Simulation soll bei Rückbau radioaktiver AKW-Trümmer in Fukushima helfen
Forscher der Universität Sheffield und des Paul Scherrer Instituts PSI haben eine Simulation mit den gefährlichsten, radioaktiven Trümmern im havarierten Kernkraftwerk Fukushima in Japan entwickelt. Diese soll Erkenntnisse liefern, um die Aufräumarbeiten voranzutreiben.
Quelle: ryuki_a_g, wikimedia CC BY 2.1 JP
Der Tsunami richtete eine gewaltige Verwüstung an. Im Bild: Die Stadt Iwaki in Fukushima nach der Katastrophe.
Vor fast 11 Jahren kam es zur Katastrophe: Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben mit einer Stärke von 9.0 die Nordostküste Japans und löste einen gewaltigen Tsunami aus. Die Riesenwelle überflutete 500 Quadratkilometer Land, zerstörte hunderttausende Häuser und verursachte den Tod von 20‘000 Menschen. Der Tsunami traf schliesslich auch auf das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, zerstörte dessen Stromhauptzufuhr und überschwemmte die Notstromaggregate.
In der Folge wurde das Hauptkühlsystem des Kernkraftwerks ausser Betrieb gesetzt. Der Brennstoff in drei der sechs Reaktoren der Atomanlage überhitzte, es kam zu Kernschmelzen. Mehrmals explodierte Wasserstoffgas in den Reaktorgebäuden, nachdem es aus den Druckbehältern abgelassen wurde. Die mit Strahlen verseuchten Teilchen kontaminierten über 1‘000 Quadratkilometer im Umkreis, bis zu 160‘000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen, nachdem die radioaktive Strahlung in die Umwelt gelangte.
Strahlungsniveau deutlich gesunken
Bereits ein Jahr nach der Atomkatastrophe begann man damit, in diversen Städten strahlendes Material zu entfernen. Arbeiter mit Schutzanzügen kratzten dafür von Flächen in einem gewissen Umkreis jeweils die obersten fünf Zentimeter Erdboden ab, wie die «Deutsche Welle» in einem Hintergrundbericht zu den Aufräumarbeiten im März 2021 berichtete. Hausdächer, Strassen und Wege wurden saubergespritzt, das Dreckwasser gefiltert. Bäume, Hecken und Sträucher wurden beschnitten, Laub und Unterholt eingesammelt.
Heute ist das Strahlungsniveau deutlich gesunken. Laut dem Gouverneur der Präfektur Fukushima, Masao Uchibori, sank es in der Stadt Fukushima von 2,7 Mikro-Sievert auf 0,1 Mikro-Sievert pro Stunde. Neben den Arbeiten zur Dekontaminierung lässt sich dieser Rückgang auch auf Regen und Wind, sowie den natürlichen Zerfall der radioaktiven Teilchen zurückführen. Denn anders als in Tschernobyl explodierte in Fukushima kein Reaktorkern voller Uran und Plutonium, sondern das Wasserstoffgas mit strahlendem Iod und Cäsium-137. Iod zerfällt schnell, Cäsium mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren, wie das BAG in einem Bericht zur Fukushima-Katastrophe festhält.
Quelle: Jun Teramoto flickr CC BY-SA 2.0
Die zerstörte Stadt Minamisōma nach der Riesenwelle. Ein Jahr nach der Atomkatastrophe wurde in verschiedenen Städten rund um das Atomkraftwerk kontaminierte Erde abgetragen.
Fukushima soll wieder bewohnbar werden
Dank diesen Umständen und der Tatsache, dass rund 80 Prozent der ausgetretenen Menge im Atomkraftwerk ins Meer hinaustrieb, soll es möglich sein, Fukushima wieder bewohnbar zu machen. Inzwischen sind alle Evakuierungsbefehle für die Städte der Sperrzone wieder aufgehoben worden. Von den Behörden sind aber noch immer 337 Quadratkilometer als «Zonen, in die man schwer zurückkehren kann» eingestuft. Diese dürfen Ex-Anwohner nur mit einer Genehmigung betreten. Denn wegen der Strahlung von über 50 Milli-Sievert pro Jahr wurde dort noch nicht dekontaminiert.
Ein Grossteil der abgetragenen, verseuchten Erde wird in einem 16 Hektar grossen Zwischenlager in der Nähe der Kernanlage gesammelt, das nach Versprechungen der Regierung nur bis 2045 existieren soll. Die verbleibenden Jahre bis dahin will das Umweltministerium nutzen, um die Materialmengen möglichst zu verringern. Dazu soll etwa Erde mit einer Radioaktivität von weniger als 8‘000 Becquerel pro Kilogramm wiederverwertet werden. Dies zum einen im Unterbau von Strassen und zum anderen in 50 Zentimetern Tiefe unter Gemüsefeldern. Diese Pläne zur Wiederverwendung sind aber stark umstritten.
Quelle: Tokyo Electric Power Co., TEPCO / IAEA, wikimedia, CC BY SA 2.0
Das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im Jahr 2007, vor dem Tsunami.
Extrem radioaktive Brennelemente in Reaktoren
Während die Bemühungen zur Dekontaminierung im Umkreis des Kraftwerks fortgeführt werden, stellen die extrem radioaktiven Brennelemente in den beschädigten Reaktoren natürlich ebenfalls ein grosses Problem dar. Die Beseitigung und sichere Lagerung des radioaktiven Schutts, der in den drei Reaktoren der Anlage zurückgeblieben ist, gilt als eine der grössten Herausforderungen im Rahmen des Stilllegungsprozesses.
Denn solange das Brennmaterial dort verbleibt, muss es gekühlt werden, wobei Millionen Kubikmeter radioaktives Wasser anfallen. Dieses kontaminierte Wasser soll ins Meer eingeleitet werden, was umstritten ist. Da die Trümmer jedoch so hoch radioaktiv sind, ist es für Menschen und sogar für einige Roboter zu gefährlich, sich ihnen zu nähern. Das bedeutet, dass nur sehr wenig über die chemische Zusammensetzung bekannt ist, was die Aufräumarbeiten verlangsamt und dazu führt, dass sich noch mehr kontaminiertes Wasser ansammelt.
Eine neue Studie könnte hierbei nun helfen. Unter der Leitung von Professor Claire Corkhill vom Fachbereich Materialwissenschaften und Ingenieurwesen der Universität Sheffield haben Forscher der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS beim PSI eine Simulation der Brennelemente in den beschädigten Reaktoren des havarierten Kraftwerks entwickelt. Die in der Fachzeitschrift «Nature Materials Degradation» publizierte Studie sei die erste, die den Verbleib von Plutonium in den Brennelementtrümmern untersuche, heisst es in einer Mitteilung der Uni Sheffield und des PSI.
Anhand dieses Simulationsmaterials könnten die Behörden nun erstmals mehr über die chemische Zusammensetzung und die mechanischen Eigenschaften der Trümmer erfahren und dadurch sichere Strategien für deren Beseitigung entwickeln.
Quelle: Universität Sheffield
Unter der Leitung von Professorin Claire Corkhill von der Universität Sheffield wurde eine Simulation entwickelt, die bei den Aufräumarbeiten am 2011 havarierten Kernkraftwerk von Fukushima helfen könnte.
Vorwärts mithilfe von Robotern und Simulation
Die Tokyo Electric Power Company hat gemäss Mitteilung nun eine robotergestützte Untersuchung der Trümmer in Reaktor 1 in Auftrag gegeben, die zusammen mit dem neu entwickelten Simulationsmaterial zu einem besseren Verständnis der von der Katastrophe hinterlassenen Trümmer beitragen könnte. «Anhand der Erkenntnisse über die in den Reaktoren von Fukushima verwendeten Materialien – beispielsweise Brennstoff, Ummantelung und Beton – konnten wir ein Rezept für die Brennstofftrümmer entwickeln», erklärt Corkhill in der Mitteilung.
Die Forscher erhitzten diese Materialien hierfür auf die extrem hohen Temperaturen, die während des Unfalls herrschten, und stellten so eine Version mit geringer Radioaktivität her, die den Brennelementtrümmern entsprechen sollte. «Die Untersuchung dieses Materials mit den extrem hellen Röntgen-Mikroskopen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz hat es uns ermöglicht, die potenzielle Verteilung von Plutonium innerhalb des Brennstoffs zu verstehen, was für die Rückholaktionen von grösster Bedeutung ist», erklärt Daniel Grolimund, Verantwortlicher für die Strahllinie microXAS an der SLS.
Die Studie unterstütze den Prozess der Bergung von Brennelementtrümmern und helfe bei der Entscheidung darüber, was mit dem geborgenen Material geschehen soll, heisst es weiter. Die Ergebnisse der an der microXAS Strahllinie der SLS durchgeführten Messungen seien dabei von zentraler Bedeutung.
Zur Mitteilung des PSI: www.psi.ch