06:34 KOMMUNAL

Bidirektionale Ladestationen: Batteriespeicher auf vier Rädern

Teaserbild-Quelle: Michael Staub

Bidirektionale Ladestationen können Fahrzeugbatterien laden, aber auch als Stromspeicher anzapfen. Die Technologie ist für Autobesitzer interessant, kann aber auch dem Stromnetz dienen. Denn schon relativ kleine Flotten können eine ansehnliche Regelleistung bieten. 

Elektroladestation Mobility HSLU

Quelle: Michael Staub

Im Rahmen des Projekts «V2x Suisse» haben Mobility und verschiedene Partner eine Flotte von 50 Honda e mit dazu passenden bidirektionalen Ladestationen aufgebaut.

Auf dem Parkplatz der Hochschule Luzern (HSLU) hängt ein Elektrofahrzeug an der Ladestation. Mittlerweile ein alltägliches Bild – jedenfalls auf den ersten Blick. Doch die Technik hat es in sich. «Diese spezielle Ladestation ist bidirektional. Das heisst, der Strom fliesst nicht nur vom Netz in die Fahrzeugbatterie, sondern kann auch von der Batterie zurück ins Netz gespeist werden», erläutert Roger Buser, Professor an der HSLU. 

Das bidirektionale Laden verwandelt Elektrofahrzeuge gewissermassen in gigantische Powerbanks auf Rädern. Denn die Kapazität einer Fahrzeugbatterie beträgt je nach Auto ungefähr 20 bis 100 Kilowattstunden. Das reicht problemlos, um zu Hause einige Stunden lang den Kühlschrank, die Beleuchtung oder den Fernseher zu betreiben.

Teure Speicher

Eine Ladestation, die nicht als Einbahnstrasse, sondern mit Gegenverkehr funktioniert – für ein einzelnes Gebäude klappt das schon gut. Ein Verbund mit vielen solcher Stationen kann Vorteile für deutlich mehr Nutzer oder gar für das lokale Stromnetz bringen. Denn die fluktuierende Stromproduktion in Wind- oder Solarkraftwerken führt  zu grossen «Ausreissern» nach oben wie auch nach unten. Um Produktion und Verbrauch im Gleichgewicht zu halten und damit Frequenzprobleme oder gar Blackouts zu verhindern, braucht es Gegenmassnahmen. Mit Stromspeichern alleine kann diese Aufgabe nicht gestemmt werden. Doch bei der Zusammenschaltung von einigen Dutzend oder Hundert Fahrzeugbatterien entsteht ein interessantes Potenzial für Regelleistung. 

2012 startete das Fraunhofer-Institut mit verschiedenen Partnerfirmen das dreijährige Projekt INEES (Intelligente Netzanbindung von Elektrofahrzeugen zur Erbringung von Systemdienstleistungen). 2015 experimentierte Nissan in Japan mit einer Flotte von «Leafs», die bidirektional geladen werden konnten. Und 2020 lancierte Renault auf der Atlantikinsel Porto Santo, die zu Portugal gehört, ein Projekt mit 20 «Zoés». Seit kurzem kann auch die Schweiz ein solches Projekt vorweisen. Mit «V2X Suisse» wird seit 2022 das Potenzial von Elektrofahrzeugen für Regelleistung erprobt. An Bord sind unter anderem Honda, Mobility und die Evtec AG aus Kriens, welche die einzige in der Schweiz zugelassene bidirektionale Ladestation herstellt (Mehr Informationen zum Projekt im Kasten «Schweizer Schwarmbatterie»)

Evtec Platine

Quelle: Michael Staub

Montagearbeiten an einer Ladestation.

Solar-Manager App

Quelle: Michael Staub

Im Zusammenspiel mit einem Solarstrom-Manager kann das Potenzial der Fahrzeugbatterie noch besser genutzt werden.

Speicher auf Rädern

Diese Station kostet zwischen 10 000 und 15 000 Franken. Verglichen mit den 1200 bis 2000 Franken für eine normale Ladestation ist das ein happiger Betrag. Der Grund für den hohen Preis ist neben den derzeit geringen Stückzahlen die eingebaute Technik: Die bidirektionale Station ermöglicht das Laden mit Gleichstrom, wie es von Schnellladestationen bekannt ist, und sie enthält auch alle notwendigen Stromzähler für die Abrechnung von Strombezug und Einspeisung ins öffentliche Netz. «Dafür kann ich mir als Fahrzeugnutzer den stationären Batteriespeicher sparen, denn eine Fahrzeugbatterie kann auch bei Limitierung durch den Hersteller problemlos 10 kWh liefern», argumentiert Roger Buser.

Wer eine bidirektionale Ladestation nutzt, kann sich den stationären Batteriespeicher sparen.

Roger Buser, Professor HSLU

Roger Buser, Professor HSLU

Es ist denkbar, dass bidirektionale Ladestationen von einem Effekt profitieren, der auch schon bei PV-Anlagen oder Batteriespeichern zu beobachten war: Die Kaufkraft vieler Schweizer Kundinnen und Kunden ist hoch, und gerade bei privaten Investitionen entscheiden sich diese gerne für «öppis Rächts», statt die Amortisation auf zwei Kommastellen auszurechnen. Die nach wie vor steigenden Strompreise bewegen zudem manche Gebäudeeigentümer, ihren energetischen Autarkiegrad zu erhöhen. 

Bezüglich Infrastruktur und Kosten scheint es deshalb plausibel, dass bidirektionale Ladestationen eine gewisse Verbreitung erreichen werden. Wesentlich zäher verhält sich derzeit ein weiterer wichtiger Baustein, und zwar ausgerechnet die mobile Komponente. Anders gesagt: Es gibt erst sehr wenige Elektrofahrzeuge, die wirklich bidirektional geladen werden können (siehe Kasten «Geeignete Fahrzeuge»).

Evtec Montage

Quelle: Michael Staub

Montage einer Ladestation bei der EVTEC AG in Kriens.

Zögerliche Hersteller

Nur in Japan gibt es gesetzliche Vorschriften, die für Elektrofahrzeuge die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden vorschreiben. Deshalb gehören zum Beispiel der Nissan «Leaf» oder der «Honda e» zu den wenigen Autos auf dem Schweizer Markt, die sich dafür eignen. Nicht-japanische Autohersteller sprechen seit geraumer Zeit vom bidirektionalen Laden, erlauben dessen Umsetzung aber nur mit Schranken. 

Die Fahrzeuge von Tesla zu Beispiel, darunter die auch in der Schweiz sehr populären «Model 3» und «Model Y» bieten bis heute keine bidirektionale Lademöglichkeit an. Die einzige Ausnahme ist der Tesla «Cybertruck», der aber nur in Nordamerika zugelassen ist. Als Gründe für die V2X-Abstinenz werden von den Herstellern meistens Garantie-Aspekte oder eine möglichst lange Lebensdauer der Batterie angeführt. Doch Roger Buser hält das für eine Schutzbehauptung: «Beim Beschleunigen während der Fahrt muss die Batterie schnell einmal 60 oder 70 Kilowatt abgeben, bei der Nutzung als Stromquelle im Gebäude sind es aber maximal zehn Kilowatt.»

Während die Hersteller also noch zögern, zeigt eine TCS-Studie vom August 2023, dass bidirektionales Laden einen grossen Beitrag zur Entlastung des Stromnetzes bringen kann. Wenn schon nur jedes fünfte Elektrofahrzeug bidirektional ladbar ist, könnten die Spitzenlasten im Netz 2025 um fünf Prozent reduziert werden. 2030 wären es bereits elf Prozent. Diese Leistung müsste also nicht mehr mit teurem Importstrom oder dem Hochfahren von Kraftwerken bereitgestellt werden. Was für die Energiewende als Ganzes gilt, trifft damit auch auf das Thema V2X zu: Die Lösung liegt nicht bei zentralen, kaum finanzierbaren Strukturen, sondern in einer dezentralen, gewissermassen föderalistischen Struktur. Ein Prinzip, das in kaum einem anderen Land so verwurzelt sein dürfte wie in der Schweiz.

Evtec Entwicklung

Quelle: Michael Staub

In den Ladestationen steckt eine lange Entwicklungsarbeit und viel Schweizer Know-How.

Schweizer Schwarmbatterie

Bidirektionale Ladestation Display

Quelle: Michael Staub

Der Blick aufs Display zeigt: Hier kann der Strom in beide Richtungen fliessen.

Im September 2022 wurde das Projekt «V2x Suisse» gestartet. Es umfasst eine Flotte von 50 «Honda e», kombiniert mit bidirektionalen Ladestationen. Die Fahrzeuge sind an insgesamt 40 Standorten des Mobility-Carsharings in der ganzen Schweiz stationiert. Damit werden erstmals bidirektional ladefähige Fahrzeuge aus der Serienproduktion flächendeckend erprobt.

Das Potenzial ist eindrücklich: Wenn ein einzelnes Fahrzeug nicht genutzt wird, aber via Ladestation angeschlossen ist, kann es bis zu 20 Kilowatt Leistung ins Netz zurückspeisen. Die gesamte Leistung der Testflotte (50 Fahrzeuge) beträgt 1 Megawatt. Wenn Mobility seine gesamte Flotte auf bidirektional ladefähige Fahrzeuge umrüsten würde, stünde sogar eine Regelleistung von 60 Megawatt zur Verfügung, womit zum Beispiel das Pumpspeicherkraftwerk in Peccia TI übertrumpft wird. Die kumulierte Regelleistung aus hunderten von Fahrzeugbatterien könnte damit helfen, das Stromnetz zu stabilisieren, Engpässe zu überbrücken und teure Netzausbauten auf ein Minimum zu reduzieren.

Im Juni 2023 konnte die gebündelte Regelleistung erstmals genutzt werden. Zugunsten von Swissgrid konnten zwei Dienstleistungen erfolgreich angeboten werden: Erstens Frequency Containment Reserves (FCR), was schnellen Reaktionen auf Frequenzabweichungen innerhalb von zwei Sekunden entspricht. Zweitens Frequency Restoration Reserves (aFRR) zur Korrektur von Leistungsungleichgewichten.

An Mobility-Standorten, die über eine PV-Anlage verfügen, soll mit Hilfe der neuen Ladestationen zusätzlich der Eigenverbrauchsanteil optimiert werden. Zum Laden kommen einerseits reguläre «Honda Power Manager» (DC-Ladestationen) zum Einsatz, andererseits auch bidirektionale Stationen von Evtec mit doppeltem und kombinierbarem CCS-Ausgang. Alle Stationen sind mit Rundsteuerempfängern für die Verteilnetzbetreiber sowie mit einer digitalen Schnittstelle ausgestattet. Die verfügbare Leistung pro Fahrzeug wird jeweils im Viertelstundentakt über eine neu entwickelte Cloud-Plattform erhoben.

Am Projekt beteiligt sind Honda (Fahrzeuge), Evtec (Ladestationen), «sun2wheel» (Software), Tiko Energy Solutions (Aggregatoren) und Novatlantis (wissenschaftliche Begleitung). Da Mobility bis 2030 seine gesamte Fahrzeugflotte auf Elektroantrieb umrüstet, darf man auf die weitere Schritte und das kumulierte Regelleistungspotenzial sehr gespannt sein. (ms)

Geeignete Fahrzeuge

Verschiedene Elektrofahrzeuge wie der Hyundai «Ioniq 5» oder der neue Volvo «XM90» besitzen eine Steckdose, die Strom für mobile Anwendungen oder gar das teilweise Laden eines anderen Fahrzeugs liefern kann. Dieser Modus wird als «Vehicle to load» (V2L) beschrieben und ist nicht identisch mit dem «echten» bidirektionalen Laden «Vehicle to X (V2X).

Auf dem Schweizer Markt ist die Auswahl an bidirektional ladbaren Fahrzeugen momentan auf folgende Modelle beschränkt:

  • Honda e
  • Nissan Leaf, e-NV 200
  • Mitsubishi i-MiEVl, Outlander, Eclipse Cross
  • Peugeot iOn

Zu beachten ist, dass verschiedene Hersteller eine V2X-Funktion zwar in Aussicht stellen, aber für den europäischen respektive Schweizer Markt noch nicht umgesetzt haben. Dazu gehören etwa verschiedene Fahrzeuge von VW oder die erwähnten Volvo-Modelle. Wer also ein V2X-fähiges Fahrzeug will, muss sehr genau hinschauen und sollte sich nicht bloss auf Marketing-Ankündigungen verlassen. (ms)

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