10:48 KOMMUNAL

Fusion: «Abraxas und VRSG ergänzen sich ideal»

Teaserbild-Quelle: Patrick Aeschlimann

Mit der Fusion von Abraxas und VRSG entsteht der grösste IT-Anbieter für die öffentliche Hand. CEO Reto Gutmann sagt, was das für die Gemeinden bedeutet, warum es Sinn macht, dass der Staat ein Informatikunternehmen besitzt, wie man sich mit Abacus einigte und wie die Verwaltung in zehn Jahren arbeitet.

Reto Gutmann

Quelle: Patrick Aeschlimann

CEO Reto Gutmann im Abraxas-Standort Zürich.

Was waren die Gründe für die Fusion von Abraxas und VRSG?
Reto Gutmann: An erster Stelle stand die Vision eines starken Players für die öffentliche Hand in der Schweiz. Mit dieser Fusion decken wir die ganze Breite von den Gemeinden über die Kantone bis zum Bund ab. Die alte Abraxas hatte viele Kunden bei Bund und Kantonen, VRSG war stark bei den Gemeinden. Die beiden Firmen passen also sehr gut zusammen, sie ergänzen sich ideal. Mit der Fusion ist der führende Schweizer Anbieter für die öffentliche Hand entstanden. Ein anderer wichtiger Treiber war die Sicherung der Zukunft für beide Firmen, unsere Kunden und unsere Mitarbeitenden.

Wie profitieren bestehende und potenzielle Kommunalkunden von der Fusion?
Als starkes Unternehmen mit einer langfristigen Denkweise kann man sich auf die neue Abraxas verlassen. Wir haben mit der Fusion sichergestellt, dass es uns als Anbieter für die öffentliche Hand noch lange geben wird. Dann hoffen wir, dass wir mittelfristig Synergien nutzen können. Einerseits schlicht dadurch, dass wir wachsen, nicht nur wegen der Fusion, sondern weil auch der Markt grösser wird. Andererseits geht es bei der Digitalisierung auch um das Vernetzen von Daten. Da wir jetzt sehr breit aufgestellt sind, sind wir dafür in einer guten Position. Für Neukunden ist es zudem wichtig zu wissen, dass die neue Abraxas die ganze Schweiz abdeckt.

Die neue Firma heisst Abraxas. Die bekannte Marke VRSG verschwindet. Wieso? Verschwindet damit auch die Kultur der VRSG?
In unserer Arbeitshypothese sind wir davon ausgegangen, dass es einen neuen Namen geben wird. Im Verlaufe des Prozesses sind wir aber zum Entscheid gekommen, dass Abraxas eine gute Marke ist. Sie ist bekannt und geografisch unabhängig. Darum setzen wir auf diesen Namen. Wir haben aber einen neuen Brand kreiert, der ganze Auftritt sieht komplett anders aus. Das symbolisiert auch den Aufbruch: Es ist ein neues Unternehmen entstanden und wir wollen auch eine neue Kultur. Im Fusionsprozess verwenden wir einen Vogelschwarm als Symbol. Er besteht aus vielen Individuen, kann aber trotzdem schnell auf Hindernisse reagieren. Das funktioniert nur, wenn alle auch selbstständig nach links und rechts schauen und sich im Schwarm integrieren.

Zur Person

Reto Gutmann war seit 1. Mai 2016 CEO der Abraxas Informatik AG, für die er zuvor bereits während zweieinhalb Jahren als Vizepräsident im Verwaltungsrat sass. Nach der Fusion mit der VRSG übernahm er den CEO-Posten der neuen Abraxas.

Gutmann hat an der ETH Elektrotechnik studiert und ging danach als Software-Entwickler und Projektleiter zu Siemens Albis. Nach einem Intermezzo beim Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen arbeitete er ab 2001 bei Siemens Schweiz, wo er von 2004 bis 2006 die Software-Entwicklung im Business Innovation Center leitete. Zwischen 2006 und 2011 war Gutmann CEO der Siemens IT Solution and Services. 2011 setzte er sich gegen 88 Mitbewerber durch und wurde zum Direktor Informatikdienste der ETH Zürich ernannt. Diesen Job führte er bis zu seinem Stellenantritt als Abraxas-CEO 2016 aus.

Die VRSG war laut einem Artikel der «Schweiz am Sonntag» mit zehn Millionen Franken verschuldet. Was passiert mit diesen Schulden?
Wir haben vor der Fusion selbstverständlich mit externer Unterstützung die Firmen untersucht, eine Due-Diligence-Prüfung durchgeführt. Ich weiss nicht, worauf die Zeitung sich mit den zehn Millionen bezieht. Meine Vermutung ist, dass es um einen Bankkredit geht. Dass eine Firma Kredite aufnimmt, ist nichts Ungewöhnliches. Das sagt nichts über den Wert der Firma aus.

Bei der neuen Abraxas halten die Kantone Zürich und St. Gallen 83 Prozent der Aktien und die ehemaligen VRSG-Gemeinden 17 Prozent. Ist es Aufgabe des Staates eine IT-Firma zu besitzen? Was sind die Vorteile eines solchen Konstruktes?
Die Stabilität des Unternehmens wird garantiert, es herrscht ein langfristiges Denken vor, und es gibt keine kurzfristigen Optimierungen der Kennzahlen. Die alte Abraxas ist aus der Informatik der Kantone Zürich und St. Gallen entstanden. Es war den Verantwortlichen schon damals klar, dass es keinen Sinn macht, wenn jeder nur für sich schaut. Heute ist es immer häufiger so, dass die Kantone den Gemeinden, wie etwa in St. Gallen, vorgeben, im Informatikbereich mehr zusammenzuarbeiten. Nur so wird es möglich, dass die Verwaltungsdaten besser vernetzt werden. Dann ist für uns auch die Swissness sehr wichtig, die Datenhaltung in der Schweiz. In den USA etwa sind die Firmen bei Bedarf dazu verpflichtet, auch Daten an den Staat auszuliefern, die nicht in den USA gelagert sind. Dem sind wir nicht unterstellt. Unsere Eigentümer und unsere Kunden haben die Gewissheit, dass Daten, die bei Abraxas sind, mit Sicherheit auch in der Schweiz bleiben.

Der Softwarestreit mit Abacus wurde in einem Vergleich beigelegt. Wie ist es dazu gekommen und was heisst das für die Zukunft?
Auf die Initiative des St. Galler Regierungsrats Benedikt Würth hin sind die Parteien am runden Tisch miteinander ins Gespräch getreten. Alle Beteiligten haben in diesen Gesprächen die Einschätzung gewonnen, dass eine Kooperation der zum damaligen Zeitpunkt eher verfahrenen Situation vorzuziehen ist. Im Zuge dieses Prozesses haben wir auch gelernt, dass die Abacus-Produkte gut in unsere Mehrproduktestrategie passen. So können wir unseren Kunden künftig den Mehrwert von Wahlmöglichkeiten bei Teillösungen bieten.

Die Fusion von Abraxas und VRSG

Im Juni 2017 wurde bekannt, dass die beiden Firmen Abraxas Informatik AG und Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen AG (VRSG) fusionieren wollen. Die Regierungen der Kantone SG und ZH (Aktionäre von Abraxas) sowie die Stadt St. Gallen (Hauptaktionärin von VRSG) unterstützten den Plan von Beginn an. Am 3. April 2018 wurde die Fusion vollzogen und das Unternehmen nennt sich seither nur noch Abraxas. CEO wurde Reto Gutmann (ehemals Abraxas Informatik AG), den neuen Verwaltungsrat präsidiert Eduard Gasser (ehemals VRSG). Entstanden ist der grösste Anbieter durchgängiger IT-Lösungen für Verwaltungen in der Schweiz. An seinem Hauptsitz in St. Gallen sowie Standorten in allen Sprachregionen der Schweiz beschäftigt die neue Abraxas rund 800 Mitarbeiter. Zusammengerechnet machten die Abraxas Informatik AG und die VRSG 2017 einen Umsatz von 179,5 Millionen Franken.

Die Abraxas Informatik AG entstand 1998 aus der Fusion der beiden Informatikämter der Kantone Zürich und St. Gallen. Die AG blieb im Besitz der beiden Kantone. Zunächst war das Unternehmen für Betreiberdienste an Rechenzentren zuständig. Später hat man mit der Entwicklung von Fachanwendungen begonnen und schliesslich auch Beratungs- und Integrationsleistungen für Kunden zur Verfügung gestellt.

Die VRSG wurde 1973 von verschiedenen St. Galler Gemeinden gegründet. Laut Peter Baumberger, dem letzten CEO der VRSG, «weil die Gemeinden keine Entwickler hatten, als man etwa von Karteikärtchen auf elektronische Datenverarbeitung umstellte und die erste Software kam». VRSG blieb im Besitz ihrer Kunden, mehrheitlich Gemeinden. Rund 130 Aktionäre hatte die VRSG, der grösste war die Stadt St. Gallen (Anteil: 16,1 Prozent). Die weiteren Aktionäre waren die Kantone ZH, SG, TG und AR sowie diverse Gemeinden aus diesen Kantonen und dem Kanton GR.

Auch die neue Abraxas bleibt im Besitz der Kantone und Gemeinden. Die Kantone ZH und SG halten insgesamt 83 Prozent der Aktien und die ehemaligen VRSG-Gemeinden 17 Prozent. Alle Aktionäre der VRSG haben das unterbreitete Angebot zum Aktientausch oder -verkauf angenommen.

Künftig wollen die Konkurrenten Abacus und Abraxas also zusammenarbeiten. Wie könnte eine solche Kooperation aussehen?
In dieser Zusammenarbeit geht es uns in erster Linie darum, unser Angebot um die Produkt-Suiten von Abacus zu erweitern. Unsere Gemeindekunden haben nun für einige Module die Wahl. Dies stärkt unser Angebot und rundet unser Portfolio ab. Wir sind nun gespannt, wie dies bei unseren bestehenden Kunden sowie am Markt aufgenommen wird.

Die Digitalisierung kommt und die Gemeinden können sich dem Megatrend nicht verschliessen. Wo stehen die Gemeinden heute? Stellen Sie in den letzten Jahren eine Veränderung fest?
Die Veränderung ist auf allen Staatsebenen feststellbar. Man ist sich heute überall bewusst, dass die Digitalisierung nicht nur ein Trend ist, der wieder vorbeigeht. Es braucht aber nicht nur die Technik und den Willen, sondern auch gewisse Rahmenbedingungen. Heute sieht man, was machbar ist. Jetzt geht es darum, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass man auch von der Digitalisierung profitieren kann. In den Gesprächen mit unseren Kommunalkunden habe ich gesehen, dass sie schon sehr digital unterwegs sind, was die Abläufe innerhalb der Gemeinde betrifft. Da wird bereits vieles papierlos erledigt. Jetzt geht es um die Verlängerung gegen aussen. Standardfälle sollen wenn immer möglich automatisiert bearbeitet werden. Dann haben die Mitarbeitenden mehr Zeit, um die komplexeren Fälle persönlich zu begleiten. Der Bürger ist sich als Konsument aus der Privatwirtschaft zudem daran gewöhnt, dass er vieles rund um die Uhr erledigen kann. Eine Gemeinde muss die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung abdecken. Für Digital Natives genauso wie für diejenigen, die noch gerne persönlich am Schalter vorbeigehen.

Reto Gutmann

Quelle: zvg

Wo herrscht bei den Gemeinden in Sachen Digitalisierung noch Nachholbedarf?
In der Zukunft wird enorm wichtig sein, dass nicht jede Gemeinde für sich nach Lösungen sucht. Das wird nur funktionieren, wenn es gewisse Standards gibt, an die man sich anhängen kann. Sonst muss sich jeder Mitarbeiter, der die Stelle wechselt, lange einarbeiten. Und auch der Bürger muss sich nach einem Umzug erst wieder an neue Logins und Oberflächen gewöhnen. Hinzu kommt die technische Interaktion. Ohne Standards müssen immer wieder individuelle Lösungen gebaut werden, was finanziell nicht tragbar ist. Es braucht Wettbewerb, das ist gut für die Innovationen. Aber es braucht auch Standards, damit das alles auch gut zusammenspielen kann.

Ein Trend ist Cloud Computing. Abraxas warb früher mit dem Slogan «Gemeinde aus der Steckdose». Heute benutzt ihn ein Konkurrent, der sich nicht nur um die Soft- sondern auch um die Hardware, den Support und die Verhandlungen mit den Partnern kümmert. Ein Zukunftsmodell oder ein Klumpenrisiko?

Der Gedanke «Services aus der Steckdose» wird immer mehr kommen. Unsere Lösung deckt genau das ab. Klar, wenn etwas nicht funktioniert, dann können die Kunden nicht arbeiten, egal wer die Lösung anbietet. Aber es ist unsere Aufgabe sie zu unterstützen, damit sie möglichst schnell wieder arbeiten können. Und auch wir lösen die Probleme mit unseren Lieferanten und halten die Kunden möglichst schadlos. Das ist ein klares Bedürfnis der Gemeinden. Viele sind klein und können sich keinen IT-Spezialisten leisten. In der Zukunft wird man um Cloud Computing kaum mehr herumkommen. Will man Daten vernetzen, sind lokale Installationen ungeeignet.

Zum Schluss ein Ausblick: Wie arbeitet die kommunale Verwaltung in fünf bis zehn Jahren?
Bis sich alles etabliert hat, werden wahrscheinlich schon zehn Jahre vergehen. Es wird nicht alles so schnell kommen, wie wir heute glauben Aber vermutlich wird im Hintergrund relativ viel über die IT laufen, wovon man aber gar nicht so viel mitbekommt. Standardprozesse werden automatisiert ablaufen. Für die «normalen» Arbeiten werden wir dank künstlicher Intelligenz smarte Unterstützungen erhalten. Big-Data-Auswertungen werden die komplexeren Fälle unterstützen. Und für den Bürger wird das Rund-um-die-Uhr-Modell etabliert sein, davon bin ich überzeugt. Man wird sich sicher identifizieren können, wahrscheinlich sogar gegenüber einem Chatbot. Das alles tönt für Gemeindemitarbeitende vielleicht nicht so motivierend.Aber die Arbeit wird spannender, wenn weniger Standardarbeiten anfallen. Man hat mehr Zeit für die komplexeren Aufgaben. Das Ziel ist, dass es für den Bürger einfacher wird – für die IT hingegen wird es nicht immer einfacher.

Rechtsstreit zwischen VRSG und Abacus beigelegt

Über drei Jahre lang herrschte Zoff zwischen den zwei St. Galler Softwarehäusern VRSG und Abacus. Der Vorwurf: VRSG erhalte Aufträge von St. Galler Gemeinden ohne Ausschreibung oder es würden Kriterien definiert, die nur die VRSG erfüllen könne. «Wir sind es gewohnt, dass bei öffentlichen Vergebungen nicht alles mit rechten Dingen zugeht, und haben dazu lange geschwiegen. Aber eine solche Vorgehensweise in unserem Heimatkanton? Irgendwann ist das Fass voll», sagte Abacus-CEO Claudio Hintermann 2014.

Abacus hielt die St. Galler Justiz ganz schön auf Trab: Gegen Insgesamt 69 St. Galler Gemeinden waren Verfahren am Laufen – darunter auch Wittenbach, wo Abacus den Hauptsitz hat. 2017 wurde eine Beschwerde von Abacus gegen die Gemeinde Wittenbach, VRSG und das kantonale Departement des Inneren vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Abacus verlangte Einsicht in Leistungsverzeichnisse, Preislisten und Anhänge zu Dienstleistungsverträgen von VRSG mit der Gemeinde.

Anfang Juli nun die überraschende Wende: Unter Vermittlung des St. Galler Regierungsrats Benedikt Würth (CVP) haben sich Abraxas (nach der Fusion mit VRSG) und Abacus auf einen Vergleich geeinigt. Die Gemeinden verpflichten sich zur Vergaberechtskonformität von IT-Beschaffungen. Zudem müssen die vier Städte St. Gallen, Rapperswil-Jona, Wil und Gossau die Beschaffung von Software-Lizenzen für die Finanz- und Lohn- /HR-Software bis spätestens Ende des ersten Quartals 2019 öffentlich ausschreiben. Alle noch hängigen Verfahren wurden daraufhin abgeschrieben.

Nicht Teil des Vergleichs ist jedoch die Beschwerde von Abacus gegen die Gemeinde Wittenbach. Abacus zieht den Entscheid weiter ans Bundesgericht. «Wir möchten die Frage beantwortet haben, ob Gemeinden Leistungsverzeichnisse freihändig vergeben können», so Abacus-Geschäftsleiter Daniel Senn.

Doch damit nicht genug: Abacus und Abraxas wollen künftig gar zusammenarbeiten. Die beiden Unternehmen würden sich bei der Softwareentwicklung, beim Hosting und Dienstleistungen gut ergänzen, haben die Streithähne festgestellt. Die von der Abacus entwickelte Software könne gut in das Portfolio der auf IT-Dienstleistungen für die öffentliche Hand spezialisierte Abraxas passen.

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