15:12 VERSCHIEDENES

SLF-Methode: Automatische Lawinen-Erkennung mit Satellitenbildern

Teaserbild-Quelle: SPOT 6/7 © Airbus DS 2018

Satellitenbilder machen Lawinenereignisse grossflächig sichtbar. Forscher des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF haben nun eine Methode entwickelt, mit der sich Lawinen auf optischen Satellitenbildern automatisch und zuverlässig kartieren lassen. 

Satellitenbild von Pralong im Val d’Hérémence

Quelle: SPOT 6/7 © Airbus DS 2018

Satellitenbild von Pralong im Val d’Hérémence/VS am 6. Januar 2018: Die Bereiche, die der Computer als Lawine einstuft, sind gelb (nicht so sicher) bis rot (sehr sicher) eingefärbt. Als Referenz sind die von Hand kartierten Lawinen, mit denen das Modell verglichen wurde, blau umrandet dargestellt. Wo die farbigen Bereiche innerhalb der Umrisslinien liegen, stimmen Modell und manuelle Kartierung überein.

In welchen Gebieten kommen wiederholt Lawinen vor? An welcher Stelle reissen sie an und welchen Weg nehmen sie? Wie häufig ereignen sie sich und in welcher Grössenordnung? All diese Fragen sind wichtig, um das Gefahrenpotenzial von Lawinen besser einschätzen und das Risikomanagement optimieren zu können. Besonders aufschlussreich für die Analyse von Lawinen ist die Vogelperspektive, wie das SLF in einer Mitteilung von Dienstag schreibt. 

«Interessant sind für uns vor allem Satellitenbilder», wird Elisabeth Hafner, Doktorandin am SLF in der Gruppe Alpine Fernerkundung, zitiert. «Sie geben im Gegensatz zu Besuchen im Gelände oder Webcam- und Drohnenaufnahmen nicht nur Einblick in Teile des Berggebiets, sondern können den ganzen Schweizer Alpenraum grossflächig abbilden.» 

Lawinen-Umriss auf Satellitenbild erkennen

Satellitenbild ist laut SLF aber nicht gleich Satellitenbild. Hafner und ihre Kollegen beschäftigen sich aktuell mit den Daten optischer Satelliten. Es handelt sich dabei sozusagen um Fotos, wie man sie etwa aus Google Maps kennt. 

Die Aufnahmen des französischen Satelliten SPOT 6/7, die die SLF-Forscher für die Lawinenkartierung nutzen, haben eine Auflösung von 1,5 Metern und sind äusserst detailreich. «Auf solchen optischen Satellitenbildern können wir den kompletten Umriss einer Lawine erkennen, also auch Ort und Art des Anrisses und ihren Verlauf», erklärt Hafner. 

Im Hinblick darauf beschlossen die Doktorandin und ihr Team, eine auf Machine-Learning basierte Bildanalysemethode zu entwickeln, mit der sich Lawinen auf optischen Satellitenaufnahmen automatisch identifizieren und kartieren lassen. Denn das ist laut SLF bisher noch mühsame Handarbeit: Die Aufnahmen auf dem Bildschirm müssen von Auge nach Lawinen abgesucht und deren Umrisse manuell nachgezeichnet werden. 

24‘000 Lawinen manuell identifiziert 

Genau das hat Hafner auf Satellitenaufnahmen von SPOT 6/7 gemacht. Die Bilder datieren vom 24. Januar 2018 und dem 16. Januar 2019 – Tage, für die das SLF die höchste Lawinenwarnstufe 5 (sehr gross) prognostiziert hatte. Hafner kombinierte die Satellitenbilder mit der Schweizer Karte und einem digitalen Geländemodell, um zu überprüfen, ob ein Lawinenereignis in einem bestimmten Gebiet überhaupt plausibel ist. Denn Lawinen entstehen praktisch nur in Hängen, die steiler sind als 30 Grad. 

Insgesamt identifizierte und kartierte die Forscherin auf den Aufnahmen der zwei Tage über 24'000 Lawinen. «Im Schnitt habe ich etwa zwei Minuten pro Lawine gebraucht – ich habe also fast fünf Wochen nur mit Lawinensuchen verbracht», erzählt Hafner lachend. «Das zeigt, wie wichtig es ist, diesen Prozess zu automatisieren, um in der Praxis die Lawinenaktivität schneller analysieren zu können.» 

Die manuelle Kartierung bildete die Grundlage, um den Computer zu trainieren, ihm beizubringen, was in der Aufnahme Lawine ist und was nicht. Hafner griff dabei auf eine etablierte Methode zurück, adaptierte diese aber so, dass neben den optischen Daten auch explizit die topografischen Informationen aus dem Geländemodell verarbeitet werden. 

Auch Fachleute sind sich nicht immer einig 

Die Evaluation der Methode ergab schliesslich einen F1-Score von 0.63, wobei ein Wert von 1 eine perfekte Reproduzierbarkeit bedeuten würde. «Wir waren damit zuerst nicht so zufrieden, konnten die Leistung mit Anpassungen am Modell aber nur marginal verbessern.» 

Da kam den Forschern ein Gedanke: Was, wenn sich selbst Fachleute bei der Existenz und den Umrissen von Lawinen nicht immer einig sind? Also liess Hafner ein Satellitenbild von fünf Lawinenexperten manuell kartieren und verglich deren Übereinstimmung. Das Resultat: In besonnten, gut sichtbaren Gebieten war die Übereinstimmung höher als in schattigen Bereichen. 

Insgesamt erkannten die Experten gleich viel Lawinenfläche wie das Modell. Das zeigt, dass der Computer Lawinen praktisch genauso verlässlich erkennt, wie verschiedene Fachleute. In einem nächsten Schritt wird Hafner nun untersuchen, wie die Experten bei der manuellen Kartierung vorgehen und warum sie die Aufnahmen in manchen Fällen anders beurteilen. 

«Wenn wir diese Unsicherheiten kennen, haben wir die Chance, unser Modell entsprechend zu justieren. Unsere Zukunftsvision ist es, dass der Computer Lawinen in optischen Satellitendaten schnell und konsistent erkennt und täglich für den Schweizer Alpenraum kartiert, damit die Entscheidungsträger diese wichtigen Informationen zeitnah zur Verfügung haben.» (mgt/pb)

Die Ergebnisse der Forscher wurden kürzlich in der Fachzeitschrift «The Cryosphere» veröffentlicht. Zur Mitteilung des SLF unter: www.slf.ch

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