Gemeinden unter Hochspannung
Jedes Jahr steigt der Stromkonsum in der Schweiz zwischen 0,5 und 2 Prozent. Damit die Versorgung gewährleistet bleibt, müsse das Hochspannungsnetz vielerorts ausgebaut werden, sagen die Stromproduzenten. Zum Beispiel zwischen Wattenwil und Mühleberg im Berner Mittelland: Seit mittlerweile sieben Jahren will die Netzbetreiberin, die BKW FMB Energie AG, die Kapazität der Leitung erhöhen. Diese ist gemäss dem Bundesrat von strategischer Bedeutung für die Versorgungssicherheit in der Schweiz. Statt 132 Kilovolt (kV) soll die Freileitung künftig eine Spannung von 220 kV führen.
Von Anfang an regte sich in der betroffenen Region Widerstand gegen dieses Vorhaben. Über 400 Einsprachen von Privatpersonen sind gegen das Plangenehmigungsverfahren erhoben worden, zehn weitere Einsprachen von insgesamt 16 Gemeinden. Die Betroffenen verlangten, dass die gut 33 Kilometer lange Starkstromleitung unterirdisch verlegt wird, denn der Ausbau der Freileitung, wie ihn die BKW vorsieht, würde höhere Strommasten und breitere Mastausleger bedeuten. Die magnetischen Felder von Hochspannungsleitungen gefährdeten die Gesundheit von Mensch und Tier, argumentieren die Gegner mit Bezug auf verschiedene internationale Studien. Die Betreiber halten dem unter anderem entgegen, dass eine unterirdische Verkabelung ebenfalls nicht-ionisierende Strahlung absondere, einen massiven Eingriff in den Boden bedeute, viel teurer zu stehen käme und in betrieblicher Hinsicht Nachteile aufweise.
«Kompromiss» gescheitert
Wie das Ausbauprojekt umgesetzt wird, darüber musste das Bundesamt für Energie (BFE) befinden. Im April 2010 erteilte es der BKW die Plangenehmigung für den umstrittenen Ausbau erteilt. Doch der Fall ist damit noch lange nicht erledigt: Das Bundesamt verlangt, dass ein 3,3 Kilometer langes Teilstück, das durch ein unter Landschaftsschutz stehendes Gebiet führt, unterirdisch verlegt wird. Auf der restlichen Strecke soll der Strom weiterhin durch eine Freileitung fliessen. Zufrieden mit dieser Kompromisslösung des BFE ist weder die eine noch die andere Seite: Die Gemeinde Köniz, die sich gegen die Freileitung wehrt, hat Beschwerde erhoben. Sie beanstandet das unsorgfältige Genehmigungsverfahren des BFE, verlangt Korrekturen und weitergehende Abklärungen.
BKW legt Beschwerde ein
«Der Bund beurteilt die Frage rein rechtlich», kritisiert Gemeinderätin Katrin Sedlmayer. Nebst Köniz haben 200 Einsprechende sowie fünf Kommunen gemeinsam einen Anwalt genommen und ebenfalls Beschwerde erhoben. Und auch die BKW legte beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein. Die Vorgabe, den entsprechenden Teilabschnitt zu verkabeln, sei gefällt worden, ohne die ökologischen Auswirkungen genügend zu berücksichtigen, sagt die Netzbetreiberin. «Wir wollen mit unserer Beschwerde erreichen, dass die Frage eine umfassende Würdigung erhält», sagt BKW-Pressesprecher Antonio Sommavilla. Anders als die Gemeinde Köniz hat er am Verfahren an sich nichts auszusetzen. «Das Beurteilungsschema des Bundes ‹Kabel vs. Freileitung› bietet eine gute Grundlage, um eine Entscheidung zu treffen. Es müsste nur richtig angewendet werden», sagt Sommavilla.
Gerichte müssen entscheiden
Nun muss das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden behandeln. Schon jetzt ist absehbar, dass – je nach Entscheid – die eine oder die andere Konfliktpartei ihre Beschwerde ans Bundesgericht weiterzieht. Das wird den Leitungsausbau um weitere Jahre verzögern.
«Würden die Netzbetreiber Verkabelungen in Betracht ziehen, dann wären sie schneller am Ziel», sagt Katrin Sedl-meyer und verweist auf die unter den Boden verlegte Leitung zwischen Mendrisio (CH) und Cagno (IT), die innerhalb von acht Jahren gebaut wurde. Generell fordert sie mehr Mitspracherechte für die betroffene Bevölkerung. Auch die BKW Energie AG wäre an einer schnellen Lösung interessiert: «Wir haben den Dialog mit der Bevölkerung in jeder erdenklichen Form gesucht», sagt Antonio Sommavilla. Auf grosse Akzeptanz sind die Vorschläge die BKW offenbar nicht gestossen. Nun müssen die Gerichte darüber befinden, wie es weitergeht.
Blockierte Leitungen
Nicht nur im Berner Mittelland sind die Ausbaupläne der Netzbetreiber umstritten: Schweizweit sind zahlreiche Projekte blockiert, darunter die 380 kV-Leitung Chamoson-Ulrichen im Kanton Wallis, die Leitung Beznau-Obfelden-Mettlen im Reusstal sowie die Leitung Beznau-Birr im Kanton Aargau. Auch in diesen Regionen verlangen die Betroffenen Verkabelungen, während die Betreiber auf Freileitungen beharren. Eine einvernehmliche Lösung dieser Konflikte ist nicht in Sicht.