Energieberatung: Die Deutschen drehen den Spiess um
Viele Städte und Gemeinden bieten Energieberatungen für Hausbesitzer an. Leider machen nur die Wenigsten von diesem Angebot Gebrauch. Deutsche Kommunen kehren das Prinzip nun um: Mit der «Energiekarawane» erhalten alle Liegenschaftenbesitzer eine kostenlose Erstberatung, die sich nicht explizit dagegen aussprechen. Die Beratungsquote konnte markant gesteigert werden.
Quelle: zvg
Das Kamel Ludmilla ist das Maskottchen der Energiekarawane.
Irgendwann im Jahr 2009 sass Philipp Granzow einsam in seinem Büro in der hessischen Stadt Viernheim. Als Brundtlandbeauftrager, benannt nach einem Nachhaltigkeitsbericht aus den 80er-Jahren, sollte er unter anderem Energieberatungen für Hausbesitzer durchführen. Doch kaum einer der rund 34 000 Bürger nahm das Angebot an, obwohl es darunter zweifelsohne viele Besitzer von Altbauten gab, die von einer Energieberatung profitiert hätten.
Wenn die Hausbesitzer nicht zu uns kommen, dachte sich Granzow, müssen die Energieberater eben zu den Leuten nach Hause gehen. Die aufsuchende Jugendarbeit, das Abholen der Jugendlichen dort, wo sie sich tatsächlich aufhalten, wird schon länger erfolgreich praktiziert – warum sollte das Prinzip nicht auch mit Hausbesitzern klappen?
Beratungsquote stark erhöht
Und so machte sich wenige Monate später die erste «Energiekarawane» auf den Weg. Weil der Name noch unbekannt war, verkleideten sich die Energieberater tatsächlich als Beduinen und zogen mit dem Kamel Ludmilla durch Viernheim. Die Aktion war ein Erfolg: Im Städtchen kannte danach jeder die Energiekarawane und wusste, was es damit auf sich hatte. Auch die Medien griffen das Thema auf. Was aber noch wichtiger war: Granzows Idee funktionierte. Innert kürzester Zeit wurden in Viernheim mehr Energieberatungen durchgeführt als je zuvor.
Die ungewöhnliche Reisegesellschaft fiel auf. Andere Städte in der Umgebung begannen sich ebenfalls für die Energiekarawane zu interessieren. Immer mehr Gemeinden der Metropolregion Rhein-Neckar führten das Projekt durch. Dann wurden auch deutsche Gemeinden ausserhalb dieses Perimeters auf die aufsuchende Energieberatung aufmerksam. Bis heute wurden weit über 100 Energiekarawanen-Projekte mit mindestens 8500 Beratungsgesprächen durchgeführt – und dies sowohl in Grossstädten wie Mannheim als auch in Kleingemeinden.
Die Beratungsquote liegt bei über 25 Prozent der kontaktierten Hausbesitzern – bei einzelnen Durchführungen gar bei gegen 40 Prozent. Ohne aufsuchende Energieberatung beträgt sie im Normalfall maximal rund 5 Prozent. Für über 80 Prozent der Teilnehmenden war es die erste Energieberatung überhaupt. Und die Umsetzungsquote der vorgeschlagenen Massnahmen liegt bei hohen 60 Prozent.
Hoheit bei der Gemeinde
«Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen der Energiekarawane ist das Engagement der Gemeinde», sagt Brice Mertz, der bis 2015 bei der Metropolregion Rhein-Neckar als Projektleiter für die Energiekarawanen zuständig war. Seit 2017 plant und koordiniert er Energiekarawanen in Baden-Württemberg beim projekttragenden Verein Fesa.
Jede Durchführung der Energiekarawane startet mit einer Informationsoffensive der Gemeinde. «Der Bürgermeister schreibt die Hausbesitzer persönlich an, es gibt Plakate und eine Auftaktveranstaltung. Allen Bürgern muss klar werden, dass die Gemeinde hinter der Aktion steckt und nicht irgendeine Firma, die ihre Eigeninteressen vertritt. Denn nur wenn die Kommune dahintersteht, machen die Bürger auch mit», so Mertz.
Die Gemeinde selektioniert vorgängig die geeigneten Adressen, im Normalfall Besitzer von Liegenschaften mit Baujahr vor 1990, die auch persönlich im betreffenden Haus wohnen, sogenanntes selbstbewohntes Eigentum. Der Clou an diesem Anschreiben der Gemeinde: Wer sich nicht aktiv gegen eine Beratung ausspricht, wird von den Energieberatern kontaktiert. «Das ist datenschutzrechtlich, je nach Bundesland, eine Grauzone. Denn die Gemeinde gibt Daten an Externe weiter», so Mertz.
Für die Durchführung einer Energiekarawane kommen aber nur offiziell registrierte Energieberater infrage, die sich die Gemeinde selber aussucht und mit einem klaren Leistungsvertrag ausstattet. «Es ist für die Akzeptanz der Kampagne zentral, dass die Gemeinde dieses ungewohnte Vorgehen transparent kommuniziert. Die Energieberater werden sozusagen zu ausführenden Klimaschutzbeauftragten der Kommune», sagt Mertz.
Mit Ausdauer zur Beratung
Wer sich nicht explizit gegen die Beratung ausspricht, wird von den Beratern für eine von der Kommune bezahlte Erstberatung angegangen. Telefonisch, per Brief und E-Mail – oder, wenn alle Kontaktversuche scheitern, manchmal auch direkt an der Haustüre. «Der Ansatz ist in seiner Radikalität meines Wissens bisher einzigartig und das kann sich nur die Gemeinde erlauben. Es hat sich aber noch niemand über dieses Vorgehen beschwert. Auch punkto Datenschutz hatten wir noch keine Reklamationen. Sehr wohl erhalte ich aber viele positive Rückmeldungen von Bürgern», sagt Mertz.
Insbesondere diejenigen, die dank der Energiekarawane zum ersten Mal in den Genuss einer Energieberatung kamen, seien oftmals sehr glücklich mit ihrem Entscheid, den Beratern einmal zuzuhören.
Hat man sich mit dem Energieberater auf einen Termin geeinigt, dauert dieser zwischen einer und eineinhalb Stunden und findet beim Hausbesitzer daheim statt. «Eine Energieberatung im Büro finde ich ziemlich schlecht. Es macht nur vor Ort, im Objekt, wirklich Sinn», so Mertz. Der Berater schaut sich das Haus dann erst einmal von unten bis oben an und erklärt dem Besitzer, auf welche Weise er am effizientesten und effektivsten Energie sparen kann. «Das darf kein Verkaufsgespräch sein und der Berater darf den Hausbesitzer zu nichts drängen, sonst scheitert die Beratung augenblicklich», sagt Mertz.
Im Gegenteil: Sagt der Berater etwa, dass bei den Fenstern kein dringender Handlungsbedarf besteht, sondern bei der Dämmung viel einfacher etwas gegen die Energieverschwendung getan werden kann, freue sich der Hausbesitzer – denn diese Antwort ist ehrlich.
Am Ende des Besuches erhält der Hausbesitzer ein detailliertes Protokoll mit dem Befund des Energieberaters. «In einfachen Fällen reicht das bereits aus und die Besitzer wissen, was sie tun können. Häufig motiviert das bereits zur Umsetzung. In komplexeren Fällen empfiehlt der Berater ein ausführliches Gebäudeenergiekonzept», erklärt Mertz. Ein solches kostet 1600 Euro, wobei der Bund die Hälfte der Kosten übernimmt.
Ist der Hausbesitzer mit seinem Energieberater zufrieden, kann er das Gebäudeenergiekonzept gleich von ihm erstellen lassen. Ansonsten erhält er eine Liste mit den lizenzierten Beratern. Den Energieberatern ist es vertraglich verboten, die Hausbesitzer nach der Erstberatung aktiv zu kontaktieren. So wird gewährleistet, dass auch im Nachgang kein Verkaufsdruck aufgebaut wird.
«Einfach machen»
Der Erfolg des ungewöhnlichen Programms zeigt: Die Energiekarawane funktioniert in Deutschland. Und auch in der Schweiz wäre der Ansatz einen Versuch wert, ist Brice Mertz überzeugt. An der Energiekarawane interessierten Schweizer Gemeinden steht er gerne für Auskünfte zur Verfügung.
Zwei Tipps hat er zum Schluss noch auf Lager: «Beim Datenschutz muss man in jedem Fall von neuem genau abklären, was geht und was nicht. Sonst landet man vom grauen schnell im schwarzen Bereich.» Im Zweifelsfall, und zwar nicht nur punkto Datenschutz, rät Mertz aber immer: «Einfach machen!» Denn schliesslich bietet man mit Energieberatungen nichts Böses an, sondern ein wichtiges Puzzleteil auf dem Weg zur Energiewende.