmarkt», «Bevölkerungsstruktur», «Steuerbelastung», «Verkehrserschliessung», «Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeiten» und der Bereich «öffentliche Sicherheit».
Massgebliche Einflussfaktoren des Gemeinderatings
- Wohnen: Steigende Preise, hoher Ausbaustandard, zunehmende Bautätigkeit, tiefe Leerwohnungsziffer
- Arbeiten: Tiefe Arbeitslosenquote, sinkende Arbeitslosigkeit, zunehmende Zahl Jobs im Dienstleistungssektor, hohe Zahl von Neugründungen
- Bevölkerungsentwicklung: Tiefe Quote Sozialhilfeempfänger, wachsender Jugendquotient, zunehmende Bevölkerung, hohes Steueraufkommen
- Verkehr: Wenig Fahrzeit zu Agglozentrum in MIV und ÖV
- Versorgung: Hohes Angebot bei Gesundheit, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeit und Kultur sowie Bildungseinrichtungen
- Ferner positiv gewertet: Tiefe Steuerbelastung und tiefe Kriminalitätsrate
«Wohnen» hoch gewichtet
Der Gesamtrang ist das Resultat aus diesen sieben Einzelwertungen. Steigende Bodenpreise und eine wirtschaftliche Prosperität, verbunden mit einer positiven Bevölkerungsentwicklung, einem hohen Versorgungsangebot, einer guten Verkehrsanbindung und tiefen Steuern bei tiefer Kriminalitätsrate: Das zusammen entwickelt das Gesamtrating positiv.
Damit zurück zu Meggen: Vielleicht hat Rüschlikon weniger getan als früher und fiel somit hinter Meggen. Das Rating ist ja relativ. Verbesserungen in der Platzierung erzielte Meggen jedenfalls in den Einzelwertungen «Bevölkerung» und «Steuerbelastung», vor allem aber in der Einzelwertung «Wohnen». Da diese hoch gewichtet wird, bewirkt eine Verbesserung in dieser Kategoerie etwas mehr als anderswo. Dass Meggen in den Einzelwertungen «Sicherheit» und «Arbeitsmarkt» verlor, fällt demgegenüber weniger ins Gewicht. Meggens Gemeindepräsident Urs Brücker sagte gegenüber der Weltwoche, man habe sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Man wolle eine grüne Lunge haben im Dorf.
Neben Meggen als Gesamtsieger gibt es 2018 weitere Gemeinden, die es hervorzuheben gilt. Dazu zählt zum Beispiel Winterthur als jene Gemeinde, die am stärksten zugelegt hat. Oder Wollerau SZ als grösstes Steuerparadies für Singles. Und Engelberg OW holte in der Einzelwertung «Wohnen» den Pokal. Die Gemeinde Baar ist die Nummer eins in der Einzelwertung «Arbeit». Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne teilen sich das Podest in Sachen «Erreichbarkeit». Aarau hat die beste «Versorgung» der Schweiz. Alles gut und schön: Doch wozu sind solche Ratings nütze?
Frühzeitig reagieren
Die Schweiz steht zunehmend im harten internationalen Wettbewerb. Diese Konkurrenz wird landesintern auf Stufe Gemeinde fortgeführt. Jede Gemeinde muss sich im Standortwettbewerb behaupten. Gute Gemeinden verwalten nicht nur das Bestehende, sie planen voraus. Die Einflüsse verschieben sich dauernd. Es braucht Messkriterien, um den Handlungsbedarf in einer Gemeinde frühzeitig zu orten. Der Verlust an Attraktivität findet oft schleichend statt. Wenn man Schulen schliessen muss, ist es zu spät. Dann hat der Attraktivitätsverlust bereits stattgefunden.
Eine Gemeinde kann man nicht verschieben, ihre Lage ist gegeben. Ein idyllischer See etwa lässt sich nicht herbeizaubern. Aber man kann Einflussfaktoren zielgerichtet frühzeitig anpassen. Hier kann das Gemeinderating helfen, eine fundierte Standortbestimmung vorzunehmen, auf der dann Entwicklungsstrategien aufgebaut werden können.
Klare Sieger, klare Verlierer
Ein Blick in die Langfristanalyse zeigt: Veränderungen können beträchtlich ausfallen. Ein Vergleich der aktuellen Zahlen des Gemeinderatings der Weltwoche mit jenen Daten, die 2013 veröffentlicht wurden, zeigt: Gemeinden können sich verbessern, Gemeinden können aber auch in der Versenkung verschwinden.
Es gibt insgesamt 10 Gemeinden, die 400 und mehr Ränge gutgemacht haben: Birsfelden, eine Gemeinde im Kanton Basel-Landschaft, hat im Langzeitvergleich den ersten Platz geholt. 2013 lag die Gemeinde im Gesamtklassement auf Rang 687. Dieses Jahr auf Platz 181. 506 Plätze hat sie gutgemacht. Auch Pratteln und Frenkendorf, zwei weitere Baselbieter Gemeinden landen auf Rang 3 und 4 der Aufsteiger. 24 Gemeinden sind 300 und mehr Plätze gestiegen.
Auf der Gegenseite der Rangliste stehen Gemeinden, die in den letzten sechs Bewertungen massiv an Attraktivität verloren haben. Acht Gemeinden sanken um 400 oder mehr Plätze. Buttisholz LU verlor sogar über 500 Ränge. Auch Oensingen SO oder Stabio im Tessin haben stark an Attraktivität verloren.
Die Aufsteigergemeinden dürfen sich auf die Schulter klopfen. Bei den Absteigern gibt es einen ganz kleinen Trost: Der Vergleich ist lediglich der Tendenz nach richtig. Die zugrundeliegenden Einzelwertungen können nicht vollkommen direkt miteinander verglichen werden, da einzelne Faktoren zwischenzeitlich leicht angepasst wurden. Der Gesamtrang jedoch gibt das Resultat zuverlässig wider. Die Veränderungen in der Platzierung zeigen jedenfalls auf, dass vieles möglich ist. Gemeinden können sich verbessern – und umgekehrt.
Quelle: zvg
Gemeinden, die zwischen 2013 und 2018 Plätze gutgemacht haben.
Trends erfordern Entwicklung
Die Analyse zeigt: Es macht Sinn, das Gemeinderating als Barometer für Verbesserungen einzusetzen. Um periodisch in einer Gemeinderats-Klausur darüber nachzudenken, was vielleicht strategisch zu verbessern wäre. Es gibt ja einige Megatrends die auf unsere Gemeinden einwirken.
Gemeinden sind die Säulen der Gesellschaft. Ein wichtiges Thema ist der Megatrend der Digitalisierung. Dieser ist dramatisch und blutet unsere Gemeinden aus. Läden verschwinden, Kernzonen verdorren. Das Stichwort dieses globalen Phänomens lautet «Trading Down». Dieser Trend lässt sich wohl am besten so übersetzen: Es ist die Entwicklung vom vollständigen Angebot mit pulsierendem Leben zu zunehmenden Leerständen inklusive ausbleibender Kundschaft in den Städten und Gemeinden.
Ein weiteres Thema ist der Trend, dass Gemeinden die Gemeinderäte ausgehen. Auch hier wären Massnahmen gefragt, die im Rahmen einer strategischen Gemeindeentwicklung, angestossen durch eine vertiefte Analyse des Gemeinderatings, ausgelöst werden könnten.
Sterbende Zeitungen stellen zudem Herausforderungen wie auch Möglichkeiten dar für die künftige Kommunikation der Gemeinden mit ihrer Bevölkerung (siehe Artikel
«Medienkrise bedroht die Demokratie»; online noch nicht verfügbar).
Quelle: zvg
Die Anzahl verlorener Plätze zwischen 2013 und 2018 müsste diesen Gemeinden zu Denken geben.
Zu wenig Aufmerksamkeit
Der Herausforderungen sind viele, strategische Analysen anhand konkreten Datenmaterials somit sinnvoll. Dennoch ignorieren viele das Rating. Warum? Obwohl es nicht darauf ankommt, wer das Rating anführt, und es darum geht, dass jede Gemeinde ihre Potenziale erkennt, erhält die Auswertung noch immer wenig Aufmerksamkeit. Entsprechende Umfragen zeigten nur einen geringen Rücklauf. Das Gemeinderating scheint sich noch immer in einer Art Dornröschenschlaf zu befinden. Und noch viel weniger Aufmerksamkeit finden in aller Regel die sieben detaillierten Einzelwertungen.
Das Ergebnis von Gemeindeumfragen erstaut also kaum: Nur die wenigsten nehmen dieses Rating zum Anlass, strategisch ihre Entwicklung zu beurteilen. Das ist eigentlich erstaunlich: In der Privatwirtschaft spielen Ratings aller Art eine sehr grosse Rolle. Sie sind eine Art Börsenbarometer der Reputation und des Images. Nicht selten wirken sich solche Ratings in der Privatwirtschaft sogar auf Mitarbeiterbewertungen an Jahresenden aus, mit einem Einfluss auf die Bonusstufe.
Mit «Peers» vergleichen
Die Anforderungen an öffentliche Gemeinwesen unterliegen in der letzten Zeit einem grundsätzlichen Wandel. Heute gilt mehr denn je der Wettbewerb der Standorte. Auf globaler Ebene sind zurzeit geradezu tektonische Gewichtsverschiebungen wahrnehmbar und auf Ebene der Schweizer Gemeinden ist der Wettbewerb auf kommunaler Ebene ebenfalls eine Tatsache. Deshalb sind Instrumente sinnvoll, die in diesem Wettbewerb eine Verbesserung der Position möglich machen.
Das Gemeinderating kann einen Ausgangspunkt dafür darstellen. Es kann als Massstab dienen, um in einem systematischen Prozess eine Standortentwicklung auszulösen, es kann Grundlage für eine Standortbestimmung sein. Dabei sind nicht alle Einzelwertungen gleich wichtig. Man kann sich auf wenige fokussieren. Einige stellen Voraussetzungen dar, um eine andere Einzelwertung positiv zu beeinflussen.
Eine Gemeinde, die beispielsweise im Bereich «Arbeitsmarkt» notorisch in den hinteren Rängen angesiedelt ist, könnte sich gezielt dieser Problematik annehmen. Da kann die Ansiedlung neuer Firmen zum Thema werden oder eine verstärkte Bestandespflege Sinn machen. Möglicherweise suchen ansässige Unternehmen Entwicklungspotenziale, die sogar verfügbar wären, aber ohne InfInformationsfluss nicht zum Kunden finden.
Oder das Thema «Erreichbarkeit»: Natürlich weiss man ohnehin, ob man eine gute Verkehrs- und ÖV-Verbindung aufweisen kann. Dennoch kann ein Blick ins Rating und ein Vergleich mit der Platzierung von Gemeinden an ähnlicher Lage aufzeigen, ob und inwiefern wirklich Handlungsbedarf besteht.
Das Rating zeigt einen wichtigen Umstand: Es gewinnt nicht das absolut Beste. Es ist vielmehr der Wettbewerb der Standorte, das bedeutet die relative Qualität eines Standortes im Vergleich zu einem anderen, der verantwortlich dafür ist, wer das Rennen um die guten Unternehmen und Steuerzahler macht. Deshalb ist es auch nicht zentral, zuoberst im Ranking zu figurieren. Viel wichtiger ist es, im Vergleich zu den Peers oben zu sein. Im Vergleich zu jenen Standorten also, mit denen eine spezifische Gemeinde direkt in Konkurrenz steht, wenn es um Steuersubjekte oder andere Wertfaktoren geht.
Debatten drehen sich im Kreis
Um mit dem Gemeinderating arbeiten zu können, lohnt es sich, sich genau darüber zu informieren, welche Bewertungskriterien hinter den Rangierungen stehen. Dieses Wissen lässt eine Basis entstehen, mit der argumentiert werden kann. Häufig verlaufen Prozesse zur Verbesserung im Sand. Denn bei jeder konkreten Idee treten Bedenkenträger auf den Plan, die eine Veränderung blockieren wollen. Die Diskussionsketten sind bekannt. Wer sagt, man müsse attraktiver werden für Familien mit Kindern, erntet rasch die Antwort, das gehe nicht, weil damit teure Schulhausneubauten verbunden seien.
Oder wer meint, man könne in der Gemeinde durch Einzonungen wachsen, wird mit dem Argument konfrontiert, man könne doch nicht die letzten Grünreserven opfern. Dabei wäre auch Innenentwicklung möglich. Und so weiter. Oft schlafen die Debatten ein, nachdem man sich in Diskussionen im Kreis gedreht hatte.
Mit dem Gemeinderating kann die Diskussion eine neue Basis erhalten. Man sollte auf Daten setzen und weniger auf Emotionen. Damit ist man in der Lage, Relationen zu betrachten und nicht Absolutheiten.
* Bruno Hofer ist CEO der Hofer Kommunalmanagement AG mit Sitz in Dietikon. Er ist Standortförderer im Zürcher Limmattal und leitet den Planungsverband «ZurzibietRegio» im Kanton Aargau