Dringend gesucht: junge Gemeinderäte
Viele Gemeinden können kaum Junge für Exekutivämter gewinnen. Dabei könnte sich ein Fünftel der Generation U35 ein Engagement auf kommunaler Ebene vorstellen. Eine neue Studie zeigt: Gemeinden, Amtsträger und Ortsparteien müssen sich aktiv um die Jungen bemühen.
Quelle: Lucia Plaen, © Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ
Guter Einstieg in die Politik: Einige dieser Gesichter, die 2017 an der Delegiertenversammlung des Dachverbandes Schweizer Jugendparlamente (DSJ) teilnahmen, wird man künftig sicher in einem Gemeinderat antreffen.
Das Problem ist bekannt: Viele Gemeinden haben Mühe, Nachwuchs für die kommunalen Exekutiven zu rekrutieren. Landauf, landab klagt man über Kandidatenmangel und wenn sich dann doch noch jemand findet, der in die Kommunalpolitik einsteigen will, ist es selten ein Junger.
Neue Forschungsresultate zeigen: Nur jeder 18. Gemeinderat in der Schweiz ist jünger als 35. Dies hat Dario Wellinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur herausgefunden. Wellinger ist Co-Projektleiter der Studie Promo 35. Aus deren Resultaten und Analysen sind 18 Stossrichtungen mit 84 Massnahmen entstanden, mit dem Ziel, bis Ende Januar 2019 ein Online-Tool für Gemeinden zu entwickeln, und damit junge Erwachsene für ein Engagement in der Gemeindeexekutive besser motivieren zu können.
Wie wird man Gemeinderat?
Denn Potenzial wäre durchaus vorhanden, wie Wellinger am Anlass «Exekutive und Verwaltung der Zukunft» des Vereins Förderung junge Personen in der Gemeindepolitik (#FJG) an der Berner Fachhochschule (BFH) erklärte: «Von 1000 befragten unter 35-Jährigen können sich 195 vorstellen, ein Amt auf Stufe Gemeinde zu übernehmen. Das Rekrutierungspotenzial beträgt also etwa 20 Prozent.»
Um dieses Potenzial abzuschöpfen, müssen Gemeinde, Parteien und kommunale Persönlichkeiten aktiv werden: Nur ein Drittel der jungen Amtsträger hat sich aus Eigeninitiative für die Aufgabe gemeldet. Alle anderen sind proaktiv angegangen worden. Das Wissen, wie man überhaupt Gemeinderat wird, fehlt den Jungen nämlich weitgehend: Der Kandidaturprozess sowie das Wahlprozedere sind 83 Prozent unbekannt. Das ist man sich in den Gemeindehäusern aber nicht bewusst: 70Prozent der Gemeinden sind der Meinung, dass den unter 35-Jährigen gut bekannt ist, wie man ein kommunales Exekutivamt erlangt.
Die Gründe, die laut Wellinger für die Jungen gegen ein politisches Amt sprechen, überraschen wenig: Zeitmangel, voller Einsatz für die Karriere, mit einem Exekutivamt unvereinbare Lebensumstände sowie häufigere Wohnortwechsel in jungen Jahren.
Vier Biere zur Kandidatur
Manchmal kann die Rekrutierung von Politiknachwuchs ganz einfach sein. FDP-Nationalrätin Christa Markwalder erinnert sich, wie es bei ihr war: «Der Präsident der Jungreisinnigen Burgdorf hatte mich mehrmals für eine Kandidatur für das Stadtparlament angefragt, nachdem ich mich für den Erhalt eines Umzugs am Stadtfest eingesetzt hatte. Ich wollte mich aber Anfang 20 aufs Studium konzentrieren und habe abgesagt, auch weil ich noch ein Auslandsemester plante.»
Da änderte der Präsident der Jungfreisinngen seine Taktik und versprach zwei alten Schulkollegen Markwalders am Stadtfest je zwei Biere, wenn sie sie zu einer Kandidatur überreden konnten. «Das waren wahrscheinlich seine vier bestinvestieren Biere», lacht Markwalder. «Sie haben mich mit dem Argument der Solidarität unter den Jungen überzeugt. Es drohe sonst der Verlust des jungfreisinnigen Sitzes. Ich habe dann auch noch gleich die Wahlkampfleitung übernommen. Wenn schon, dann richtig», sagt Markwalder.
Gewählt wurde sie damals zwar nicht, aber nach der Rückkehr aus dem Auslandsemester konnte sie nachrücken und wurde dann als Bisherige wiedergewählt. Ihr erster Vorstoss war der Anschluss Burgdorfs an das Berner ÖV-Nachtnetz. «Die Stadtregierung sagte, dafür bestehe kein Interesse. Die waren aber auch nicht in dem Alter, in welchem man nach Bern in den Ausgang geht.» Ein halbes Jahr später hatte Burgdorf seine Moonliner-Verbindung. «Es motivierte mich sehr, zu sehen, dass man auf der Gemeindeebene schnell Erfolge erzielen kann und so nahe bei den Bürgern ist», sagt Markwalder.
Es folgte eine steile Politkarriere: Vom Burgdorfer Stadtrat in den Berner Grossen Rat und 2003 schliesslich, mit 28 Jahren, in den Nationalrat, wo sie auch heute noch politisiert. Sie hat es nie bereut. «Nirgends können Junge so viel bewegen wie in der Politik», ist sie überzeugt.