Vogelschutz: Das Elsass und die Storchenüberpopulation
Bauliche Probleme ornithologischer Art bedrücken einen Elsässer Bürgermeister. Die Nester weisen eine fragwürdige Statik auf, da wegen der zunehmenden Überpopulation der Störche geeignete Bauplätze rar sind. Abhilfe schaffen ist schwierig. Und auch die Gemeindekasse leidet.
Raedersdorf, romantisches Dörfchen im Elsass, nahe der Schweizer Grenze, hat ein ungewöhnliches Problem. Es ist für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe fast schon zu attraktiv. Dazu muss man ein wenig ausholen. Das Elsass hat sich bekanntlich den Storch zum Wappenvogel auserkoren. Es gehörte jahrhundertelang dazu, dass die Störche auf den Dächern der Kirchen und Fachwerkhäuser nisteten. Anfang der 1970er-Jahre war es damit fast vorbei. Nicht einmal ein Dutzend Brutpaare waren übrig. Entschlossene Bürger starteten ein Wiederansiedlungsprogramm.
Erfolgreiche Wiederansiedlung
Wer heute ins Elsass reist, kann es nicht übersehen: Das Programm war ein voller Erfolg. Etwa tausend Brutpaare gibt es heute im Elsass. Raedersdorf war eines der ersten Dörfer, das wieder Störche ansiedeln konnte. Anfangs errichtete man dort ein Gehege, in dem die ersten Vögel geschützt ihre Jungen aufziehen konnten. Das Kalkül dahinter: Die dort aufgewachsenen Störche sollten nach dem Winter von selbst an ihren Geburtsort zurückkehren. Die Rechnung ging auf. Die Gemeinde errichtete mehr und mehr Brutplattformen auf den Dächern des Dorfes.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Futterquellen im Gebiet ziehen viele Störche an, doch reicht die Zahl der Nistplätze in den Gehegen nicht aus. Deshalb weichen die Vögel beim Nestbau allzu oft auf Hausdächer und Kamine aus.
Konkurrenz um Nistplätze
Längst ist Raedersdorf «Village Cigogne d’Alsace – Elsässiches Storcka-Dorf», wie eine grosse Plakette verkündet. Alles wunderbar sollte man denken. Die Natur hat gewonnen, denn die Störche finden wieder genug Nahrung und die Touristen haben romantische Fotomotive. Der Erfolg hat allerdings auch Schattenseiten. In Raedersdorf war die Wiederansiedlung eindeutig zu erfolgreich, finden manche Einwohner. Gleich 33 Nester kann man heuer auf den Dächern der 500-Seelen-Gemeinde zählen.
Es geht den drei Kilo schweren Schreitvögeln nicht besser als uns Menschen in dicht besiedelten Regionen: Wegen der zunehmenden «Storchen-Verdichtung» müssen immer mehr Brutpaare auf weniger geeignetes Terrain ausweichen. Verspätete Jungstörche, die erst aus Afrika zurückkehren, wenn die besten Nistplätze längst besetzt sind, suchen sich notgedrungen gewagte Stellen für ihren ersten Nestbau und kehren dann Jahr für Jahr wieder zum selben Nest zurück.
Absturz auf Schulhof befürchtet
Das bereitet Bürgermeister Jean-Marc Metz zunehmend Magengrimmen. Allein auf der Kirche befinden sich vier Nester. Manche, wie das auf dem Rathaus sind so wackelig, dass er fürchtet sie könnten abstürzen. Das auf dem Rathaus droht gar, auf den angeschlossenen Schulhof stürzen. Zum Glück herrscht dort, bedingt durch Corona, nicht das übliche Gewusel. Dazu kommen die Ausscheidungen, die Adebar im Flug einfach fallen lässt. Auf Autolack und den polierten Grabsteinen des Friedhofs sorgt der aggressive Kot für Schäden, wenn er nicht schnell entfernt wird. Auch die Dächer sind rund um die Nester weiss statt ziegelrot. Selbst die Bauern haben Sorgen. Wenn bis zu fünf-zig Störche auf den frisch gepflügten Feldern alle Würmer herauspicken, fürchten sie um die Qualität ihrer Böden.
Eingriff mit teuren Hebebühnen
Natürlich hat Metz nicht einfach nur die Hände gerungen. Rund um Raedersdorf wurden in freier Natur Nistplattformen errichtet. Aber gegenüber der Zeitung «Le Parisien» sagte er: «Die Vögel haben ihren eigenen Kopf. Sie suchen sich lieber Dächer oder verstopfe Kamine.» Raedersdorf wird mit dem etwas zu reichlich vorkommenden Adebaren dennoch leben müssen. Sie sind geschützt. Metz lässt nun an heiklen Stellen Stacheln installieren, um dort «Neubauten» zuvorzukommen.
Die instabilen Nester aber muss er belassen. «Wir dürfen sie nur um Winter entfernen oder in der Höhe reduzieren. Dazu braucht es an zahlreichen Gebäuden eine Hebebühne», wie er den «Dernières Nouvelles d’Alsace» berichtet. Diese Zusatzkosten sind für die kleine Gemeinde eine Belastung. Ein Tag Hubsteiger kostet den Bürgermeister zwischen dreitausend und viertausend Euro. Ein saftiger Betrag für solch eine kleine Gemeinde. Ihm ist schon etwas bange bei dem Gedanken, dass nun all die Störche, die in den knapp drei Dutzend Nestern aufgezogen werden, im kommenden Jahr versuchen werden, ebenfalls Nester in Raedersdorf zu bauen.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Hausbesitzer greifen zur Selbsthilfe und setzen Stacheln aufs Dach, damit ihnen die Störche nicht die Kamine blockieren
Storchennest
Weissstörche errichten ihre Horste an Orten, die genügend hoch liegen und die sie frei anfliegen können. Das erleichtert dem Vogel mit seinen zwei Metern Flügelspannweite An- und Abflug erheblich. Das Nest ist etwa einen Meter breit und wird aus daumendicken Zweigen errichtet, die die Störche mit dem Schnabel ineinander schieben. Die Nestmulde selbst wird mit Laub und Gras ausgepolstert. Während der Brutsaison bauen die Störche ständig weiter am Horst. So erreichen diese bis zu zwei Metern Durchmesser und 2,5 Meter Höhe. Das Gewicht solcher Nester kann mehrere hundert Kilo betragen. Das Nest wird vom selben Brutpaar alljährlich wieder bezogen und aufgestockt und wächst und wächst daher. Die Brutdauer der drei bis sechs Eier beträgt 33 bis 34 Tage. Die jungen Störche verbringen zwei Monate auf dem Horst. Von ihm aus unternehmen sie auch ihre ersten unbeholfenen Flugversuche.